Eine schöne Weihnachtsgeschichte...finde ich!
Friede auf Erden
Sie legten die Waffen nieder, spielten Fussball und rauchten Zigaretten.
Zu Weihnachten 1914 verbrüderten sich Deutsche, Briten und Franzosen an
der Westfront. Was sie damals erlebten, notierten die Soldaten in Tagebü
chern und Feldpostbriefen
von Heinrich Rieker
Am 22. Juli 2001 starb im Alter von 106 Jahren der englische Kriegsveteran
Bertie Felstead, einer der letzten Zeugen einer denkwürdigen ,Feindberü
hrung". Es war Weihnachten 1914. Deutsche und britische Soldaten lagen
sich gegenüber. Die Deutschen fingen an. Sie riefen zu den Briten hinü
ber: "Hallo, Tommy!" Prompt kam es von drüben: "Hallo, Fritz!" Das war
das Signal. Die Deutschen krochen aus ihrem Schützengraben, ebenso die
Engländer. Es kam zu einer herzlichen Begrüssung zwischen den Gegnern.
Die Soldaten rauchten gemeinsam Zigaretten und spielten sogar Fußball. Es
war wohl das ungewöhnlichste Fussballspiel aller Zeiten.
"Nach etwa 30 Minuten", so erinnerte sich Felstead, "erschien plötzlich
ein laut brüllender Major und schrie uns an: ,Ihr seid hier, um gegen die
Hunnen zu kämpfen, und nicht, um mit ihnen Freundschaft zu schliessen."
Wir kehrten darauf in unsere Gräben zurück. Während dieser Begegnung
konnte keiner auf uns schiessen, weil wir uns ja alle vermischt hatten.
Die hätten die eigenen Leute getroffen."
Die britischen Soldaten Frank und Maurice Wray schrieben über ihr
Weihnachtserlebnis im Ploegsteert-Wald in Nordflandern nach Hause:
"Soldaten von beiden Seiten kamen aus ihren Löchern heraus, um ihre Beine
auszustrecken und dann im Niemandsland zwischen den Schützengräben zu
fraternisieren - eine angenehme Situation. Viele Erinnerungsstücke wurden
ausgetauscht, von Knöpfen und Abzeichen bis zu vom Kaiser geschenkten
Zigarren. Das am meisten geschätzte Andenken war die berühmte
Pickelhaube. Unsere Währung dafür waren Bully Beef (Büchsenrindfleisch)
und Tickler's Plum and Apple (Apfel-Pflaumen-Marmelade). Sie fragten nach
Orangenmarmelade, aber wir hatten selbst keine gesehen, seitdem wir von
Englang weg waren. Am nächsten Tag schrie jemand: ,Gestern hab ich dir
meinen Hut gegen Bully Beef gegeben. Morgen habe ich grosse Inspektion.
Leih ihn mir bitte, ich geb' ihn dir dann zurück." Gesagt, getan, die
Abmachung wurde eingehalten und mit einer Zugabe von Bully Beef besiegelt.
