Aktuelles
  • Herzlich Willkommen im Balkanforum
    Sind Sie neu hier? Dann werden Sie Mitglied in unserer Community.
    Bitte hier registrieren

Wer ist das?

Paradiesvögel der Unterwelt


Schüchtern lächelt vom Buchumschlag ein gutaussehender junger Mann. Wäre da nicht die fingerdicke Goldkette auf seiner entblößten Brust, nichts verriete, daß es sich hier um einen Protagonisten der Unterwelt handelt: Aleksandar Knezevic-Knele, eine Legende der Belgrader Gangs. Im Oktober 1992 wurde er, der Sohn eines Tankwarts, erst 21 Jahre alt, im "Hyatt", einem der teuersten Belgrader Hotels, wo er seit Monaten logiert hatte, tot aufgefunden.
Das Buch mit seinem Bild auf dem Umschlag trägt den Titel Kriminal koji je izmenio Srbiju ("Die Kriminalität, die Serbien verändert hat") und findet seit seinem Erscheinen im Mai reißenden Absatz, dabei wird es fast ausschließlich im Straßenverkauf angeboten. Die Autoren Aleksandar Knezevic (die Namensgleichheit mit Aleksandar Knezevic-Knele ist zufällig) und Vojislav Tufegdzic haben zum gleichen Thema auch einen Kurzfilm gemacht. Buch wie Film sind Produktionen des unabhängigen Belgrader Senders B 92, der 1989 zum "Tag der Jugend" als zeitweilige Spielwiese für Studenten gegründet wurde und sich seither zu einer für das Regime unbequemen Instanz entwickelt hat.
Der auffällige Anstieg der Kriminalität in Serbien in den vergangenen Jahren muß im Zusammenhang mit den Sanktionen gesehen werden, die die Uno gegen das Land verhängt hat. Sie haben weite Kreise der Bevölkerung an den Rand der Existenz gedrängt, gleichzeitig verhalfen sie einer kleinen wendigen Schicht mit hoher krimineller Energie zu schnellem Reichtum. Nie zuvor sah man in Belgrad so viele bettelarme Menschen und so protzige Limousinen. Das Buch über "die Kriminalität, die Serbien verändert hat", macht mit den berüchtigtsten Protagonisten der Szene bekannt und berichtet zwischen den Zeilen über die Verquickung der Unterwelt mit dem serbischen Staat. Noch während der Dreharbeiten zu dem Kurzfilm über dasselbe Thema wurden drei der Gesprächspartner ermordet, der letzte im Februar dieses Jahres. Keiner dieser Morde ist bisher aufgeklärt worden.
Die tätowierten, gestylten, goldbehangenen Paradiesvögel auf dem grauen Belgrader Pflaster nennen sich selbst stolz Kriminelle. Sie haben ihren eigenen Ehrenkodex, bewegen sich meist in Gruppen, ein fröhlicher Haufen durchtrainierter junger Männer, von einem Café oder Restaurant ins andere ziehend. Im Gespräch mit den Autoren Knezevic und Tufegdzic machen sie keinen Hehl aus ihrer Überzeugung, jeder junge Kerl in Belgrad würde alles dafür hergeben, so leben zu dürfen wie sie. Ihre Popularität unter den Jugendlichen scheint ihnen recht zu geben. Nach der Ermordung des jungen Aleksandar Knezevic-Knele erschienen in der Tageszeitung Politika an einem einzigen Tag 162 Beileidsanzeigen. Es scheint, als seien der Jugend Serbiens in der durch das Embargo bedingten Isolation alle Wertmaßstäbe verlorengegangen.
Nach jedem Mord im kriminellen Milieu beeilen sich die staatlich gelenkten Medien, auf Rivalitäten zwischen den Gangs hinzuweisen. Zweifel scheinen wenigstens in einigen Fällen angebracht. Bei genauem Hinsehen verraten die im Buch dokumentierten Geschichten der - inzwischen beseitigten - Bosse der Szene, daß sie zum Teil eng mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet haben. Mancher spektakuläre Emigrantenmord im Ausland wurde bei der Unterwelt bestellt und gut bezahlt. Es gibt Hinweise, wonach der umgebrachte Knele im Oktober 1992 den Auftrag hatte, den damaligen jugoslawischen Premierministers mit amerikanischem Paß, Milan Panic, zu liquidieren.
Der Nationalitätenkonflikt in Jugoslawien lieferte manchem arrivierten Kriminellen willkommene Gelegenheit, seine verbrecherischen Neigungen idealistisch zu verbrämen und seine Fähigkeiten in den Dienst einer "höheren Sache" zu stellen. Die höhere Sache hieß Anfang der neunziger Jahre: Serbien. Auf einmal wußte mancher, wohin mit dem widerrechtlich angehäuften Geld. Der eine ließ zehntausend Uniformen anfertigen, der andere finanzierte Waffenkäufe. Man entdeckte bei sich die patriotische Ader. Nationale Heere wie die nach dem Zerfall der jugoslawischen Volksarmee neugegründete, zum Teil von international bekannten Kriminellen geführte Serbische Garde erfreuten sich massiven Zulaufs. An der Spitze der als Gegenstück zur oppositionellen Serbischen Garde vom Regime formierten Serbischen Freiwilligengarde stand Zeljko Raznjatovic-Arkan, ein von Interpol gesuchter Mann, der später gefürchtete Feldzüge in Bosnien anführte. Arkan - der Spitzname bedeutet "Tiger" - war bis vor kurzem Abgeordneter des serbischen Parlaments und ist heute einer der reichsten Männer Jugoslawiens. Über ihn ist im Buch die Aussage des Ende 1994 im Zentrum von Belgrad niedergestreckten Kriminellen Goran Vukovic vermerkt: "Mit Arkan verbindet mich eine große Freundschaft. Er genoß großes Ansehen sowohl als Krimineller wie auch als serbischer Kommandant. Von uns allen hat er die meisten Bankraube ausgeführt . . . Es stimmt, daß er auch gemordet hat . . . Er war halt gezwungen, manches zu tun."
Die Existenz der organisierten Kriminalität wurde in Jugoslawien jahrelang geleugnet. Nach 1991 ließ man jedoch alle Masken fallen. In den kriegerischen Auseinandersetzungen suchten die Konfliktparteien die Unterstützung der Unterwelt. Sogar die Polizei ließ sich im Zuge der Wirtschaftsblockade Serbiens in kriminelle Aktionen verwickeln, wenn auch nur, wie die Autoren des Buches meinen, um ihren heruntergekommenen Fuhrpark zu erneuern. Das ehemalige Jugoslawien ist ein hervorragender Platz für Autoschiebergeschäfte. Es ist bekannt, daß gestohlene Autos in großer Anzahl meist über Preßburg und Budapest kommen und noch am gleichen Tag über Bulgarien oder Rumänien nach Nahost weiter verschoben werden. Wie ist es möglich, daß sie unbemerkt die Grenze passieren? Man braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, daß die Wege der Autoschieber die gleichen sind, über die Rauschgift und Waffen gehen.
Die Buchautoren hüten sich, Schlüsse zu ziehen. Sie stellen lediglich fest. Ihr Fazit: "Belgrad vereinigt heute in sich das Chicago der zwanziger, die Wirtschaftskrise Berlins der dreißiger, die Agentenintrigen Casablancas der vierziger und den Katastrophenhedonismus Vietnams der sechziger Jahre."


Paradiesvögel der Unterwelt | Modernes leben | ZEIT ONLINE
 
Janz links
574w742lx.jpg
 
Zurück
Oben