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Wie werden friedliche Jugendliche zu Dschihadisten? Welche Rolle spielt dabei das Internet - und was kann man gegen die Radikalisierung tun? Nach den Morden von Toulouse suchen Politiker, Wissenschaftler und Sicherheitsbehörden auf einer Konferenz in Berlin Antworten.
Berlin - Ein bärtiger Imam spricht von der Leinwand, dann ein junger schlanker Mann, im Hintergrund ist Kindergeschrei zu hören.
Der Prediger sagt, dass "Christen gefährlicher" seien als "die Juden", der andere Mann sagt:
"In Deutschland wird es auch Anschläge gegen das Volk geben. Warum soll in Deutschland Frieden herrschen, und Muslime leben in Angst? Wir werden den Krieg vor eure Haustür tragen, wir werden Deutsche so lange bekämpfen, bis wir ausreichend Rache für alle Verbrechen genommen haben."
Die beängstigenden Worte sind Ausschnitte aus Reden eines Imams aus Braunschweig und ein Propagandavideo des Deutsch-Marokkaners Mounir C. aus den pakistanischen Bergen. Das Innenministerium hat die Filme in Berlin zu einer Tagung über Radikalisierung gezeigt.
Als Innenminister Hans-Peter Friedrich die Teilnehmer zu dem Symposium "Inspire, YouTube & Co - Radikalisierung und Deradikalisierung durch Medien" einlud, konnte er noch nicht wissen, dass das Thema, das er sich bereits vor einem Jahr auf die Fahnen geschrieben hatte - die Sicherheitspartnerschaft zwischen Staat und Muslimen - so brandaktuell ist. In den vergangenen Wochen tötete in Toulouse Mohammed Merah erst drei Soldaten und schließlich drei Kinder und einen Lehrer vor einer jüdischen Schule. Merah, der bei dem Polizeieinsatz zu seiner Festnahme erschossen wurde, behauptete Qaida-Mitglied zu sein. Seine Taten hatte er gefilmt, nun ist eine Debatte über die Ausstrahlung dieser grausamen Videos entbrannt.
"Wir sitzen alle in einem Boot"
Trotzdem fand CSU-Mann Friedrich, aus dessen Ministerium vor wenigen Wochen eine Studie zu Muslimen in Deutschland vorab an eine Boulevardzeitung gegeben wurde, was für alarmistische Schlagzeilen sorgte,, zu Beginn der Veranstaltung sehr abgewogene Worte. Zwar warnte er davor, dass der islamistische Terrorismus nach wie vor eine Gefahr sei. Es gebe "keine Anhaltspunkte", dass Anschlagsplanungen oder entsprechende Aufrufe etwa durch Videobotschaften "zurückgefahren" worden seien, die Internetpropaganda der Islamisten bezeichnete er als "brandgefährlich". Aber Friedrich sprach ausdrücklich auch von den NSU-Morden an Migranten in Deutschland: "Niemand hat sich vor einigen Monaten vorgestellt, dass der Rechtsradikalismus in Deutschland so weit geht".
Er betonte, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland Gewalt verabscheut. "Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen", sondern zwischen Kriminellen und Friedlichen, sagte der CSU-Mann. "Wir sitzen alle in einem Boot." Insgesamt 130 sogenannte islamistische Gefährder gebe es in Deutschland, denen die Sicherheitsbehörden zutrauen, jederzeit einen Anschlag durchzuführen, so Friedrich.
Aber wie wird aus einem friedlichen Mann oder Jugendlichen ein solcher Gefährder? Welche Rolle spielen radikale Web-Seiten wie etwa das dschihadistische Internetmagazin "Inspire"?
Persönliche Krise - Ideologie - Mobilisierung
Ein anschauliches Bild, wie es laufen kann, wenn jemand zum Dschihadisten wird, brachte der Wissenschaftler Peter Neumann, Direktor des "International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence" vom King's Kollege in London: Er beschrieb "drei Zutaten", die Voraussetzungen für eine Radikalisierung seien:
Auffällig seien die "neuen Transportformen" von radikalen Gedanken beispielsweise durch die neuen Medien, und dass die Ideologien immer flacher und einfacher würden, sagte der Vize-Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Alexander Eisvogel. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer "Homöopathisierung" religiöser Zusammenhänge, einem "Do-it-yourself-Dschihadismus", bei dem Bausteine nach Belieben zusammengefügt würden, von einem "leicht konsumierbaren Gemisch mit einem niedrigschwelligen Einstiegsangebot" , das keine religiöse Bildung und intellektuelle Mühe erfordere.
