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Xhaka gebührt Lob für seinen Mut zum Doppeladler
Der Doppeladler des Schweizer Nationalspielers Granit Xhaka an der Fussball-WM war die politische Geste des Jahres. Sie beschäftigt uns bis heute, weil sie viel mehr mit uns zu tun hat als mit dem serbisch-kosovarischen Konflikt.
Der Doppeladler des Schweizer Nationalspielers Granit Xhaka an der Fussball-WM war die politische Geste des Jahres. Sie beschäftigt uns bis heute, weil sie viel mehr mit uns zu tun hat als mit dem serbisch-kosovarischen Konflikt.
Michele Coviello
28.12.2018
Die Geste, die einen Sturm auslöste: Granit Xhaka zeigt nach seinem WM-Tor gegen das serbische Team den Doppeladler. (Bild: Laurent Gilliéron / Keystone)
Als der Ball so leicht durch den Strafraum segelte, war noch niemandem klar, wie schwer dieser Schuss wiegen würde. Und was alles danach kommt.
22. Juni 2018, Gruppenspiel zwischen der Schweiz und Serbien an der Fussball-Weltmeisterschaft. Es ist ein Tag, der den Kalender fast in der Mitte spaltet – und ebenso die Meinungen rund um das Schweizer Nationalteam. An diesem Abend ereignete sich eine Szene, die danach wochenlang die öffentliche Debatte dominierte, die das Wort des Jahres hervorbrachte und Verbandsfunktionäre ins Abseits schlittern liess. Viele Menschen im Land ärgerten sich über Granit Xhakas Doppeladler-Jubel, der für die kosovarischen Wurzeln des Spielers steht. Seine Geste warf die Frage auf, was ein Nationalspieler mit Migrationshintergrund im Schweizerkreuz tun darf und was nicht, was er fühlen soll und wieso. Und auf der grösstmöglichen Bühne, der Fussball-WM, stand die Sportwelt erneut vor der Gretchenfrage: ob Politisches in ihrem Kosmos einen Platz haben darf.
Dieses Spiel und die damit verbundene Geste löste aber noch mehr aus, auch Positives – obwohl das zuerst verborgen blieb, weil Populisten den Vorfall zerredeten. Letztlich muss man Xhaka für seine Geste loben. Sie war mutig und erinnert uns daran, dass Zivilcourage wichtiger ist als der sportliche Moment und dass humanitäre Fragen höher zu gewichten sind als die Zugehörigkeit zu einem Land.
Ästhetisches Tor, tonnenschwere Themen
Es war jedenfalls ein grosses Paket, das uns Xhaka in jener 52. Minute mit seinem Gewaltschuss entgegenschleuderte. Mit links liess er den Ball weit und kurz fliegen, schnurstracks und mit Drall – Tor! Es war ein ästhetischer Moment, der für die Schönheit des Fussballs steht. Doch dann kam Ernsteres dazu.
Der italienische Schriftsteller Italo Calvino befand, dass das Zusammenspiel von Leichtigkeit und Schwere am besten sein Jahrhundert, das zwanzigste, beschriebe. Und für den Soziologen Niklas Luhmann verkörperte der Fussball genau dieses Gegensatzpaar. Xhaka bestätigte es. Dem federleichten Schuss folgten mit dem Doppeladler-Jubel tonnenschwere Themen. Die Lage zwischen Serbien und Kosovo ist auch 20 Jahre nach dem Krieg angespannt. Im Stadion war der Konflikt spürbar. Und mit Xhakas Geste ging er weltweit live auf Sendung.
Es ist vieles in diese Geste interpretiert, tausendfach ist sie seziert worden. Ein brasilianischer TV-Kommentator deutete den Vogel als Friedenstaube. Er freute sich über dieses Symbol in einem derart aufgeladenen Spiel. Ganz so romantisch war die Geste dann doch nicht gemeint. Xhaka selbst hat sie nie grundsätzlich begründet und als Danksagung und Gruss an sein Umfeld verkauft. Xherdan Shaqiri, auch er aus kosovarischer Familie, schoss in der 90. Minute das Siegtor für die Schweiz. Und er formte ebenso mit seinen Händen den Adler, liess ihn fliegen. Er erklärte ihn mit Emotionen.
