25.10.2004
Rückzug wohin?
Setzt Sharon den Rückzugsplan durch, dann geht es erst richtig los - Von Ben Segenreich
Das politische Drama, das in Israel schon seit gut einem Jahr gespielt wird, wird sich übers nächste Jahr noch zuspitzen. Der Rückzugsplan hat Ariel Sharon schon seine Parlamentsmehrheit gekostet. Der Premier könnte schließlich sogar darüber stürzen oder doch noch gezwungen sein, sich auf eine Volksabstimmung einzulassen.
Setzt Sharon den Plan aber durch, dann geht es erst richtig los. Die Siedler aus dem Gazastreifen, vielleicht mit Brachialgewalt, zu entfernen und zugleich einen irreparablen Riss in der israelischen Gesellschaft zu vermeiden, das wird eine schier übermenschliche Aufgabe sein.
Doch das Drama ist zugleich auch absurdes Theater. Nicht nur wegen der beispiellosen Pointe, dass eine Regierungspartei zwar voll und ganz zu ihrem Chef steht, aber sein Programm nicht haben will. Vor allem ist nicht klar, wozu der gewaltige Aufwand an Emotionen, Logistik und Geld eigentlich gut ist. Völkerrechtlich bliebe Israel auch nach dem Rückzug für den Gasastreifen verantwortlich, heißt es in einem internen israelischen Bericht, weil es die Kontrolle über die Grenzen und den Luftraum behält. Aus israelischer Sicht ist die Entfernung von Siedlungen ein gewaltiges Opfer, aber den internationalen Druck, auf fast das ganze Westjordanland zu verzichten, wird Israel dadurch nicht loswerden.
Aus palästinensischer Sicht wiederum besteht keine Veranlassung, in dem Rückzug eine Vertrauen bildende Geste zu sehen, weil die Palästinenser ja gar nicht eingebunden sind und dem Ziel eines eigenen Staates nicht näher kommen. Und mehr Sicherheit wird keine der beiden Seiten gewinnen, denn die Raketenwerferkommandos der Hamas werden sich noch freier bewegen können als bisher, weshalb nicht nur der Rückzug, sondern für den Tag danach auch schon der nächste Vorstoß in den Gazastreifen vorprogrammiert scheint. (DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.10.2004)