Fast 30 Jahre nach dem Zerfall stellen sich viele noch immer die Frage: Was wäre gewesen, wenn Jugoslawien als gemeinsamer Vielvölkerstaat noch heute existieren würde? Wir bringen 5 Fakten, wie das heutige Jugoslawien aussehen würde anhand von Experten-Prognosen wie denen von und der heutigen Zahlen seiner Nachfolgestaaten.
Das schwierige bei solchen Alternativszenarien und rhetorischen Fragen ist vor allem dass die vorherigen Geschehnisse komplett weggelassen und aus dem Kontext gerissen werden und eine Hypothese aufgestellt wird, die vom Grundsatz nicht richtig aufgebaut ist.
Vielleicht werden sich einige noch daran erinnern, dass vor ca. 10 Jahren ein sogenannter Balkanologen-Kongress in Paris organisiert wurde, dass unter anderem auch dieses Thema behandelt hat. Am Ende der Tagung meldet sich ein gewisser deutscher Professor zu Wort der ohne gross analytisch und systematisch die Thematik zu behandeln versucht, dass wenn Milosevic nicht an die Macht gekommen wäre, Jugoslawien noch heute existieren würde.
Auch die bizarre axiomatische Behauptung sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nach seiner Auffassung Tudjman, Kucan und Izetbegovic lediglich die jugoslawische Verfassung und Föderation verteidigt haben, wo zwei von ihnen schon wegen ihrer früherer Aktivitäten gegen den selben Staat hinter Gittern gesessen haben, während Milosevic zum selben Zeitpunkt noch ein Student oder Bankier war, ist es noch merkwürdiger, dass der Gedanke eines modernen Wissenschaftlers darin besteht, dass die Aktivität eines Individuums oder ein historischer Moment einen entscheidenden Einfluss auf die Prozesse von langer Dauer haben kann. Damit soll selbstverständlich nicht Milosevics erheblicher Anteil an der Tragödie des blutigen Krieges legitimiert werden, im Gegenteil.
Was auch immer das Verständnis des Zusammenbruchs des zweiten Jugoslawiens war – ob Zerfall, Bürgerkrieg, Separatismus, Unitarismus oder äussere Aggression, es ist sicher, dass die Bedingungen und Weichen für den Untergang Jahrzehnte vorher erreicht und gestellt wurden. In der eigentlichen Grundlage der kommunistischen Ideologie und des Kardeljismus (der Slowene Kardelj war der zweite Mann in Jugoslawien nach Tito, vor allem nach dem Sturz Rankovics) hatte Jugoslawien seinen Zweck und vor allem ein Haltbarkeitsdatum. Die Kriegsbegeisterung der Partisanenbewegung und der titoistische Jugoslawismus waren im Prinzip nur historische Inzidente. Vor allem die nationalen Bewegungen der Slowenen und Kroaten fesselten und führten die Massen dieser Völker an, sowie eigentlich ihre gesamte politische Elite. Einer von vielen Beispielen als Illustration, als die Belgrader Dissidenten in den 1960er Jahren versuchten, eine Art jugoslawische Organisation zu gründen und später zumindest eine oppositionelle Zeitung, kam ihnen niemand aus Slowenien und Kroatien zur Hilfe. Die Zukunft wurde zu keinem Zeitpunkt als ein gemeinsames Projekt angesehen.
Neben heftigen Widersprüchen, altem Hass und blutigem Erbe trugen auch äussere Einflüsse massgeblich zum Zusammenbruch Jugoslawiens bei. In den Nachkriegs Jahren sowohl 1918 als auch 1945 wurde das geopolitische Erscheinungsbild Europas grössenteils durch die Grossmächte bestimmt und gestaltet. Die Stabilität, Fortschritt und die Aufrechterhaltung der Brioni-Verfassung von 1974 ermöglichte die Politik des Kalten Krieges, das enorm viel Geld nach Jugoslawien brachte, dass leider ohne grosse wirtschaftliche Rationalität ausgegeben wurde, vor im Militärischen Apparat, der quasi ein Staat im Staat war. Als das Geld Mitte der siebziger Jahre verschwand, waren die Chancen Jugoslawiens deutlich geringer und die Tage waren eigentlich schon gezählt.
Die jugoslawischen Behörden "bemerkten" Mitte der siebziger Jahre keine Ölkrise, im selben Jahr haben die jugoslawischen Parteiideologen auch den "Winter der Unzufriedenheit" der Bevölkerung in Grossbritannien wahrscheinlich als eine heimtückische Krise des Kapitalismus verstanden. In einer Zeit, in der die Ölkrise global zum Nachdenken regte, wurde in Jugoslawien das Benzin für Schnäppchenpreise verkauft, und eine Investition von acht Milliarden Dollar in den Konsum brachte die Illusion des Wohlstands hervor, so dass die Erinnerungen bis heute noch leben und einen Mythos vom sozialistischem Paradies in den Köpfen der Menschen gefestigt hat.
Ich erinnere mich noch heute zu gut an eine Aussage eines Direktors einer bedeutenden Wirtschaftsinstitution der mit grossem Stolz verkündet hat: So lange wir den Sozialismus noch haben, werden persönliche Darlehen/Kredite mit der Zeit an Wert verlieren, so dass die Schuldner real gesehen nichts zurückgeben müssen. Ausländische Kredite haben bedingt auch in die jugoslawische Krise hin manövriert. Hätte es kein "Missverständnis" mit den MMF Verträgen gegeben, hätte es wahrscheinlich auch keinen grossen wirtschaftlichen Konflikt zwischen den beiden sozialistischen Republiken Serbien und Slowenien in den späten achtziger Jahren ausgelöst.
Als das sozialistische Kroatien mit Hilfe eines solchen Darlehens und auf Kosten anderer Republiken Mitte des Jahrzehnts vor einem Bankrott gerettet wurde, hatte seine Führung nicht das Gefühl, an dem Konflikt zwischen Belgrad und Ljubljana teilnehmen zu können und müssen. Die politische Isolation von Ljubljana führte zu den Missverständnissen der serbischen und jugoslawischen Parteiführung. Sie bildeten die Grundlage der jugoslawischen Krise, die in den frühen neunziger Jahren ihren Höhepunkt fand, aber auch, dass die kroatische kommunistische Führung ihre Legitimität in der Bevölkerung verlor und den Weg für die radikalere Partei ebnete.
Um sich mit anderen gleich berechtigt anzusehen, hätte die kroatische kommunistische Führung hinter das Sozialistische Slowenien stehen müssen. Das Jahr 1991 wäre wahrscheinlich 1986 passiert - vor dem Fall der Berliner Mauer und Zerfall der Sowjetunion. Die Konsequenzen wären sicherlich erheblich geringer gewesen, die Ziele der serbisch-kommunistischen Führung wären rationaler und vernünftiger gewesen. Kriege, ausser vielleicht in Bosnien, wären wahrscheinlich vermieden worden.