Etwa zehn Tage lang sollte dieser Zustand noch andauern." Seine Erlebnisse
im Niemandsland von Reims schildert der deutsche Schütze Lättgen: "Am
Vormittag des 25. Dezember stellt wieder einer sein Bäumchen auf die
Brustwehr. Da beginnen Arme und Käppis zu winken. Einer wagt sich bei uns
halb aus dem Graben heraus. Schon folgen drei Rothosen. Nun steckt einer
nach dem anderen die Nase hervor. Schliesslich gehen drei Unteroffiziere,
beide die Hände in den Hosentaschen, aufeinander zu, treffen sich mitten
im Niemandsland, reichen sich die Hände und beginnen ein Gespräch. Der
Franzmann spricht deutsch. Es dauert nicht lange, da wächst die Gruppe auf
20 Mann an. Alle haben ihre Waffen hübsch zurückgelassen. Das Misstrauen
schwindet schnell, und jetzt kommen auch der letzte Poilu und Boche aus
den Gräben. Sich beschnüffeln, Hände schütteln, radebrechen. Bekommt man
sich doch sonst nur als huschende Schatten im Geisterschein des Mondes zu
ahnen. Die Kompanieführer sind ratlos. Das ist ja wider alle
Kleiderordnung. Aber man macht gute Miene zum bösen Spiel und gibt schnell
die Parole aus, den da drüben in die Kochtöppe zu kieken. Zuerst wollen
die Franzosen haarklein wissen, wie es mit ihren Bundesgenossen stände. Ob
denn die Russen wirklich nicht vor Berlin lägen. Wie wir denn die 600 000
Gefangenen, mit denen wir prahlten, ernährten. Ob sie uns, da wir doch
sowieso die Hungersnot im Lande hätten, nicht kahl fräßen. ,Wir bebauen
die eroberten Flächen für den Herbst", sagten wir ihnen. ,Und wenn nötig,
erobern wir genügend dazu. Für euch auch, wenn ihr erst im Extrazug nach
Deutschland fahrt!" Voll Wut zeigen sie sich auf die großmäuligen Tommys
und die säumigen Russen. Noch erboster sind sie auf die eigene Presse, der
man nicht glauben könne, am zornigsten auf ihre Regierung: ,Es sind immer
nur die Mächtigen, die den Krieg wollen." Zu essen hätten sie genug, nur
keinen Tabak. Der wurde ihnen von uns reichlich geschenkt. Da rast ein
gestikulierender französischer Unteroffizier heran: ,Kameraden, der
Hauptmann tobt. Feuer! Feuer! Feuer!" Er legt wie zum Schießen an, er
winkt zurück. Neue Verabredung zu Silvester. Ein Schrapnell von drüben.
Hoch über aller Köpfe regnen seine Splitter gefahrlos herab. Im Nu ist
alles verschwunden, und der blutige Ernst wieder da." Das Fest der Liebe
überwältigte Freund und Feind. Ein erschütternder Bericht findet sich in
der Chronik des Westfälischen Infanterieregiments 15 (Prinz Wilhelm der
Niederlande). Der damalige Leutnant Menke notierte in seiner
Regimentsgeschichte: "Am Nachmittag des 24. Dezember 1914 zeigte sich die
englische Artillerie zunächst durchaus nicht festlich-friedlich gestimmt.
Sie zerstörte in Le Maisnil (Französisch Flandern) zwei Quartierhäuser und
mußte dafür von unseren Batterien gehörig abgestraft werden. Dann aber,
als die Sonne hinter den englischen Linien versank, trat Ruhe ein. Sogar
Wind und Wetter setzten aus. Eine wahre stille Heilige Nacht! Soweit das
Ohr reichte, kein Schuß, kein Laut - überall ,Gewehr in Ruh". Auch im
Schützengraben fehlte der Weihnachtsbaum nicht, wohl jeder Zug sah einen
in seiner Mitte. Als am tiefdunklen Himmel die Sterne aufleuchteten,
stellte jemand das Lichterbäumchen auf die Brustwehr. Das Beispiel fand
Nachahmung, und es dauerte nicht lange, bis in langer Reihe viele
Weihnachtsbäume die deutsche Linie zierten. Wo sonst Tod und Verderben
lauerten, gebot dieses schlichte Zeichen des deutschen Weihnachtsfestes
,Friede auf Erden". Englische Soldaten erklärten am nächsten Tage, der
Anblick der Weihnachtsbäume und der Gesang der deutschen Weihnachtslieder
seien überwältigend gewesen. Auch im Glanz der Weihnachtskerzen kroch im
Niemandsland eine deutsche Patrouille vom 3. Bataillon herum. Anstatt die
übliche Begrüßung mit der Kugel zu erhalten, wurde sie plötzlich vom
