Alpine Ski-WM
Vom Tolpatsch im Schnee zur Skikönigin
Von Peter Penders, Bormio
07. Februar 2005 Aufgepaßt, liebe Eltern: Wenn Sie in diesen Tagen zum ersten Skiurlaub mit ihrer Tochter aufbrechen, aber ihr kleiner Liebling beim Skikurs ständig über die in den etwas zu klobigen Skischuhen steckenden Füße stolpert und in der kichernden Gruppe als Tolpatsch auffällt, weil sie den anderen Zwergen immer in die Quere kommt - geben Sie die Hoffnung nicht auf, und außerdem muß Ihnen das nicht peinlich sein. Möglicherweise schlummert trotzdem ein verborgenes Bewegungstalent in ihrem Kind. Genauso war es nämlich bei der erfolgreichsten Skifahrerin der Gegenwart.
Als sich Janica Kostelic im Alter von drei Jahren zum ersten Mal auf diesen zwei Brettern versuchte, ging so ziemlich alles schief, was schiefgehen konnte. Daran änderte sich zunächst auch nichts. "Wir haben schon gedacht, daß sie das nie lernen wird", sagt Mutter Marica. Hat sie doch, und wie: Zwei WM-Titel vor zwei Jahren in St. Moritz, zweimal Weltcup-Gesamtsiegerin, drei Gold- und eine Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City und nun auch schon wieder zwei WM-Titel (Kombination und Abfahrt) bei den Weltmeisterschaften 2005. Doch in Bormio muß das noch nicht alles gewesen sein - sowohl im Riesenslalom als auch im Slalom gehört die Kroatin zu den Favoritinnen.
Der Weg vom kleinen Dreikäsehoch, der ständig im Schnee lag, bis zur unumstrittenen Skikönigin war weit und möglicherweise nicht das, was man allgemein unter einer schönen Kindheit versteht. Vater Ante hatte früh das Potential erkannt, das in Janica und ihrem Bruder Ivica steckt - sowohl das sportliche als auch das finanzielle. Die Kostelic-Kinder haben so trainiert, wie man das im Tennis von den russischen Damen kennt, die sich derzeit in der Weltrangliste auf vorderen Plätzen tummeln. Stundenlang, unter teilweise abenteuerlichen Bedingungen, aber mit durchschlagendem Erfolg. Janica gewann vor drei Jahren die erste olympische Wintermedaille für Kroatien,und bei der WM vor zwei Jahren in St. Moritz wurde der Slalom gar zu einer Familienangelegenheit: Janica siegte bei den Damen, Ivica bei den Herren.
Keine Schule - Janica kommt
Heute ist die Kostelic-Familie reich, und Janica hätte sich trotz ihrer gerade erst 23 Jahre schon längst zur Ruhe setzen können. Um ihr Auskommen wird sie sich bis an ihr Lebensende nicht sorgen müssen, ihre Popularität in der Heimat sprengt jede Grenze. Als sie aus Salt Lake City zurückkehrte, waren alle Schulen und städtischen Einrichtungen in Zagreb geschlossen - Zehntausende Fans bereiteten ihr einen einzigartigen Empfang.Einzigartig bis zur WM in St. Moritz - danach nahm der komplette Kostelic-Clan die Ovationen entgegen. Der finanzielle Anreiz kann es also nicht sein, der Janica immer noch antreibt.
Hinter all den Siegen muß bei der Kroatin ein Wille stecken, der keine Grenzen zuläßt. Sie hat schließlich nicht nur so viele Erfolge hinter sich, daß sie satt sein könnte - sie hat vor allem so viele Operationen und eine Krankheitsgeschichte hinter sich, daß sie es leid sein könnte. Das einzige, was Janica Kostelic mehr als Medaillen hat, sind Operationen. Ihr rechtes Knie hat sie sich 1999 bei einer Abfahrt in St. Moritz so zerfetzt, daß das Ende der Karriere mit 17 Jahren nahe schien. Es folgte Operation auf Operation, Schmerzen im Training, Schmerzen im Rennen und zuweilen kleine Wunderheilungen - bis zum nächsten Mal.
Als sei das alles nicht genug, wurde sie vor zwei Jahren auch noch krank, verlor Gewicht, fühlte sich schlapp, was sie zumindest verdächtig machte, daß nicht alles in ihrer Karriere ohne verbotene Mittel zustande gekommen sei. Nach der Ursache ihrer Probleme wurde lange gesucht, ehe die Ärzte eine Schilddrüsenerkrankung diagnostizierten. Sie wurde operiert, und an den Skistrecken sah man sie nur als Zuschauerin.