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Zuspitzungen, Zuschreibungen und Verdächtigungen gab es in der Expertenrunde zwar keine - der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, äußerte dennoch Kritik daran, dass sich das Bundesinnenministerium bei seinem Kampf gegen Extremismus so sehr auf den Aspekt des Islamismus' konzentriere. Muslimische Verbände würden zudem oft bei inhaltlichen Fragen nicht partnerschaftlich eingebunden. "Der Duktus muss so gestaltet sein, dass alle, auch alle Muslime, das Gefühl haben, es geht gegen jede Form des Extremismus", sagte Mazyek. Gerade Muslime, die ihre Religion gut kennten und sie selbstverständlich lebten, seien oft offener und toleranter, erklärte er. Deshalb sei die breite Masse der Muslime in ihren Rechten und Pflichten zu stärken. Von den Moscheen der großen muslimischen Verbände gehe keine Gefahr aus, im Gegenteil, dort werde eine "bürgerliche Heimat gepflegt". "Die Religion ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung", so Mazyek.
Davor, Medien wie das Internet als Ursache von Radikalisierung zu sehen, warnte Dschihadismus-Experte Yassin Musharbash, früher SPIEGEL-ONLINE-Redakteur, jetzt bei der "Zeit". Die Besonderheit der modernen Medien liege in der "Verstärkung". Musharbash sprach sich außerdem dafür aus, Probleme wie das "weit verbreitete Gefühl von Muslimen, nicht akzeptiert zu werden", ernst zu nehmen. "Wir müssen fragen: Welche Sorgen und Probleme sind berechtigt?" Viele junge Muslime gingen nur auf radikale Web-Seiten, um dort über Probleme zu reden - nicht, weil sie Terrorist werden wollten.
Islamismus-Debatte: Wo der Terror wurzelt - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik
Berlin - Ein bärtiger Imam spricht von der Leinwand, dann ein junger schlanker Mann, im Hintergrund ist Kindergeschrei zu hören.
Der Prediger sagt, dass "Christen gefährlicher" seien als "die Juden", der andere Mann sagt:
"In Deutschland wird es auch Anschläge gegen das Volk geben. Warum soll in Deutschland Frieden herrschen, und Muslime leben in Angst? Wir werden den Krieg vor eure Haustür tragen, wir werden Deutsche so lange bekämpfen, bis wir ausreichend Rache für alle Verbrechen genommen haben."
Die beängstigenden Worte sind Ausschnitte aus Reden eines Imams aus Braunschweig und ein Propagandavideo des Deutsch-Marokkaners Mounir C. aus den pakistanischen Bergen. Das Innenministerium hat die Filme in Berlin zu einer Tagung über Radikalisierung gezeigt.
Als Innenminister Hans-Peter Friedrich die Teilnehmer zu dem Symposium "Inspire, YouTube & Co - Radikalisierung und Deradikalisierung durch Medien" einlud, konnte er noch nicht wissen, dass das Thema, das er sich bereits vor einem Jahr auf die Fahnen geschrieben hatte - die Sicherheitspartnerschaft zwischen Staat und Muslimen - so brandaktuell ist. In den vergangenen Wochen tötete in Toulouse Mohammed Merah erst drei Soldaten und schließlich drei Kinder und einen Lehrer vor einer jüdischen Schule. Merah, der bei dem Polizeieinsatz zu seiner Festnahme erschossen wurde, behauptete Qaida-Mitglied zu sein. Seine Taten hatte er gefilmt, nun ist eine Debatte über die Ausstrahlung dieser grausamen Videos entbrannt.
"Wir sitzen alle in einem Boot"
Trotzdem fand CSU-Mann Friedrich, aus dessen Ministerium vor wenigen Wochen eine Studie zu Muslimen in Deutschland vorab an eine Boulevardzeitung gegeben wurde, was für alarmistische Schlagzeilen sorgte,, zu Beginn der Veranstaltung sehr abgewogene Worte. Zwar warnte er davor, dass der islamistische Terrorismus nach wie vor eine Gefahr sei. Es gebe "keine Anhaltspunkte", dass Anschlagsplanungen oder entsprechende Aufrufe etwa durch Videobotschaften "zurückgefahren" worden seien, die Internetpropaganda der Islamisten bezeichnete er als "brandgefährlich". Aber Friedrich sprach ausdrücklich auch von den NSU-Morden an Migranten in Deutschland: "Niemand hat sich vor einigen Monaten vorgestellt, dass der Rechtsradikalismus in Deutschland so weit geht".
Er betonte, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland Gewalt verabscheut. "Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen", sondern zwischen Kriminellen und Friedlichen, sagte der CSU-Mann. "Wir sitzen alle in einem Boot." Insgesamt 130 sogenannte islamistische Gefährder gebe es in Deutschland, denen die Sicherheitsbehörden zutrauen, jederzeit einen Anschlag durchzuführen, so Friedrich.
