Krieg gegen die Kurden
Erdogans blutiger Wahlkampf
Der türkische Präsident lässt den Konflikt mit den Kurden weiter eskalieren, um seine Macht zu sichern. Für diese egozentrische Politik muss die Türkei langfristig einen hohen Preis bezahlen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede in Ankara (12. August 2015). (Bild: Keystone / EPA) Teile und herrsche – der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält sich in seiner Not an die alte Diktatorenregel. Er schürt den Konflikt mit den Kurden gezielt, um das Land zu polarisieren und sich in dieser bedrohlichen Situation als Retter zu stilisieren. In einem Fernsehinterview hat Erdogan am vergangenen Sonntag diesen zynischen Plan
in verklausulierten Worten bestätigt: Wenn bei den Parlamentswahlen im Juni eine bestimmte Partei 400 Sitze erhalten hätte, wäre die Türkei heute nicht in einer solch misslichen Lage, meinte Erdogan sinngemäss.
Der Gewinn von 400 Sitzen war das erklärte Ziel von Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Mit einer solchen Mehrheit hätte Erdogan die Verfassung an sein massloses Ego anpassen können. Nicht die Regierung, sondern er – der Präsident – sollte künftig das Sagen haben.
Die Türken aber versagten dem Sultan in spe
bei den Wahlen im Juni die Gefolgschaft. Die AKP verpasste die verfassungsändernde Mehrheit mit 258 Sitzen deutlich. Schuld daran war auch der Erfolg der prokurdischen Partei HDP und ihres populären Führers Selahattin Demirtas. Die HDP gewann 13 Prozent der Stimmen und versetzte Erdogans Allmachtsphantasien einen schweren Dämpfer. Die Kommentatoren feierten das Wahlresultat als Zeichen für die demokratische Reife der türkischen Bürger. Aber sie hatten Erdogans Reaktion unterschätzt. Für ihn kommt eine Machtteilung nicht infrage. Denn dadurch käme unweigerlich Licht in die korrupten Verstrickungen seines Regimes, was folglich seinen Untergang bedeuten könnte.
Deshalb hat Erdogan den Friedensprozess mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) beendet und
lässt er den Konflikt seither eskalieren . Sein Ziel allerdings ist nicht die PKK, sondern die gemässigte HDP. Sie soll bis zu den Neuwahlen am 1. November als Helfershelferin der «PKK-Terroristen» gebrandmarkt werden. Und dies, obwohl Demirtas die Armee und die PKK aufgefordert hatte, «den Finger vom Abzug zu nehmen».
Ob Erdogans Kalkül aufgeht, muss sich zeigen. Einiges spricht dagegen. Die türkische Wirtschaft leidet unter der Unsicherheit. Zudem kam es bei Begräbnissen von türkischen Polizisten, die von der PKK getötet worden waren, zu Unmutsbekundungen gegen Erdogan. Klar ist aber, dass die Türkei für die egozentrische Politik ihres Präsidenten langfristig einen hohen Preis bezahlen muss. Auch wenn Erdogan die Wahlen im November gewinnen sollte, die Aussöhnung mit den Kurden ist um Jahre zurückgeworfen. Zudem hat Erdogan die Hoffnungen im Westen enttäuscht, dass seine AKP die Türkei zu einer Musterdemokratie für die islamische Welt formen könnte.
Krieg gegen die Kurden: Erdogans blutiger Wahlkampf - NZZ Kommentare
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