englischen Graben aus angerufen. Man schlug ihr vor, morgen Waffenruhe zu
halten, um die Toten zu beerdigen. Hauptmann Lindow erstattete Meldung,
und die Vorgesetzten willigten ein. Noch war die Genehmigung nicht im
Graben, als am frühen Morgen des ersten Feiertages auf der englischen
Brustwehr Mann an Mann erschien. Mächtig große Kerle in der originellen
Pracht der Schotten mit dem Faltenröckchen standen ohne Waffen da, winkten
uns zu und riefen ,Merry Christmas". Wir waren alle überrascht. Mit den
englischen Offizieren wurde vereinbart, daß jede Seite nur vor ihrem
Graben zu beerdigen habe. Doch es dauerte nicht lange, bis die Tommys mit
ihren Feinden anbändelten, obwohl sich unsere Leute erst zurückhaltend
und ablehnend verhielten. Es kam schließlich doch zu Unterhaltungen und
zum Austausch von Zigaretten. Immer wieder erwähnten die Engländer ihren
Angriff vom 18. Dezember, schilderten die furchtbare Wirkung unseres
Feuers und lobten die Tapferkeit der deutschen Verteidiger. Sie
erkundigten sich lebhaft nach dem Verbleib eines Captain, der sich in den
Kolonien viele Verdienste und Orden erworben hatte. Unsere Leute zeigten
das Grab, in dem er seit dem Angriffstag ruhte. Als die Engländer
hinzutraten und die an das schlichte Holzkreuz geheftete Ordensschnalle
sahen und die Inschrift lasen ,Hier ruht ein tapferer Bedfort-Captain",
waren sie zu Tränen gerührt. Als am frühen Morgen des 25. Dezember beim
Hellwerden unsere Posten die Engländer auf der Brustwehr stehen sahen,
bemerkten sie, wie diese mit einer weißen Flagge winkten. Einer unserer
Offiziere stieg aus dem Graben und wartete, bis zwei englische Offiziere
herankamen. In köstlichem Kauderwelsch wurde von 11 bis 13 Uhr eine
örtliche Waffenruhe vereinbart, um die vielen englischen Toten zu
beerdigen. Als gegen 13 Uhr die Arbeit beendet war, kam ein englischer
Offizier auf unseren Bataillonsadjutanten zu und fragte, ob wir nicht
einen Geistlichen unter unseren Leuten hätten. Das Bataillon hatte zwar
keinen, wohl aber einen Studenten der Theologie, der herbeigerufen wurde.
Es trat nun eine Abordnung der Engländer auf die eine Seite des
Massengrabs und eine deutsche Abordnung auf die andere. Dann sprach der
englische Geistliche ein paar Worte und danach der deutsche Student. Einem
gemeinsamen englischen Gebet für einen baldigen, für beide Seiten
ehrenvollen Frieden folgte das Vaterunser in beiden Sprachen. Anschließ
end herrschte einen Augenblick tiefe Stille. Schließlich schüttelten
sich die feindlichen Offiziere spontan die Hand. Dann war diese seltsamste
Feier des Krieges beendet. Doch bis zum Einbruch der Dunkelheit
beschenkten sich die gegnerischen Soldaten. Manche Liebesgabe und manche
heimatliche Zigarette wanderte in den englischen Graben, während unsere
Soldaten in englischen Konserven schwelgten. Die Beerdigungen dauerten
auch den zweiten Feiertag an, selbst den folgenden Tag nahmen die
Engländer noch für sich in Anspruch und zeigten gar keine Lust, den
Kriegszustand wiederherzustellen. Ohne Waffen standen sie oft auf der
Brustwehr, während es den deutschen Soldaten streng verboten war, sich au
ßerhalb des Grabens zu zeigen. Auch Silvester und Neujahr wollten die
Schotten nichts vom Krieg wissen. Sie zeigten sich nicht mehr, und sie
schossen auch nicht. Nur am Neujahrstage ließen sie sich einmal hören,
als sie zur Feier des Tages drei Salven in die Luft knallten. Dann aber
begann wieder die Artillerie auf beiden Seiten mit ihrem Feuer. Bei ihr
gab es ja nicht die ,menschlichen" Berührungen wie bei den Infanteristen.
Und bald ging es von Graben zu Graben wieder los. Das biblische ,Auge um
Auge, Zahn um Zahn" trat wieder in seine Rechte."
Heinrich Rieker, Jahrgang 1925, ist Wirtschaftsjournalist. Sein
Interessengebiet ist die Geschichte beider Weltkriege. Unser Beitrag
basiert auf einem nicht veröffentlichten Buch-Manuskript.
