Rückschlag auf dem Westbalkan
Kosovo düpiert Serbien
Das kosovarische Verfassungsgericht hat das Normalisierungsabkommen mit Serbien gestoppt. Der Schritt gefährdet die weitere Annäherung an Serbien und die EU.
Das kosovarische Verfassungsgericht hat eine Suspendierung des Normalisierungsabkommens mit Serbien angeordnet. In der von der Europäischen Union vermittelten Vereinbarung wird den serbisch bevölkerten Gemeinden ein hohes Mass an Selbstverwaltung zugesichert, unter anderem im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie in der Stadtplanung und in wirtschaftlichen Fragen. Das 2013 unterzeichnete und am 25. August 2015 präzisierte Abkommen soll auf seine Verfassungsmässigkeit geprüft werden, wie das Gericht am Dienstag mitteilte. Ein abschliessendes Urteil wird im Januar 2016 erwartet.
Rabiate Opposition
Gegen das Abkommen läuft die kosovarische Opposition seit langem Sturm. Sie betrachtet den angestrebten Gemeindeverband als Mittel, um den serbischen Einfluss zu stärken und die ethnischen Gräben zu vertiefen. Dreimal zündeten nationalistische Abgeordnete in den vergangenen Wochen im Parlamentssaal von Pristina Tränengaspetarden, um die Debatte zu unterbinden. Der Widerstand richtete sich auch gegen einen Grenzvertrag mit Montenegro. Nach den Tumulten legte die kosovarische Präsidentin Atifete Jahjaga das heikle Dossier Ende Oktober der Justiz vor. Einer von der Opposition verlangten Volksabstimmung widersetzt sich die Regierung.
Wenig überraschend reagierte Belgrad harsch auf den Gerichtsentscheid. Der Aussenminister Ivica Dacic bezichtigte Kosovo des Wortbruchs und ortete eine grosse Bedrohung für die regionale Stabilität. Ein Dialog, wie er bis anhin geführt worden sei, werde jetzt sinnlos, mahnte sagte Dacic. Kosovos Präsidentin Jahjaga begrüsste zwar das Urteil, meinte aber beschwichtigend, man fühle sich der Annäherung an Serbien verpflichtet. Die drei kosovarischen Oppositionsgruppierungen Vetevendosje, AAK und Nisma kündigten an, ihre «Aktivitäten zu intensivieren», bis das Abkommen zurückgezogen werde.
Politisierte Justiz
Bemerkenswert ist die zeitliche Koinzidenz: Nur einen Tag vor dem Beschluss des Verfassungsgerichts blitzte der seit 2008 unabhängige Balkanstaat mit seinem Aufnahmegesuch bei der Kulturorganisation der Vereinten Nationen (Unesco) ab. Serbien hatte unter Verweis auf den ungenügenden Schutz von serbisch-orthodoxen Kulturgütern in Kosovo alle diplomatischen Hebel in Bewegung gesetzt, um einen Beitritt zu verhindern. Unterstützung erhielt Belgrad in dieser Angelegenheit von Russland, welches die Unabhängigkeit Kosovos wie Serbien nicht anerkennt. Kosovo verpasste die nötige Zweidrittelmehrheit um lediglich drei Stimmen. Der kosovarische Ministerpräsident Isa Mustafa bezichtigte Belgrad, eine «rassistische Kampagne» lanciert zu haben.
Der Verdacht, dass man sich in Reaktion auf diese Niederlage an Serbien rächen wollte, scheint nicht völlig aus der Luft gegriffen, zumal die Justiz Kosovos keinen guten Ruf geniesst. Sie sei anfällig für politische Einflussnahme, stellte die EU-Kommission in ihrem am Dienstag veröffentlichten Fortschrittsbericht fest. Gerät die ohnehin harzige Aussöhnung zwischen Serbien und seiner ehemaligen Provinz ins Stocken, wird sich der erhoffte EU-Beitritt der beiden Staaten in eine noch fernere Zukunft verschieben. Ende Oktober unterzeichnete Pristina ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU, das einen zivilisierten Umgang zwischen Serbien und Kosovo zur Voraussetzung für weitere Integrationsschritte macht. Aus Brüssel hiess es am Mittwoch vielsagend, man äussere sich nicht zu juristischen Verfahren. Doch stünden die beiden Seiten in der Verantwortung, das Normalisierungsabkommen umzusetzen.