Kaum befolgt man seine Religion wird man in dieser Gesellschaft diskriminiert
Islamismus an Hamburger Schulen[h=2]Salafisten im Klassenzimmer[/h]An Hamburger Schulen verhalten sich immer mehr Jugendliche streng muslimisch. Lehrer werden zu ihrer Zielscheibe. Bildungssenator Ties Rabe bringt den Einsatz von Verfassungsschutz und Polizei ins Spiel.
14.05.2014, von FRANK PERGANDE, HAMBURG
Multikulturell: Hamburgs Stadtteil Mümmelmannsberg
Seit gut sechs Jahren leitet Detlef Aßmann die Hamburger Stadtteilschule in Mümmelmannsberg. Seit 34 Jahren ist er Lehrer. Er hat in der Schule so ziemlich alles erlebt, was man dort erleben kann. Aber die Vorwürfe einer Mutter, die Lehrer ließen es an Respekt gegenüber dem Islam fehlen, haben ihn doch geärgert. Denn sie wurden anonym vorgebracht und auch nicht in der Schule, sondern über die Medien.
Acht angebliche islamfeindliche Zitate von Lehrern waren auf einem handgeschriebenen Zettel festgehalten, den eine muslimische Mutter dem NDR präsentierte. Einen der Vorwürfe erkannte Aßmann sogar wieder, weil der Fall in der Schule tatsächlich eine Rolle gespielt hatte. Allerdings anders als von der Mutter behauptet. Es ging um Vorwürfe gegen eine Lehrerin, die inzwischen von den Urhebern zurückgezogen waren. Aßmann sagt: „Dass im Schulalltag mal etwas Missverständliches gesagt wird, wer will das ausschließen? Aber wenn es Vorwürfe gibt, dann gehören sie zuerst auf den Tisch der Schule.“
Mümmelmannsberg ist einer jener drei Hamburger Stadtteile, die in den siebziger Jahren komplett neu errichtet wurden und heute mit einem schlechten Ruf zu kämpfen haben. Der riesige Schulbau bildet gleichsam den Mittelpunkt der Siedlung mit etwa 18.000 Einwohnern. Er atmet vier Jahrzehnte bundesdeutscher Bildungsgeschichte. Als Schulzentrum, zu dem eine Gemeinschaftsschule und weitere Bildungseinrichtungen gehören, ausgestattet mit weiten Fluren, Hörsälen und vergleichsweise kleinen Klassenräumen, ist das Gebäude heute eine Stadtteilschule mit Ganztagsbetrieb. Und zwar eine der großen Schulen mit 1.300 Schülern sowie 130 Lehrern und Sozialpädagogen.
[h=2]„Konfrontative Religionsausübung“[/h]Zwei Drittel der Schüler haben ausländische Wurzeln, sie haben vor allem türkische, aber auch afghanische und iranische Wurzeln, viele sind muslimisch geprägt. Auch Afrika ist in Mümmelmannsberg stark vertreten. „Jede Flüchtlingsbewegung bemerken wir bei uns durch neue Schüler“, sagt Aßmann. „Der Syrien-Konflikt etwa schlägt sich derzeit auch an der Schule nieder.“ Der Schule gehen nicht wie anderswo wegen der Demographie die Schüler aus. In Mümmelmannsberg leben junge Familien mit Migrationshintergrund, die oft nur ein paar Jahre bleiben und dann anderen jungen Familien Platz machen.
Das Kopftuch ist allgegenwärtig in der Schule. An einigen Mädchen ist die Abya zu sehen, ein traditionelles langes, fließendes Gewand. Aßmann macht in der Schülerschaft einen Trend zu mehr Religion aus. Es gebe deutlich mehr „konfrontative Religionsausübung“. Das seien grundsätzliche Konflikte, die allein in der Schule nicht gelöst werden könnten. „Wir können nur miteinander aushandeln, wie wir damit umgehen wollen.“ Die Streitpunkte sind hinlänglich bekannt. Sie betreffen den Sport- und besonders den Schwimmunterricht, die Sexualkunde, Klassenfahrten und die im Islam geltenden Kleidungsnormen. Aber es gibt eine neue Dimension dieser Konflikte, wenn Schüler oder auch Eltern fordern, dass in der Schule ein Gebetsraum sein müsse. Oder wenn Schüler wegen ihres Glaubens gemobbt werden.
