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AMNESTY INTERNATIONAL KÄMPFT FÜR BRISHNA (10)[h=1]Vergewaltigtem Mädchen
droht der „Ehrenmord“[/h][h=2]Das Mädchen aus Kunduz (Afghanistan) wurde nach der Religionsstunde von einem Mullah vergewaltigt. Jetzt drohen Angehörige, Brishna zu töten, weil sie ihre Familienehre beschmutzt sehen[/h]
VergrößernDie afghanische Frauenrechtlerin Dr. Hassina Sarwari kümmerte sich nach dem Verbrechen um Brishna, sprach öffentlich über die Ehrenmord-Pläne der Angehörigen
Foto: BRYAN DENTON/The New York Times//Redux/laif
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28.10.2014 - 18:01 Uhr
Diesen – drohenden – Mord an einem unschuldigen Kind können wir im Westen nicht einmal ansatzweise verstehen. Aber vielleicht verhindern!
- VON ALBERT LINK
Weltweit ruft die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dazu auf, sich bei Repräsentanten des afghanischen Staates für die Rettung eines zehnjährigen Mädchens einzusetzen. Zu verhindern, dass Brishna zum zweiten Mal Opfer eines mittelalterlichen Mädchen- und Frauenbildes und eines pervertierten Verständnisses von „Ehre“ wird.
Amnesty engagiert sich für Frauenrechte in Afghanistan. Selmin Çalışkan (47), Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, hat über einen Zeitraum von zehn Jahren selbst in Afghanistan gearbeitet. Zu BILD sagt sie den bitteren Satz: „Mädchen existieren eigentlich gar nicht in dieser Gesellschaft. Sie 'gehören' der Familie – und haben kein Recht über sich selbst zu bestimmen.“
VergrößernSelmin Çalışkan (47), die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, arbeitete zehn Jahre in Afghanistan, hofft auf eine große ProtestwelleFoto: Imago
[h=3]Vergewaltigung nach der Koran-Stunde[/h]Der Leidensweg von Brishna (10) beginnt am 1. Mai dieses Jahres. Nach einer Koranstunde in der Moschee fällt der Mullah, Mohammed Amin, über das zierliche Mädchen her.
Die Zeitung „New York Times“ wird später unerträgliche Details des medizinischen Befundes zitieren. Dazu nur dies: Brishna verliert so viel Blut und wird so spät in die Obhut von Medizinern gegeben, dass sie zwischenzeitlich in Lebensgefahr schwebt.
Helfer der Frauenrechtsorganisation „Women for Afghan Woman“, die in Kunduz eines von landesweit sieben Frauenhäusern unterhält, verschaffen Brishna nach ihrer Entlassung einen geschützten Platz zur Genesung.
VergrößernDank der Appell-Aufrufe von Amnesty Internationnal – hier in Australien – bewegt Brishnas Schicksal inzwischen Menschen weltweitFoto: AFP PHOTO/Aref KARIMI
Der Täter ist geständig. Er behauptet allerdings, Brishna habe auf ihn wie eine 17-jährige gewirkt und sie habe auf seinen Avancen „geantwortet“. Das Mädchen ist nach Angaben ihrer Mutter zehn Jahre alt, wiegt etwas mehr als 18 Kilogramm, und ist, wie Fotoaufnahmen aus dem Krankenhaus zeigen, offensichtlich vor-pubertär.
Als zwei Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation beginnen, öffentlich über den Fall zu sprechen, bekommen sie Morddrohungen.
Als sie Brishna aus dem Krankenhaus holen, versammelt sich dort die Großfamilie, darunter Brishnas Brüder, Vater und ein Onkel, fordern die Herausgabe des Mädchens. Eine Tante führt die Verhandlungen, sagt nach Aussage der Frauenrechtlerin Dr. Hassina Sarwari: „Sie wollen sie umbringen und in den Fluss werfen.“
VergrößernDie Burka ist als traditionelles Kleidungsstück für Frauen in Afghanistan noch immer allgegenwärtig. Selbst die Augen werden verhülltFoto: dpa
„Ehrenmorde“ wie diese sind in Afghanistan an der Tagesordnung, gelten doch auch die Opfer einer Vergewaltigung als „Schande“ – und als nicht mehr „verheiratbar“. Offiziell bekannt werden etwa 150 Fälle im Jahr. „Die Dunkelziffer liegt deutlich höher", sagt Amnesty-Chefin Selmin Çalışkan.
Häufig würden Frauen angezündet und verbrannt, da dieses leicht als Selbstmord getarnt werden könne. In der absoluten Mehrzahl der Fälle bleiben die Täter völlig unbestraft.
Zwar wurde 2009 ein Gesetz eingeführt, das Frauen und Mädchen vor familiärer Gewalt, Zwangsehen und Ehrenmorden schützen soll, allerdings existiert dies vor allem auf dem Papier, wirklichen Schutz gibt es nicht. Da Polizisten und Richter das Gesetz nicht kennen oder nicht anwenden wollen.
VergrößernSchaukelndes Mädchen auf einem Spielplatz in Kabul: Während sich die Hauptstadt zaghaft öffnete, gelten in der Provinz noch immer archaische GesetzeFoto: AP/dpa
Mädchen wie Brishna sind de-facto schutzlos. Kaum ist sie gesundheitlich über den Berg, wird ihrer Familie wieder das Sorgerecht zugesprochen. Sie habe „Heimweh“, sagt die örtliche Polizei zur Begründung, als sie das Mädchen im Juli aus dem Frauenhaus abholen.
[h=3]Der Vergewaltiger bietet an, sein Opfer zu heiraten[/h]Der Mullah kommt in Untersuchungshaft. Von dort bietet Mohammed Amin an, Brishna zu heiraten. Das Mädchen, das er bei seiner Vergewaltigung fast getötet hat, soll ihn auch noch zum Ehemann nehmen!
Nach Angaben der Menschenrechtskommission in Afghanistan werden etwa zwei Drittel der afghanischen Mädchen unter 16 bereits zwangsverheiratet.
VergrößernMutige Wortführerin: Amnesty-Chefin Selmin Çalışkan bei einer Anti-Folter-Demo vergangene Woche in BerlinFoto: Imago
[h=3]Protest formiert sich weltweit[/h]Der Protestaktion von Amnesty Internationalformiert sich nach und nach weltweit. Allein in Deutschland haben sich Tausende der Online-Petition angeschlossen, andere haben Briefe u.a. an den Justizminister in Kabul und an die afghanische Botschaft in Berlin verschickt.
Der internationale Druck auf die afghanische Regierung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der Fall vor einem Kabuler Gericht verhandelt wurde. Das Urteil in erster Instanz: 20 Jahre für den Vergewaltiger.
„Die internationale Gemeinschaft muss nun dringend dafür sorgen, dass die Rechte von Mädchen und Frauen von der jetzigen afghanischen Regierung unterstützt und hochgehalten werden“, fordert Selmin Çalışkan.
Unterdessen fürchtet die afghanische Frauenrechtlerin, die den Fall öffentlich gemacht hat, um ihr Leben. Sie erhielt auch aus dem Familienumfeld von Brishna Morddrohungen.
Brishnas Vater hat seine Tochter von der Schule abgemeldet. Begründung: Die „Schande“ durch das Geschehene.