Für den geographischen Südosten des Kontinents, die immer weiter schrumpfende "Europäische Türkei", stand zudem inzwischen ein neuer Raumbegriff zur Verfügung - der "Balkan".
Auch dieser Begriff verdankt seine Existenz der Wiederaufnahme eines Irrtums antiker Geographen durch neuzeitliche. Der Berliner Geograph August Zeune prägte im Jahre 1808 den Begriff "Balkanhalbinsel" als Bezeichnung für die ganze südosteuropäische Halbinsel zwischen Adria und Schwarzem Meer. Er ging dabei von der alten Annahme aus, daß der mit dem türkischen Wort für Gebirgszug (balkan) bezeichnete bulgarische Höhenzug Stara Planina (der antike Haemus) sich über ganz Südosteuropa erstrecke. Die Karriere des Balkanbegriffes war in ganz Europa nicht mehr zu bremsen, obwohl andere Geographen den Irrtum bald erkannt haben. Johann Georg Hahns Alternativvorschlag von 1861, "Südosthalbinsel", wurde zunächst nicht aufgegriffen; erst 1893 sprach der Geograph Theobald Fischer seinerseits von der "Südosteuropäischen (Balkan-) Halbinsel". Bei ihm erschien erstmals die Donau-Save-Linie als Nordgrenze. Im normalen politischen Sprachgebrauch nicht nur Deutschlands blieb es beim "Balkan" und durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen, die diese Region zu Beginn des 20. Jhs. zunehmend aufwühlten, gewann der Begriff endgültig jenen pejorativen Beigeschmack, der ihn außerhalb der von ihm bezeichneten Region selbst bis heute kennzeichnet. [...]
Die Prägung von Raumbegriffen zu politischen und ökonomischen Zwecken zeigt sich ganz deutlich auch an der Karriere des deutschen Südosteuropabegriffes in der Zwischenkriegszeit. In dieser Zeit verdrängte ein "weiter" Südosteuropabegriff, der den ganzen Raum zwischen Adria, Karpaten, Schwarzem Meer und Ägäis bezeichnen sollte, den Begriff "Balkanraum" (als dessen Nordgrenze zumeist Donau, Save und Savenebenilüsse angegeben wurden und werden) nahezu völlig. [...]
Unter besonderen Druck wird dabei der geographisch weitgefaßte Südosteuropabegriff kommen, der zwar institutionell fest verankert ist, aber angesichts der sehr unterschiedlichen Entwicklungen in den strukturell eher zu Ostmitteleuropa gehörenden Ländern und dem Balkanraum kaum neue Fragestellungen wird liefern können. Jedoch ist von anderer Seite her auch der Balkanbegriff unter Beschuß geraten. Die Begriffsgeschichte ist offen.
Andreas Helmedach, "Historische Raumgebriffe", in: Studienhandbuch Östliches Europa, S.4-7