Im Kern ist diese Begründung ehrlich. Es geht um Gefühle und Geschichten, die unter dem Zeichen vergraben sind; es geht um die Unterdrückung einer Ethnie, um Tote, abgebrannte Häuser, um jahrelange Inhaftierung aus politischen Gründen wie im Fall von Xhakas Vater Ragip. Kosovo ringt noch heute um die Anerkennung der Unabhängigkeit, Serbien erhebt weiter Ansprüche auf die einstige Provinz. Vor der Partie hatte der serbische Aussenminister Ivica Dacic die Stimmung angeheizt, indem er provokativ fragte, gegen wen eigentlich die Partie stattfinden würde: gegen die Schweiz, Albanien oder Pristina? Er spielte auf die Schweizer Fussballer mit albanischem Hintergrund an wie Xhaka, Shaqiri, Valon Behrami oder Blerim Dzemaili. Im Stadion Kaliningrads sangen dann serbische Rechtsextreme «Kosovo ist Serbien» oder «Tötet die Albaner».
Riss in der Scheinwelt
Es ist ein Makel unserer Wohlstandsgesellschaft, dass uns oft nicht bewusst ist, wie nahe Leichtes und Schweres nebeneinanderliegen. Eine Fussball-WM ist Abbild unseres Zeitgeistes: Ein buntes Happening wird zum Nabel der Welt, eine Nebensache für kurze Zeit zum bierernsten Thema. Es werden Milliarden dafür eingesetzt, Geld, mit dem anderswo Tod und Armut bekämpft werden könnten. Die Grossanlässe wollen eine heile Welt und eine glatte Werbefläche für ihre Sponsoren. Sie scheuen auch deswegen jegliche politische Äusserung, die nicht von ihnen gesteuert ist. Wladimir Putin darf sich zwar als Gastgeber inszenieren und Emmanuel Macron seine Champions du Monde bejubeln. Aber sie sind Teil eines Protokolls von Machthabern.
Man ist bemüht, den scheinbar unpolitischen Charakter von Weltmeisterschaften zu erhalten: Der Fifa-Präsident Gianni Infantino, Wladimir Putin, Emmanuel Macron und die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic (v.l.n.r.) bei der Pokalübergabe nach dem Final der WM 2018. (Bild: Natacha Pisarenko / AP)
Gerade deshalb erhält die Geste Xhakas eine übergeordnete Bedeutung, egal ob sie einem niederen Rache-Instinkt entspringt oder einem Weltverbesserungswunsch für die Rechte Kosovos. Der Doppeladler hat die Scheinwelt des Sports aufgebrochen und erinnert uns daran, dass es neben der seichten Fussball-Berieselung auch noch existenziellere Themen gibt.
Xhaka bewies jedenfalls Mut, auch wenn er offengelassen hat, wie die Geste zu interpretieren ist. Mit Sicherheit war ihm klar, dass sein Handeln Konsequenzen haben würde, dafür bewegt er sich schon zu lange im professionellen Fussball und in der Medienwelt. Ihm war auch die Debatte rund um den Doppeladler ausreichend bekannt. Schweizer Nationalspieler mit albanischen Wurzeln hatten diesen schon 2014 zur Schau gestellt und dann gemeinsam beschlossen, ihn auf den Index zu setzen.
Geht es um Serbien oder die Schweiz?
In diesem Sommer hat Xhaka ihn aber doch wieder aus dem Käfig gelassen. Er hat damit einen Diskurs in Kauf genommen, der sich immer wieder rund um dieses Nationalteam entfacht: denjenigen um den Grad der Integration von Secondo-Spielern. Aus dem rechten Lager wird diesen Fussballern wiederkehrend die Fähigkeit abgesprochen, die Schweiz zu repräsentieren, weil sie etwa wie Shaqiri auf ihren Schuhen die Flaggen der Schweiz und die des Kosovo tragen oder eben in Rot-Weiss den Doppeladler mimen. Kurz: weil sie ihre Herkunft nicht verleugnen und als Teil von sich sehen. Den Hütern der Eidgenossenschaft geht das zu weit. Wer für die Schweiz spielt, soll seinen Hintergrund im Hintergrund behalten.