Artikel erschienen am Mi, 22. Dezember 2004
aus www.diezeit.de
Friede auf Erden
Sie legten die Waffen nieder, spielten Fussball und rauchten Zigaretten.
Zu Weihnachten 1914 verbrüderten sich Deutsche, Briten und Franzosen an
der Westfront. Was sie damals erlebten, notierten die Soldaten in Tagebü
chern und Feldpostbriefen
von Heinrich Rieker
Am 22. Juli 2001 starb im Alter von 106 Jahren der englische Kriegsveteran
Bertie Felstead, einer der letzten Zeugen einer denkwürdigen ,Feindberü
hrung". Es war Weihnachten 1914. Deutsche und britische Soldaten lagen
sich gegenüber. Die Deutschen fingen an. Sie riefen zu den Briten hinü
ber: "Hallo, Tommy!" Prompt kam es von drüben: "Hallo, Fritz!" Das war
das Signal. Die Deutschen krochen aus ihrem Schützengraben, ebenso die
Engländer. Es kam zu einer herzlichen Begrüssung zwischen den Gegnern.
Die Soldaten rauchten gemeinsam Zigaretten und spielten sogar Fußball. Es
war wohl das ungewöhnlichste Fussballspiel aller Zeiten.
"Nach etwa 30 Minuten", so erinnerte sich Felstead, "erschien plötzlich
ein laut brüllender Major und schrie uns an: ,Ihr seid hier, um gegen die
Hunnen zu kämpfen, und nicht, um mit ihnen Freundschaft zu schliessen."
Wir kehrten darauf in unsere Gräben zurück. Während dieser Begegnung
konnte keiner auf uns schiessen, weil wir uns ja alle vermischt hatten.
Die hätten die eigenen Leute getroffen."
Die britischen Soldaten Frank und Maurice Wray schrieben über ihr
Weihnachtserlebnis im Ploegsteert-Wald in Nordflandern nach Hause:
"Soldaten von beiden Seiten kamen aus ihren Löchern heraus, um ihre Beine
auszustrecken und dann im Niemandsland zwischen den Schützengräben zu
fraternisieren - eine angenehme Situation. Viele Erinnerungsstücke wurden
ausgetauscht, von Knöpfen und Abzeichen bis zu vom Kaiser geschenkten
Zigarren. Das am meisten geschätzte Andenken war die berühmte
Pickelhaube. Unsere Währung dafür waren Bully Beef (Büchsenrindfleisch)
und Tickler's Plum and Apple (Apfel-Pflaumen-Marmelade). Sie fragten nach
Orangenmarmelade, aber wir hatten selbst keine gesehen, seitdem wir von
Englang weg waren. Am nächsten Tag schrie jemand: ,Gestern hab ich dir
meinen Hut gegen Bully Beef gegeben. Morgen habe ich grosse Inspektion.
Leih ihn mir bitte, ich geb' ihn dir dann zurück." Gesagt, getan, die
Abmachung wurde eingehalten und mit einer Zugabe von Bully Beef besiegelt.
