Rupert Neudeck, Mitgründer des Komitee Cap Anamur und Chef der Hilfsorganisation Grünhelme, spricht im Interview über die Verzweiflung der Menschen im Kosovo und die Instabilität des Landes. Von Tobias Peter
Köln.
Herr Neudeck, viele tausend Menschen haben den Kosovo mit Bussen über Serbien verlassen – am Ende sind sie oft nach Deutschland gekommen. Wie erklärt sich dieser Exodus?
Ganz klar, es herrscht eine furchtbare Perspektivlosigkeit im Kosovo. Die Arbeitslosigkeit ist riesig. Selbst die Bauern beklagen, dass sie verarmen. Der Staat ist in den Händen verteufelt verantwortungsloser und korrupter Politiker, die immer zuerst an das eigene Wohl denken – und nicht an das der Bürger. Mehr noch: Die Politiker sind teils schlicht Kriminelle. So ist der Bürgermeister einer größeren Stadt wegen Schmuggels verurteilt. Und dennoch ist der Mann weiter im Amt.
Seit dem Kosovo-Krieg und auch seit der Unabhängigkeitserklärung hat das Land viel internationale Hilfe erhalten. War das alles nutzlos?
Das ist ja das unglaubliche Verbrechen, dass von dem Geld nichts Positives für die Menschen geschaffen wurde. Hier muss die Europäische Union, hier muss Deutschland Druck aufbauen und sagen: „Hilfe gibt es nur noch, wenn ihr kriminelle Politiker auch wirklich hinter Gitter bringt! Wenn ihr eine Regierung seid, die für das Land da ist – und nicht umgekehrt.“
Kann da denn nicht Eulex, die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, mit der Richter, Zollbeamte und Gefängnisaufseher in den Kosovo entsandt wurden, etwas zum Guten hin bewirken?
Diese Mission hat sich bislang einzig und allein als europäische Selbsttäuschung und als Enttäuschung für die Menschen im Kosovo erwiesen. Die Eulex-Mission ist komplett gescheitert. Nichts würde ihrer ersatzlosen Streichung entgegenstehen – außer natürlich den Interessen der hochbezahlten Menschen, die für Eulex arbeiten. Viele im Kosovo wissen noch nicht einmal, dass es die Mission überhaupt gibt. Sie bemerken sie nicht, weil es nichts Positives zu bemerken gibt. Würde man das viele Geld, das hier verbrannt wird, in den Aufbau von Berufsschulzentren stecken, die Bevölkerung könnte davon unglaublich profitieren.
Die Zahl der Flüchtlinge aus dem Kosovo, die in Deutschland ankommt, war nach enormen Ausschlägen zuletzt spürbar rückläufig – aber es kommen weiter Menschen. Welche Probleme sehen Sie aufgrund der Situation für den Kosovo?
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich klar machen, dass die Ausreise über das Territorium des alten Erzfeindes Serbien erfolgt – organisiert von Schleusern, die damit viel Geld verdienen. Die Regierung in Belgrad beobachtet das geradezu genüsslich und hofft offenbar darauf, dass der Kosovo wie ein Kartenhaus in sich zusammenkracht. Und darauf, dass dann Serbien gewissermaßen den gesamten Kartenstapel wieder aufnehmen kann.
Dramatisieren Sie die Lage jetzt nicht?
Im Gegenteil, wenn Serbien eine Chance sieht, wird es den Kosovo im Handstreich nehmen. Nicht auszudenken, wenn dann auch noch der russische Präsident Wladimir Putin Belgrad seine brüderlich-orthodoxe Unterstützung gewähren sollte. Dann ist der Kosovo binnen Tagen als unabhängiger Staat erledigt. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass die deutsche Regierung dann Bundeswehrsoldaten für das Kosovo kämpfen lassen möchte.
Die serbische Regierung würde doch sich selbst schaden, wenn sie so handelte. Das Land will in die EU…
Genau das ist der Hebel, den die EU und die Bundesregierung nutzen müssen. Alle Länder auf dem Balkan haben eine gute wirtschaftliche Zukunft nur in Europa. Deshalb müssen wir der serbischen Regierung klipp und klar sagen, dass sie die Arbeit der kriminellen Schleuser unterbinden soll, die den Exodus aus dem Kosovo organisieren. Und wir müssen darauf hinwirken, dass die jungen Menschen im Kosovo eine gute Ausbildung und Lebensperspektive bekommen. Von all dem würden auch wir Deutschen profitieren. Denn der unkontrollierte Flüchtlingsstrom zieht sonst geradewegs zu uns.
http://www.ksta.de/politik/rupert-n...s-schlicht-kriminelle-,15187246,30257008.html