Das sind diskriminierende Ansprüche einer Leitkultur, die nichts oder wenig Fremdes zulassen, die Lebenserfahrungen von Menschen unterdrücken will. Der Doppeladler ist zu Recht zum Deutschschweizer Wort des Jahres geworden, weil er letztlich mehr mit uns zu tun hat als mit dem serbisch-kosovarischen Konflikt. Er hat uns einmal mehr auf die Probe gestellt, wie offen wir dafür sind, neue Kulturen aufzunehmen und zu integrieren, wie solidarisch wir uns mit deren Geschichte zeigen.
Wie Ali, Smith und Carlos
Xhaka und sein Doppeladler können so in eine Reihe mit ikonischen Sport-Gesten gestellt werden. An den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt reckten die 200-Meter-Läufer Tommie Smith und John Carlos auf dem Podest die Black-Power-Faust. Die dunkelhäutigen US-Amerikaner standen in einer Zeit voller Unruhen für ihre Gleichstellung ein. Sie büssten mit Ächtung und Ausschluss. «Ich hätte schleimen und grinsen können», sagte Carlos neulich, «aber vergesse ich meine Enkelkinder, indem ich meine Seele für einen Job verkaufe, anstatt für Menschenrechte einzustehen?» Inzwischen haben Smith und Carlos eine Statue bekommen. Sie steht im Park ihrer einstigen Universität in San Jose und stellt die historische Szene nach – die Zivilcourage ist in Bronze gegossen.
Die US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos (r.) protestieren am 16. Oktober 1968 in Mexiko City mit erhobener Faust. (Bild: AP)
Nur ein Jahr davor war der Schwergewichts-Champion im Boxen für seine Ideologie bestraft worden. Muhammad Ali verscherzte es sich als Vietnam-Verweigerer mit der US-Regierung. Er verlor den Weltmeistertitel, und die New York State Athletic Commission sperrte ihn rund vier Jahre lang. Auch er kämpfte für die Rechte der Schwarzen, irritierte als Islam-Konvertit. «Ich wollte grob, hart, arrogant sein, ein Nigger, den die Weissen nicht mochten», sagte er einst. Die Welt liebt ihn heute noch gerade deswegen. Da war jemand, der schlagfertiger war als seine Gegner, stärker als jedes Vorurteil.
Xhakas Mission ist weniger existenziell und eindeutig. Aber er foutiert sich gleichermassen um billige Komplimente – und fordert Respekt für seine Wurzeln. Trotz oder vielleicht gerade wegen des Wirbels folgten weitere Doppeladler-Zeichen auf Twitter. Und als plötzlich auch aus dem Schweizerischen Fussballverband (SFV) Zweifel an Spielern mit Migrationshintergrund aufkam, reagierte Xhaka unnachgiebig. Nach dem Aus im Achtelfinal hatte der damalige SFV-Generalsekretär Alex Miescher in einem Interview die Frage aufgeworfen, ob der Verband oder die Politik Doppelbürgerschaften überhaupt noch wollten. Xhaka gab darauf ohne SFV-Erlaubnis ein Gegeninterview und kanzelte die Aussagen seines Vorgesetzten als «Steinzeit-Kommentare» ab. Shaqiri entschuldigte sich Monate später an einer Pressekonferenz ziemlich nonchalant für seine Geste – frei nach dem Motto: «Das gehört halt alles zu mir. Findet euch damit ab.»
Herausragende Sportler sind selten Langweiler, die nicht auffallen wollen. Was wäre Cassius Clay ohne seinen Wandel zu Muhammad Ali gewesen, ohne seine Überzeugungen? Ein sehr guter Boxer. Aber nicht der Sportler des Jahrhunderts.
Der Schweizer Fussball sollte sich jedenfalls glücklich schätzen, dass er Spieler mit Reibungspotenzial unter sich weiss. Sie werden die Mannschaft langfristig weiterbringen. Der Doppeladler war ein weiterer Lernprozess auf diesem Weg – für die Spieler, vor allem aber auch für ihre Zuschauer.
https://www.nzz.ch/meinung/xhakas-doppeladler-war-die-politische-geste-des-jahres-ld.1446117
eines der besten Kommentare zum Thema Doppeladler....
für viele der user hier wird es zu viel Text sein.
und ins besondere für einige serbische eine weitere Provokation ;-)
aber denkt daran der Doppeladler wurde zum Wort des Jahres in der Schweiz gewählt.autsch