[h=2]Brisanten Bericht zunächst als Geheimpapier behandelt[/h]„Wir hatten in der Tat bei uns auch schon solche Konflikte.“ Auch sei es schon vorgekommen, dass sich Schüler in der Schule zum Gebet niedergelassen haben. Aus dem Haus der Jugend, das sich mit im Schulgebäude befindet, wird berichtet, dass auf einmal die Mädchen sich nicht mehr zur Kinderdiskothek trauten. Im vergangenen Jahr hat das Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung solche Tendenzen näher untersucht und einen Bericht über „Religiös gefärbte Konfliktlagen an Hamburger Schulen“ vorgelegt. Dessen Inhalt war so brisant, dass die Ergebnisse zunächst wie ein Geheimpapier behandelt wurden. Unter anderem steht darin, dass das „islamistisch-extremistische Verhalten“ offenbar von islamistischen Extremisten außerhalb der Schule ausgehe – und zwar im Osten Hamburgs, vor allem im Raum Billstedt und Mümmelmannsberg. Die „Bild“-Zeitung verkündete kürzlich, an manchen Schulen tobe ein Glaubenskrieg, und titelte: „Salafisten unterwandern sieben Hamburger Schulen“. Eines der Fotos dazu zeigte die Schule Mümmelmannsberg.
Im Februar entschloss sich die Schulbehörde, doch über das Papier zu informieren, ohne die betroffenen Schulen zu nennen. Die Konflikte bedeuteten „erhebliche Herausforderungen für die Lehrkräfte“, hieß es. Auch seien Lehrer „überfordert angesichts endloser und provozierender Diskussionen mit Schülern“. Bildungssenator Ties Rabe (SPD) machte bei der Gelegenheit deutlich, dass es für den Umgang verschiedener Kulturen miteinander in der Schule längst Regeln gebe. Er sagte aber auch, im Fall des Falles müssten Verfassungsschutz und Polizei eingeschaltet werden.
Zufall oder nicht, kurz nach Rabes Auftritt lud der Hamburger Verfassungsschutz zu zwei Diskussionsrunden über den Einfluss von Islamisten auf Jugendliche ein. Überschrift: „Die missbrauchte Religion“. Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob Islamismus nur eine jugendliche Subkultur sei. Die Debatte dazu wurde dann allerdings von Muslimen bestimmt. Sie forderten, der Islam müsse im Schulunterricht eine größere Rolle spielen, besonders im Religionsunterricht. Die Nichtmuslime wüssten zu wenig darüber. Es sei nicht hinnehmbar, dass schon ein Kopftuch Misstrauen erwecke, sagte etwa eine junge zum Islam konvertierte Frau – mit Kopftuch. Auch würden die Muslime Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren, hätten untereinander aber ein starkes Wir-Gefühl. Erst am Ende meldeten zwei Grundschullehrerinnen Zweifel an, ob allein die Gesellschaft eine Art Bringschuld dem Islam gegenüber habe. „Die Jungs, die wir in die Schule bekommen, haben zwar schlechte Deutschkenntnisse, aber den Islam kennen sie, den lernen sie von Anfang an“, sagte die eine Lehrerin. Die andere berichtete von einem „Integrationsprojekt“ mit türkischen und deutschen Eltern an der Schule, um einander besser kennenzulernen. „Nach vier Jahren muss ich feststellen: Nur eine der angesprochenen türkischen Familien zeigte wirklich Interesse.“ Auch Direktor Aßmann bestätigt für seine Schule: „Wir treffen auf muslimischer Seite immer mehr auf Fälle, wo die Verständigung an Grenzen stößt und ein religiös motivierter Konflikt droht.“ Das habe allerdings viel mit der Pubertät zu tun. Oft genug hätten schon muslimische Eltern bei ihm gesessen, die selbst nach Erklärungen suchten, welche Veränderungen ihre Kinder gerade durchlebten, und zwar oft innerhalb kürzester Zeit. „Die Religionsausübung sehe ich als eine private Sache an“, sagt Aßmann. „Im Vordergrund steht die Verpflichtung einer Schule, für alle da zu sein gerade in einer multikulturellen Gesellschaft.“
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Einen Gebetsraum wird es nicht geben, das Gebet im Schulgebäude ist nicht erlaubt. Die Gesichter und Hände der Schülerinnen dürfen nicht verschleiert sein. In der Mittagspause von anderthalb Stunden haben die Schüler die Möglichkeit, nach Hause zu gehen und vielleicht dort ein Gebet zu sprechen. In einem Mobbingfall wurde auch schon mal mit Schulverweis gedroht. 14 pädagogische Mitarbeiter, Lehrer und Sozialpädagogen in Mümmelmannsberg haben selbst einen Migrationshintergrund. Gerade hat eine muslimische Lehrerin eine Zusatzausbildung für den Religionsunterricht abgeschlossen. Demnächst wird die Schulordnung überarbeitet. Die große Mehrheit der Mädchen und Jungen, sagt Aßmann, komme gerne zur Schule. „Einige der Schüler leben in schwierigen Verhältnissen. Für manche sind die Stunden in der Schule wahrscheinlich die schönsten des Tages.“ Darauf deute auch der Erfolg der Schule: „Kaum ein Schüler kommt mit Gymnasialempfehlung zu uns. Aber am Ende macht etwa ein Viertel das Abitur.“