Hab gehofft das du als Insider was dazu schreibst.
Aber müsste ein Lokführer nicht so geschult sein das er trotz abgeschalteter Sicherungssysteme die kurve mit angemessener Geschw. anfährt. Gibt es da keine klassische Beschilderung ( wenn es überhaupt so etwas gibt )
Nach dem Video würde ich sagen das die hinteren Abteile durch die wirkenden Kräfte in der zu schnell angefahrenen Kurve das 2 Abteil aus den Schienen gedrückt haben mit den entsprechenden Folgen.
Ich fürchte, man wird das nicht so schnell klären können. Und wenn, dann wird man wohl nicht Alles erfahren. Beschilderung bzw. Signalisierung gibt es natürlich. Ich will es einmal ganz laienhaft zu erklären:
Auf "klassischen" Bahnstrecken stehen in regelmäßigen Abständen Lichtsignale ("Ampeln"), die ein Vorbeifahren mit bestimmten Geschwindigkeiten erlauben. Unmittelbar beim Signal ist im Gleisbereich ein Induktionsmagnet montiert, der mit der Lok kommuniziert. Wird am Signal zu schnell vorbeigefahren, löst dieser Magnet eine Zwangsbremsung aus, in welche der Lockführer nicht mehr eingreifen kann. Um nicht ständig beschleunigen und bremsen zu müssen, wird ca. 1 Km vorher die zu erwartende Stellung des Signals mit einem "Vorsignal" angekündigt, sodaß auf einer "grünen Welle" eine gleichmäßigere Fahrt möglich ist. Neben der Signalisierung hat der Lokführer auch noch ein sog. "Verzeichnis der örtlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit" am Führerstand liegen. Bei modernen Loks/Triebzügen ist dieses bereits in der Fahrzeugelektronik programmiert. Dies und noch ein paar andere Dinge mehr sind Standard auf Strecken bis 160 Km/h.
Auf Neubaustrecken, die üblicherweise deutlich schneller befahren werden, gibt es wesentlich modernere Zugsicherungssystem, mit denen Züge weitgehend ferngesteuert werden. Der Lokführer greift nur in Notfällen ein bzw. bei planmäßigen Halten, wo er dann den Zug "komfortabel" zum stehen bringt. Fernsteuerungen haben nämlich eine Systemschwäche: Sie kennen nur die Zustände "voll beschleunigen bis zur erlaubten Geschwindigkeit - halten der Geschwindigkeit - und voll bremsen". Bei diesen Zugsicherungssystemen bräuchte man keine Signale mehr. In der Leitzentrale sieht der entsprechende "Lotse" auf großen Bildschirmen wo, und in welchem Abstand sich die Züge gerade befinden. Man kann sich das durchaus wie eine Modelleisenbahn vorstellen. (Wie gesagt - sehr stark vereinfacht dargestellt!)
So und jetzt sind wir bei dem Punkt, wo ich absolut ratlos bin. Die Strecke ist neu. Der Zug selbst auch relativ neu, auch wenn sich die Talgo-Züge technisch stark von anderen Zügen unterscheiden. Die enge Kurve dort war offensichtlich bekannt. Wenn jetzt darauf hingewiesen wird, dass diese Kurve "problematisch" wäre, dann ist das aus meiner Sicht nicht zulässig. Wie mit dem Auto ist JEDE Kurve problematisch, wenn ich zu schnell fahre. Ein 90 gradiges Eck ist bei entsprechend verringerter Geschwindigkeit auch kein Problem.
So wie es im Video aussieht, hat der Lokführer mitten in der Kurve eine Vollbremsung ausgelöst. Bei "normalen" Zügen würde sich der Zugverband "strecken", da die Waggons deutlich besser bremsen, als die vergleichsweise schwere Lok. Ein normaler Waggon bremst 4 Achsen. Wie schon erwähnt, sind die Talgo Züge völlig anders konstruiert. Mit vielen Vorteilen, aber auch gewissen Nachteilen. So z. B. hat jeder Waggon nur 1 (!) Achse. Über einen Dreiecksrahmen stützt sich jeder Wagen jeweils an der "Achse" des nächsten Wagens auf. Ähnlich wie bei einer Fahrradkette. Man spricht deshalb auch von einem "Gliederzug".
Talgo
In Verbindung mit Leichtbauweise ergeben sich rein physikalisch schon schlechtere Reibwerte und damit schlechtere Bremsleistungen. Der jeweils Erste und Letzte Wagen ist als motorisierter "Triebkopf" (Lok) ausgebildet und verfügt neben dem höheren Gewicht über vier (gebremste) Achsen. Das heisst, bei einer Vollbremsung wird so ein Zug "gestaucht". Man sieht das auch im Video, dass ab dem 2. Wagen der Zug nach außen gedrückt wurde. Ungeklärt bleibt (hoffentlich), ob nicht auch ein "herkömlicher" Zug aufgrund der extrem überhöhten Geschwindigkeit und des höheren Schwerpunkt zur Gänze entgleist wäre.
Für mich stellt sich die entscheidende Frage: Warum war es dem Lokführer überhaupt TECHNISCH möglich, so schnell zu fahren. Ich erwarte hier eine jahrelange Diskussion unter "Fachleuten". Meiner Einschätzung nach, wird dieser Unfall gravierende Auswirkung auf das gesamte spanische Bahnsystem haben und viele hundert Millionen Euros an Umbau-/Nachrüstkosten nach sich ziehen. Wenn da ein Systemfehler gefunden wird (wovon ich ausgehe), dann werden sowohl die nationalen, ganz sicher aber die europäischen Verkehrsbehörden drastische Restriktionen erlassen.