Von einem Extrem ins andere
Nun ist sie wieder da, und fast schon wieder ganz oben. Im Gesamt-Weltcup ist sie Zweite hinter der Finnin Tanja Poutiainen, aber aufgrund ihrer Vielseitigkeit hat die Kroatin die besseren Chancen. Trotz ihrer Probleme mit den Knien startet sie nämlich nicht nur in allen Disziplinen - sie kann auch überall Plätze auf dem Siegerpodest erreichen. In Bormio schaffte sie das, wovon auch Hilde Gerg, die Slalom-Olympiasiegerin von 1998, geträumt hatte: den Sprung von einem Extrem ins andere. Janica Kostelic, die Slalom-Olympiasiegerin von 2002 und aktuelle Weltmeisterin in der Zickzack-Fahrt, ist nun auch auf dem schnellsten Weg von oben nach unten die Beste.
"Das ist vielleicht der größte Sieg meiner Karriere", sagte sie, und ihre Karriere ist reich an Triumphen. "Ich hätte nie gedacht, daß es wirklich passieren würde", sagte sie, was man ihr gerne abnimmt. Sie hatte noch nie ein Weltcup-Rennen in den schnellen Disziplinen gewonnen, aber bei der letzten Schußfahrt vor diesen Titelkämpfen mit einem zweiten Platz in Cortina d'Ampezzo angedeutet, was auf der WM-Strecke in Santa Caterina passieren könnte.
Daß sie sich überhaupt wieder in die Hochgeschwindigkeitsabteilung der Alpinen gewagt hat, ist für viele schon eine irrsinnige Leistung, die ihren Horrorsturz von St. Moritz noch vor Augen haben. Doch an den 17 Jahre alten Teenager von damals erinnert die mittlerweile 23 Jahre alte Doppelweltmeisterin kaum noch. Sie hat - vorsichtig geschätzt - mindestens zehn Kilo an Körpergewicht zugelegt, und sagt, zu einer guten Abfahrerin habe ihr lange vor allem ein dicker Hintern gefehlt, aber daran habe sie gearbeitet. Das klingt lustig, ist aber letztlich vielleicht gar nicht so lustig. In jedem Fall bleibt sie rätselhaft. Auf ihren Helm hat sie eine merkwürdige Botschaft geschrieben, die von ganz anderen Sehnsüchten handelt: "Sex ist böse, böse zu sein, ist eine Sünde. Vergib eine Sünde, und du kannst Sex haben."
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08. 02. 2005, Nr. 32 / Seite 29
Bildmaterial: REUTERS, dpa/dpaweb
Vom Tolpatsch im Schnee zur Skikönigin
Von Peter Penders, Bormio
07. Februar 2005 Aufgepaßt, liebe Eltern: Wenn Sie in diesen Tagen zum ersten Skiurlaub mit ihrer Tochter aufbrechen, aber ihr kleiner Liebling beim Skikurs ständig über die in den etwas zu klobigen Skischuhen steckenden Füße stolpert und in der kichernden Gruppe als Tolpatsch auffällt, weil sie den anderen Zwergen immer in die Quere kommt - geben Sie die Hoffnung nicht auf, und außerdem muß Ihnen das nicht peinlich sein. Möglicherweise schlummert trotzdem ein verborgenes Bewegungstalent in ihrem Kind. Genauso war es nämlich bei der erfolgreichsten Skifahrerin der Gegenwart.
Als sich Janica Kostelic im Alter von drei Jahren zum ersten Mal auf diesen zwei Brettern versuchte, ging so ziemlich alles schief, was schiefgehen konnte. Daran änderte sich zunächst auch nichts. "Wir haben schon gedacht, daß sie das nie lernen wird", sagt Mutter Marica. Hat sie doch, und wie: Zwei WM-Titel vor zwei Jahren in St. Moritz, zweimal Weltcup-Gesamtsiegerin, drei Gold- und eine Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City und nun auch schon wieder zwei WM-Titel (Kombination und Abfahrt) bei den Weltmeisterschaften 2005. Doch in Bormio muß das noch nicht alles gewesen sein - sowohl im Riesenslalom als auch im Slalom gehört die Kroatin zu den Favoritinnen.
Der Weg vom kleinen Dreikäsehoch, der ständig im Schnee lag, bis zur unumstrittenen Skikönigin war weit und möglicherweise nicht das, was man allgemein unter einer schönen Kindheit versteht. Vater Ante hatte früh das Potential erkannt, das in Janica und ihrem Bruder Ivica steckt - sowohl das sportliche als auch das finanzielle. Die Kostelic-Kinder haben so trainiert, wie man das im Tennis von den russischen Damen kennt, die sich derzeit in der Weltrangliste auf vorderen Plätzen tummeln. Stundenlang, unter teilweise abenteuerlichen Bedingungen, aber mit durchschlagendem Erfolg. Janica gewann vor drei Jahren die erste olympische Wintermedaille für Kroatien,und bei der WM vor zwei Jahren in St. Moritz wurde der Slalom gar zu einer Familienangelegenheit: Janica siegte bei den Damen, Ivica bei den Herren.
