Türkischer Rambo fällt in Ungnade
Noch letztes Jahr feierten viele Türken das blutig-nationalistische Söldner-Drama "Tal der Wölfe" frenetisch im Kino, der Held des Films wurde zur Identifikationsfigur für die Jugend. Die gleichnamige TV-Serie wurde jetzt nach nur einer Folge abgesetzt - aus Angst vor politisch motivierten Morden.
Die Stimmung in dem Überlandbus ist entspannt, einige der Passagiere dösen vor sich hin, der Fahrer hat das Licht gelöscht. Plötzlich Schüsse, ein bewaffnetes Kommando stoppt den Bus. "Holt eure Personalausweise raus, schnell, schnell!", bellt einer der Guerilleros, der in den Bus stürmt. Die Hände der Passagiere zittern, als sie nach ihren Papieren nesteln, sie spüren, es geht um Leben und Tod. Sechs Männer drängt der maskierte Kämpfer mit dem Gewehrkolben nach draußen - darunter einen Wehrdienstleistender, den Vater eines Polizisten, einen Ingenieur, einen Lehrer. Sie sind offenbar Feinde, weil sie für den verhassten türkischen Staat arbeiten. Gleich darauf hört man Schüsse - nach Nazi-Manier werden die Männer im Straßengraben abgeknallt, vor den entsetzen Augen der übrigen Fahrgäste.
So brutal, so menschenverachtend morden kurdische Terroristen in der neuen türkischen Fernsehserie "Tal der Wölfe - Terror" ("Kurtlar Vadisi - Terör"). Im letzten Jahr hatte die Wölfe-Serie mit ihrem Helden Polat Alemdar Zuschauerrekorde gebrochen, nun versprach sich die Produktionsfirma natürlich auch von der Fortsetzung satte Gewinne, vor allem durch Werbeeinnahmen. Doch schon nach der ersten Folge wurde die Reihe jetzt abgesetzt, vorerst verboten von der türkischen Rundfunkaufsicht RTÜK. Die Kritik: Die Serie sei gewaltverherrlichend und schüre Spannungen in der Gesellschaft.
Tausende Zuschauer, denen in den vergangenen Wochen schon vor dem Sendestart Kostproben der Serie gezeigt worden waren, hatten zuvor gegen den Streifen protestiert. Als gestern Abend der zweite Teil der neuen Staffel im privaten Kanal Show TV über den Bildschirm gehen sollte, rollte vor den Augen der Zuschauer nur eine Erklärung der Produktionsfirma Pana-Film ab. Unter der Androhung, ansonsten dem Kanal die Lizenz zu entziehen, habe man die Sendung absetzen müssen. Die Produzenten sprachen von "Zensur". Dabei war die erste Folge bei weitem keine Blutorgie, wie der Kino-Hit "Tal der Wölfe - Irak". Doch weitere Folgen, hieß es, zeigten sehr problematische Szenen.
Das Sendeverbot für einen solchen Film ist eine Sensation für die Türkei. Denn Polat Alemdar, der Agent, der in der ersten Staffel gegen die Mafia, und nun gegen kurdischen Terror kämpft, war schon fast eine Art Nationalheld geworden. Ein furchtloser Kämpfer gegen das Böse, ein kühler Racheengel, dem vor allem eines am Herzen liegt: die Ehre der Türkei. In dem Kinofilm "Tal der Wölfe - Irak", der in der Türkei Zuschauerrekorde brach, in Deutschland aber als anti-westlicher Hetzfilm hochumstritten war, wurde er losgeschickt, um die Demütigung türkischer Soldaten durch amerikanische Spezialeinheiten im Nordirak zu vergelten.
Eigentlich teilt die Serie die nationalen türkischen Werte: Sie zeigt die dunklen Netze der Mafia, bekämpft Drogendealer, lässt sich von den Amerikanern nicht am Gängelband führen und verurteilt jetzt auch den Terror, beweint gefallene Soldaten, tröstet deren verzweifelte Mütter. Jugendliche machten Polat, dessen Darsteller Necati Sasmaz eher zufällig zum Film kam, zu ihrem neuen Helden. Sie zogen sich dunkle Sonnebrillen auf, ahmten seinen kontrollierten Gang, seine sparsame Mimik nach.