Etwa zehn Tage lang sollte dieser Zustand noch andauern." Seine Erlebnisse
im Niemandsland von Reims schildert der deutsche Schütze Lättgen: "Am
Vormittag des 25. Dezember stellt wieder einer sein Bäumchen auf die
Brustwehr. Da beginnen Arme und Käppis zu winken. Einer wagt sich bei uns
halb aus dem Graben heraus. Schon folgen drei Rothosen. Nun steckt einer
nach dem anderen die Nase hervor. Schliesslich gehen drei Unteroffiziere,
beide die Hände in den Hosentaschen, aufeinander zu, treffen sich mitten
im Niemandsland, reichen sich die Hände und beginnen ein Gespräch. Der
Franzmann spricht deutsch. Es dauert nicht lange, da wächst die Gruppe auf
20 Mann an. Alle haben ihre Waffen hübsch zurückgelassen. Das Misstrauen
schwindet schnell, und jetzt kommen auch der letzte Poilu und Boche aus
den Gräben. Sich beschnüffeln, Hände schütteln, radebrechen. Bekommt man
sich doch sonst nur als huschende Schatten im Geisterschein des Mondes zu
ahnen. Die Kompanieführer sind ratlos. Das ist ja wider alle
Kleiderordnung. Aber man macht gute Miene zum bösen Spiel und gibt schnell
die Parole aus, den da drüben in die Kochtöppe zu kieken. Zuerst wollen
die Franzosen haarklein wissen, wie es mit ihren Bundesgenossen stände. Ob
denn die Russen wirklich nicht vor Berlin lägen. Wie wir denn die 600 000
Gefangenen, mit denen wir prahlten, ernährten. Ob sie uns, da wir doch
sowieso die Hungersnot im Lande hätten, nicht kahl fräßen. ,Wir bebauen
die eroberten Flächen für den Herbst", sagten wir ihnen. ,Und wenn nötig,
erobern wir genügend dazu. Für euch auch, wenn ihr erst im Extrazug nach
Deutschland fahrt!" Voll Wut zeigen sie sich auf die großmäuligen Tommys
und die säumigen Russen. Noch erboster sind sie auf die eigene Presse, der
man nicht glauben könne, am zornigsten auf ihre Regierung: ,Es sind immer
nur die Mächtigen, die den Krieg wollen." Zu essen hätten sie genug, nur
keinen Tabak. Der wurde ihnen von uns reichlich geschenkt. Da rast ein
gestikulierender französischer Unteroffizier heran: ,Kameraden, der
Hauptmann tobt. Feuer! Feuer! Feuer!" Er legt wie zum Schießen an, er
winkt zurück. Neue Verabredung zu Silvester. Ein Schrapnell von drüben.
Hoch über aller Köpfe regnen seine Splitter gefahrlos herab. Im Nu ist
alles verschwunden, und der blutige Ernst wieder da." Das Fest der Liebe
überwältigte Freund und Feind. Ein erschütternder Bericht findet sich in
der Chronik des Westfälischen Infanterieregiments 15 (Prinz Wilhelm der
Niederlande). Der damalige Leutnant Menke notierte in seiner
Regimentsgeschichte: "Am Nachmittag des 24. Dezember 1914 zeigte sich die
englische Artillerie zunächst durchaus nicht festlich-friedlich gestimmt.
Sie zerstörte in Le Maisnil (Französisch Flandern) zwei Quartierhäuser und
mußte dafür von unseren Batterien gehörig abgestraft werden. Dann aber,
als die Sonne hinter den englischen Linien versank, trat Ruhe ein. Sogar
Wind und Wetter setzten aus. Eine wahre stille Heilige Nacht! Soweit das
Ohr reichte, kein Schuß, kein Laut - überall ,Gewehr in Ruh". Auch im
Schützengraben fehlte der Weihnachtsbaum nicht, wohl jeder Zug sah einen
in seiner Mitte. Als am tiefdunklen Himmel die Sterne aufleuchteten,
stellte jemand das Lichterbäumchen auf die Brustwehr. Das Beispiel fand
Nachahmung, und es dauerte nicht lange, bis in langer Reihe viele
Weihnachtsbäume die deutsche Linie zierten. Wo sonst Tod und Verderben
lauerten, gebot dieses schlichte Zeichen des deutschen Weihnachtsfestes
,Friede auf Erden". Englische Soldaten erklärten am nächsten Tage, der
Anblick der Weihnachtsbäume und der Gesang der deutschen Weihnachtslieder
seien überwältigend gewesen. Auch im Glanz der Weihnachtskerzen kroch im
Niemandsland eine deutsche Patrouille vom 3. Bataillon herum. Anstatt die
übliche Begrüßung mit der Kugel zu erhalten, wurde sie plötzlich vom
englischen Graben aus angerufen. Man schlug ihr vor, morgen Waffenruhe zu
