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Thread-Titel: Was es bedeutete, ein Jugoslawe zu sein – auch wenn man kein Slawer war
Der Begriff Jugoslawe wird oft mit einer panslawischen Identität verbunden, doch für viele Minderheiten innerhalb der ehemaligen Föderation hatte er eine breitere, ideologische Bedeutung. Für Roma, Albaner, Ungarn, Juden und andere, die ethnisch nicht zu den Südslawen gehörten, war Jugoslawien nicht nur ein Staat – es war eine Vision.
Unter dem Motto „Bratstvo i jedinstvo“ (Brüderlichkeit und Einheit) versuchte das jugoslawische Projekt, eine überethnische Identität zu schaffen, die über Herkunft hinausging. In der Theorie – und zum Teil auch in der Praxis – bedeutete es, Jugoslawe zu sein, dass die ethnische Zugehörigkeit weniger zählte als das Bekenntnis zu Zusammenleben, Solidarität und gemeinsamen Fortschritt.
Für die Roma-Gemeinschaften bedeutete das erstmals (wenn auch begrenzten) Zugang zu Bildung, Arbeit und staatlicher Anerkennung. Albaner wurden – trotz späterer Spannungen – zunächst mit kulturellen und sprachlichen Rechten integriert. Ungarn in der Vojvodina konnten ihre Sprache und Identität bewahren und gleichzeitig Teil des jugoslawischen Rahmens sein.
Das jugoslawische Ideal strebte keine ethnische Homogenität an, sondern eine staatsbürgerliche Identität, die Serben, Kroaten, Bosniaken, Slowenen, Mazedonier, Montenegriner – und auch jene außerhalb des slawischen Spektrums – umfassen konnte.
Natürlich klaffte zwischen Ideal und Realität oft eine Lücke. Ungleichheiten blieben bestehen, und der Nationalismus zerstörte letztlich das ganze Projekt. Doch in seinen besseren Momenten bot die jugoslawische Identität einen seltenen Raum, in dem Zugehörigkeit nicht davon abhing, was man war, sondern wofür man stand.
Ein Jugoslawe zu sein – auch ohne slawische Wurzeln – bedeutete, an die Möglichkeit von Einheit ohne Gleichmacherei zu glauben.