Keine Schule - Janica kommt
Heute ist die Kostelic-Familie reich, und Janica hätte sich trotz ihrer gerade erst 23 Jahre schon längst zur Ruhe setzen können. Um ihr Auskommen wird sie sich bis an ihr Lebensende nicht sorgen müssen, ihre Popularität in der Heimat sprengt jede Grenze. Als sie aus Salt Lake City zurückkehrte, waren alle Schulen und städtischen Einrichtungen in Zagreb geschlossen - Zehntausende Fans bereiteten ihr einen einzigartigen Empfang.Einzigartig bis zur WM in St. Moritz - danach nahm der komplette Kostelic-Clan die Ovationen entgegen. Der finanzielle Anreiz kann es also nicht sein, der Janica immer noch antreibt.
Hinter all den Siegen muß bei der Kroatin ein Wille stecken, der keine Grenzen zuläßt. Sie hat schließlich nicht nur so viele Erfolge hinter sich, daß sie satt sein könnte - sie hat vor allem so viele Operationen und eine Krankheitsgeschichte hinter sich, daß sie es leid sein könnte. Das einzige, was Janica Kostelic mehr als Medaillen hat, sind Operationen. Ihr rechtes Knie hat sie sich 1999 bei einer Abfahrt in St. Moritz so zerfetzt, daß das Ende der Karriere mit 17 Jahren nahe schien. Es folgte Operation auf Operation, Schmerzen im Training, Schmerzen im Rennen und zuweilen kleine Wunderheilungen - bis zum nächsten Mal.
Als sei das alles nicht genug, wurde sie vor zwei Jahren auch noch krank, verlor Gewicht, fühlte sich schlapp, was sie zumindest verdächtig machte, daß nicht alles in ihrer Karriere ohne verbotene Mittel zustande gekommen sei. Nach der Ursache ihrer Probleme wurde lange gesucht, ehe die Ärzte eine Schilddrüsenerkrankung diagnostizierten. Sie wurde operiert, und an den Skistrecken sah man sie nur als Zuschauerin.
Von einem Extrem ins andere
Nun ist sie wieder da, und fast schon wieder ganz oben. Im Gesamt-Weltcup ist sie Zweite hinter der Finnin Tanja Poutiainen, aber aufgrund ihrer Vielseitigkeit hat die Kroatin die besseren Chancen. Trotz ihrer Probleme mit den Knien startet sie nämlich nicht nur in allen Disziplinen - sie kann auch überall Plätze auf dem Siegerpodest erreichen. In Bormio schaffte sie das, wovon auch Hilde Gerg, die Slalom-Olympiasiegerin von 1998, geträumt hatte: den Sprung von einem Extrem ins andere. Janica Kostelic, die Slalom-Olympiasiegerin von 2002 und aktuelle Weltmeisterin in der Zickzack-Fahrt, ist nun auch auf dem schnellsten Weg von oben nach unten die Beste.
"Das ist vielleicht der größte Sieg meiner Karriere", sagte sie, und ihre Karriere ist reich an Triumphen. "Ich hätte nie gedacht, daß es wirklich passieren würde", sagte sie, was man ihr gerne abnimmt. Sie hatte noch nie ein Weltcup-Rennen in den schnellen Disziplinen gewonnen, aber bei der letzten Schußfahrt vor diesen Titelkämpfen mit einem zweiten Platz in Cortina d'Ampezzo angedeutet, was auf der WM-Strecke in Santa Caterina passieren könnte.
Daß sie sich überhaupt wieder in die Hochgeschwindigkeitsabteilung der Alpinen gewagt hat, ist für viele schon eine irrsinnige Leistung, die ihren Horrorsturz von St. Moritz noch vor Augen haben. Doch an den 17 Jahre alten Teenager von damals erinnert die mittlerweile 23 Jahre alte Doppelweltmeisterin kaum noch. Sie hat - vorsichtig geschätzt - mindestens zehn Kilo an Körpergewicht zugelegt, und sagt, zu einer guten Abfahrerin habe ihr lange vor allem ein dicker Hintern gefehlt, aber daran habe sie gearbeitet. Das klingt lustig, ist aber letztlich vielleicht gar nicht so lustig. In jedem Fall bleibt sie rätselhaft. Auf ihren Helm hat sie eine merkwürdige Botschaft geschrieben, die von ganz anderen Sehnsüchten handelt: "Sex ist böse, böse zu sein, ist eine Sünde. Vergib eine Sünde, und du kannst Sex haben."
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08. 02. 2005, Nr. 32 / Seite 29
Bildmaterial: REUTERS, dpa/dpaweb