Aber wie wird aus einem friedlichen Mann oder Jugendlichen ein solcher Gefährder? Welche Rolle spielen radikale Web-Seiten wie etwa das dschihadistische Internetmagazin "Inspire"?
Persönliche Krise - Ideologie - Mobilisierung
Ein anschauliches Bild, wie es laufen kann, wenn jemand zum Dschihadisten wird, brachte der Wissenschaftler Peter Neumann, Direktor des "International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence" vom King's Kollege in London: Er beschrieb "drei Zutaten", die Voraussetzungen für eine Radikalisierung seien:
- Erstens eine "persönliche Krise", in der sich Orientierungslosigkeit, Verwirrung, das Gefühl, nirgends dazuzugehören, breit machten.
- Dadurch entstehe ein Vakuum, das mit Ideologie gefüllt werde, die einen Schuldigen für die eigenen Probleme ausmache. Im Fall des Dschihadismus lasse sich das oft verkürzt auf die Formel bringen: "Der Westen hat dem Islam den Krieg erklärt, deshalb habe ich hier in Deutschland keine Chance." Eine Welt nach islamischen Prinzipien werde angestrebt, mit der Pflicht etwa "muslimische Brüder" zu verteidigen. Die Ideologie beinhalte außerdem die Motivation: "Du kannst Teil der Lösung sein", so Neumann.
- Schließlich sei eine Mobilisierung nötig - und die geschehe oft durch "charismatische Prediger", die zwar oft keine großen Theologen, für ihre Anhänger jedoch häufig wie Vaterfiguren seien. Sie haben laut Neumann "die Fähigkeit Menschen zu binden". Mobilisierung könne auch durch kleine Gruppen geschehen - besonders im Internet - die durch die Außenwelt nicht mehr zugänglich seien. Das Internet sei bei der Radikalisierung wie "ein soziales Milieu", sagte Neumann, zwar nur virtuell, aber für die Betroffenen sei es "sehr real". In diesem Milieu bildeten sich "echte Gemeinschaften". Der Wissenschaftler räumte ein: "Wir wissen aber nicht, wie die genaue Zusammensetzung dieser Zutaten ist." Einfache Lösungen, wie etwa das Verbot solcher Web-Inhalte, gebe es nicht.
Auffällig seien die "neuen Transportformen" von radikalen Gedanken beispielsweise durch die neuen Medien, und dass die Ideologien immer flacher und einfacher würden, sagte der Vize-Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Alexander Eisvogel. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer "Homöopathisierung" religiöser Zusammenhänge, einem "Do-it-yourself-Dschihadismus", bei dem Bausteine nach Belieben zusammengefügt würden, von einem "leicht konsumierbaren Gemisch mit einem niedrigschwelligen Einstiegsangebot" , das keine religiöse Bildung und intellektuelle Mühe erfordere.
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Zuspitzungen, Zuschreibungen und Verdächtigungen gab es in der Expertenrunde zwar keine - der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, äußerte dennoch Kritik daran, dass sich das Bundesinnenministerium bei seinem Kampf gegen Extremismus so sehr auf den Aspekt des Islamismus' konzentriere. Muslimische Verbände würden zudem oft bei inhaltlichen Fragen nicht partnerschaftlich eingebunden. "Der Duktus muss so gestaltet sein, dass alle, auch alle Muslime, das Gefühl haben, es geht gegen jede Form des Extremismus", sagte Mazyek. Gerade Muslime, die ihre Religion gut kennten und sie selbstverständlich lebten, seien oft offener und toleranter, erklärte er. Deshalb sei die breite Masse der Muslime in ihren Rechten und Pflichten zu stärken. Von den Moscheen der großen muslimischen Verbände gehe keine Gefahr aus, im Gegenteil, dort werde eine "bürgerliche Heimat gepflegt". "Die Religion ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung", so Mazyek.
Davor, Medien wie das Internet als Ursache von Radikalisierung zu sehen, warnte Dschihadismus-Experte Yassin Musharbash, früher SPIEGEL-ONLINE-Redakteur, jetzt bei der "Zeit". Die Besonderheit der modernen Medien liege in der "Verstärkung". Musharbash sprach sich außerdem dafür aus, Probleme wie das "weit verbreitete Gefühl von Muslimen, nicht akzeptiert zu werden", ernst zu nehmen. "Wir müssen fragen: Welche Sorgen und Probleme sind berechtigt?" Viele junge Muslime gingen nur auf radikale Web-Seiten, um dort über Probleme zu reden - nicht, weil sie Terrorist werden wollten.
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