halten, um die Toten zu beerdigen. Hauptmann Lindow erstattete Meldung,
und die Vorgesetzten willigten ein. Noch war die Genehmigung nicht im
Graben, als am frühen Morgen des ersten Feiertages auf der englischen
Brustwehr Mann an Mann erschien. Mächtig große Kerle in der originellen
Pracht der Schotten mit dem Faltenröckchen standen ohne Waffen da, winkten
uns zu und riefen ,Merry Christmas". Wir waren alle überrascht. Mit den
englischen Offizieren wurde vereinbart, daß jede Seite nur vor ihrem
Graben zu beerdigen habe. Doch es dauerte nicht lange, bis die Tommys mit
ihren Feinden anbändelten, obwohl sich unsere Leute erst zurückhaltend
und ablehnend verhielten. Es kam schließlich doch zu Unterhaltungen und
zum Austausch von Zigaretten. Immer wieder erwähnten die Engländer ihren
Angriff vom 18. Dezember, schilderten die furchtbare Wirkung unseres
Feuers und lobten die Tapferkeit der deutschen Verteidiger. Sie
erkundigten sich lebhaft nach dem Verbleib eines Captain, der sich in den
Kolonien viele Verdienste und Orden erworben hatte. Unsere Leute zeigten
das Grab, in dem er seit dem Angriffstag ruhte. Als die Engländer
hinzutraten und die an das schlichte Holzkreuz geheftete Ordensschnalle
sahen und die Inschrift lasen ,Hier ruht ein tapferer Bedfort-Captain",
waren sie zu Tränen gerührt. Als am frühen Morgen des 25. Dezember beim
Hellwerden unsere Posten die Engländer auf der Brustwehr stehen sahen,
bemerkten sie, wie diese mit einer weißen Flagge winkten. Einer unserer
Offiziere stieg aus dem Graben und wartete, bis zwei englische Offiziere
herankamen. In köstlichem Kauderwelsch wurde von 11 bis 13 Uhr eine
örtliche Waffenruhe vereinbart, um die vielen englischen Toten zu
beerdigen. Als gegen 13 Uhr die Arbeit beendet war, kam ein englischer
Offizier auf unseren Bataillonsadjutanten zu und fragte, ob wir nicht
einen Geistlichen unter unseren Leuten hätten. Das Bataillon hatte zwar
keinen, wohl aber einen Studenten der Theologie, der herbeigerufen wurde.
Es trat nun eine Abordnung der Engländer auf die eine Seite des
Massengrabs und eine deutsche Abordnung auf die andere. Dann sprach der
englische Geistliche ein paar Worte und danach der deutsche Student. Einem
gemeinsamen englischen Gebet für einen baldigen, für beide Seiten
ehrenvollen Frieden folgte das Vaterunser in beiden Sprachen. Anschließ
end herrschte einen Augenblick tiefe Stille. Schließlich schüttelten
sich die feindlichen Offiziere spontan die Hand. Dann war diese seltsamste
Feier des Krieges beendet. Doch bis zum Einbruch der Dunkelheit
beschenkten sich die gegnerischen Soldaten. Manche Liebesgabe und manche
heimatliche Zigarette wanderte in den englischen Graben, während unsere
Soldaten in englischen Konserven schwelgten. Die Beerdigungen dauerten
auch den zweiten Feiertag an, selbst den folgenden Tag nahmen die
Engländer noch für sich in Anspruch und zeigten gar keine Lust, den
Kriegszustand wiederherzustellen. Ohne Waffen standen sie oft auf der
Brustwehr, während es den deutschen Soldaten streng verboten war, sich au
ßerhalb des Grabens zu zeigen. Auch Silvester und Neujahr wollten die
Schotten nichts vom Krieg wissen. Sie zeigten sich nicht mehr, und sie
schossen auch nicht. Nur am Neujahrstage ließen sie sich einmal hören,
als sie zur Feier des Tages drei Salven in die Luft knallten. Dann aber
begann wieder die Artillerie auf beiden Seiten mit ihrem Feuer. Bei ihr
gab es ja nicht die ,menschlichen" Berührungen wie bei den Infanteristen.
Und bald ging es von Graben zu Graben wieder los. Das biblische ,Auge um
Auge, Zahn um Zahn" trat wieder in seine Rechte."
Heinrich Rieker, Jahrgang 1925, ist Wirtschaftsjournalist. Sein
Interessengebiet ist die Geschichte beider Weltkriege. Unser Beitrag
basiert auf einem nicht veröffentlichten Buch-Manuskript.
Artikel erschienen am Mi, 22. Dezember 2004
aus www.diezeit.de