Der türkische Kolumnist Yusuf Kanli berichtete davon, dass die Söhne seiner Freunde seit ihrer Verehrung Kurtlar Vadisis selbst kleinere Konflikte mit Gewalt zu lösen versuchten, für die sonst ein höfliches Wort gereicht hätte. Einige Eltern hätten gar schon psychologische Hilfe in Anspruch nehmen müssen. "Die Türkei von heute ist ein Land geworden, in der sich jeder ein Waffe besorgen kann, in dem 17-jährige Jungs als Killer angeheuert werden und wo Diebstahl, Vergewaltigung und alle Formen von Gewalt alarmierende Ausmaße angenommen haben", klagte Kanli, dem dann sogar das Bekenntnis herausrutschte: "Danke dir Gott, dass ich keinen Sohn haben."
Genau hier liegt das Problem. Kann, darf einer ein Held, ein Vorbild sein, der das Gesetz in die Hand nimmt und mit einer Bande von Freunden, die wie eine kleine Privatarmee funktioniert, aufräumt - vorbei an der Polizei, der Armee?
Eine Soldatenmutter, die weinend den Grabstein ihres Sohnes umarmt, bittet Polat um Hilfe. Ihr Sohn fiel im Kampf gegen die Kurden-Miliz PKK, deren Name natürlich nicht fällt, aber alle wissen, von wem die Rede ist. Nun soll ein neuer Anführer große Aktionen im Südosten planen, Polat berät mit seinen Freunden, ob sie dorthin gehen und den Kampf aufnehmen. "Haben wir jemals jemanden zurückgewiesen, der um unsere Hilfe gebeten hat?", fragt Polat. "Die Sache hat kein Ende", wendet sein Freund Hikmet überraschend ein, "dafür ist die Polizei, das Militär, der Landrat, der Gouverneur zuständig". Doch Polat lässt das nicht gelten: "Haben Polizisten und Soldaten etwa keine Mütter und Väter? Ihr Hilferuf hat für mich absoluten Vorrang." Der kleine Arif, Bruder des gefallenen Soldaten, schaut bewundernd zu dem selbsternannten Rächer auf. "Wenn ich einmal groß bin, will ich auch die Welt retten." Immerhin rät Polat ihm, nicht nur Fernsehen zu schauen, sondern auch zur Schule zu gehen.
Doch zum Privatkrieg im Südosten der Türkei kommt es nun nicht mehr. Selbst Generalstabschef Yasar Büyükanit soll die neue Serie missbilligt haben. Denn seit letztem Jahr, als sogar das halbe Kabinett den Irak-Reißer mit Polat Alemdar anschaute und die Frau des Ministerpräsidenten lobte, der Film sei "so schön", ist viel geschehen. In einem Städtchen am Schwarzen Meer wurde ein Priester vor seiner Kirche ermordet, erschossen von einem 16-Jährigen. Ein oberster Richter wurde getötet - von einem nationalistischen Islamisten, der angab, sich für eine Entscheidung des Gerichts gegen das Kopftuch rächen zu wollen. Und dann starb am 19. Januar der armenisch-stämmige Publizist Hrant Dink, hingerichtet auf offener Straße von einem 17-Jährigen, der behauptete, Dink habe mit seinen Artikeln die Ehre der Türkei besudelt.
Der Dink-Mord hat enthüllt, wie gefährlich die derzeitige nationalistische Hetzstimmung ist. Bald stehen Präsidentenwahlen an, das politische Klima dürfte sich noch weiter aufheizen. Jetzt muss alles getan werden, um selbsternannte "Vaterlandsretter" nicht noch weiter zu ermutigen. Die Türkei steht an einem Scheideweg.
Doch auch gegen das Sendeverbot gibt es bereits Proteste. In einer ersten Umfrage noch in der Nacht protestierten empörte Zuschauer gegen die politische Zensur. Auch die Produktionsfirma will sich wehren. Sie behauptet, ihre Serie schüre keineswegs Hass gegen die Kurden im Südosten. Polats Fans sollen ihren Helden trotzdem weiter bewundern dürfen:
Die Produzenten kündigten an, die Serie nun über Internet oder auf DVD zu verbreiten.
Quelle:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,466766,00.html