Unruhen in Ägypten: Die Fanatiker werden verlieren
Ein Gastbeitrag von Hamed Abdel-Samad
REUTERS
Trotz der Gewalt in Kairo dürfen wir nicht vergessen: Der Sturz von Mursi durch die Armee war alternativlos, weil der Präsident und seine Muslimbrüder das Land in Geiselhaft gehalten haben. Mehr noch, das Militär hat auch die Freiheit im Westen vor den Islamisten verteidigt.
Wann immer die Islamisten nach der Macht griffen, gab es zwei Szenarien: Gelang ihnen die Machtergreifung, so regierten sie mit eiserner Hand und verwandelten ihre Gesellschaften in Freiluftgefängnisse wie Iran, Afghanistan, Somalia oder Sudan. Wurden sie von der Macht verdrängt wie in Algerien Ende der achtziger Jahre, verwandelten sie sich in terroristische Organisationen und richteten Blutbäder auch in der Zivilbevölkerung an.
Gerade wurde in Ägypten das erste Szenario durch die Intervention der Armee abgewendet, gleichzeitig wächst die Befürchtung vor dem Eintreten der zweiten Variante.
Jetzt schicken die Muslimbrüder ihre Milizen auf der Straße, schießen wild um sich und versuchen, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen, um ihren
gestürzten Präsidenten zurück an die Macht zu bringen. Doch die
Muslimbrüder haben den Zeitgeist nicht verstanden. Sie konnten nicht begreifen, dass sie im Zeitalter der globalen Kommunikation keine neue Diktatur aufbauen können. Sie nutzten die Demokratie als Trojanisches Pferd, um an die Macht zu kommen, dann versuchten sie, die Demokratie von innen zu zerstören. Wie Mubarak wollten sie in rasantem Tempo die Kontrolle über alle Institutionen des Landes erlangen. Ihre Allianz mit der Hamas war eine Bedrohung für die Sicherheit auf der Halbinsel Sinai und kostete 16 ägyptische Soldaten das Leben. Ihre amateurhafte Wirtschaftspolitik führte das Land in den Ruin.
Ägypten drohte auszubluten
Da es in Ägypten kein Parlament gibt, das ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einleiten konnte, mussten die Massen ein populäres Verfahren einleiten, um
Mursi loszuwerden. Die Armee musste intervenieren, um einen Bürgerkrieg zwischen Mursi-Anhängern und seinen Gegnern zu verhindern und um das wirtschaftliche und sicherheitspolitische Ausbluten Ägyptens zu stoppen.
Die Sessel-Experten im Westen sehen dahinter nur einen Militärputsch und blenden den Willen von Millionen Ägypter aus. Es kommt selten vor, dass
die Taliban, die Hamas, die US-Regierung und das deutsche Kanzleramt einer Meinung sind. Aber in diesem Fall sehen sie alle die Absetzung des ägyptischen Ex-Präsidenten Mohammed Mursi als einen Rückschlag für die Demokratie. Demokratie ist aber keine katholische Ehe, die einer Frau verbietet, sich scheiden zu lassen, auch wenn der Ehemann Alkoholiker ist und sie jeden Tag misshandelt und vergewaltigt. Die Islamisten waren dabei, Ägypten ins Mittelalter zurückzuschießen und ihre Macht in weiteren arabischen Staaten auszubauen.
Der Sturz der Muslimbrüder in Ägypten leitet das Ende des Islamismus ein. Denn Ägypten war immer das Zentrum des radikalen Islam. Also kann man die Intervention der Armee auch als Verteidigung nicht nur der Freiheit der Ägypter, sondern auch unserer Freiheit hier im Westen verstehen.
Die letzte Schlacht hat begonnen
Ja, Mursi wurde demokratisch gewählt und kam auf legalem Wege an die Macht. Aber es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen legal und legitim. Legalität ist das Verfahren; Legitimität ist der langfristige Prozess. Für mich ist Mursi deshalb seit Monaten kein legitimer Herrscher Ägyptens mehr. Denn kaum wurde er gewählt, brach er alle seine Versprechen und wandte sich vom demokratischen Regelwerk ab. Er setzte sich durch umstrittene Dekrete über das Gesetz hinweg und ließ zu, dass die Milizen der Muslimbrüderschaft das obere Verfassungsgericht belagerten, um die Richter daran zu hindern, ein Urteil gegen seine islamistische Verfassung zu fällen.
Als friedliche Demonstranten vor seinem Palast Anfang Dezember 2012 demonstrierten, schickte er Teile seine Milizen auf sie los und ließ sie die Demos blutig auflösen. Seine islamistischen Verbündeten bezeichneten die Oppositionsführer sogar in seiner Anwesenheit als ungläubige Verräter. Manche ihm nahestehenden Fernsehsender hetzten gegen die Kopten und die schiitische Minderheit, was zu pogromartigen Szenen mit mehreren Todesopfern führte. Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Was die Armee am 3. Juli machte, war kein wirklicher Putsch, sondern eine Geiselbefreiungsaktion. Ein ganzes Land war von Mursi und seinen Muslimbrüdern im Namen der Demokratie als Geisel genommen, misshandelt und entstellt worden. Nun sind die Karten neu gemischt, und die Muslimbrüder haben die Chance, sich an der neuen Regierung und an demokratischen Wahlen zu beteiligen, aber das wollen sie nicht. Wenn sie nicht die Regeln bestimmen können, lehnen sie das Spiel ab. Und so vertiefen sie die Spaltung weiter.
Mursi und seine Muslimbrüder putschten zuerst gegen die Demokratie und gegen den Willen der meisten Ägypter. Nun ist die Maske der Islamisten gefallen, und sie sprechen wieder die Sprache, die sie am besten beherrschen, nämlich die Sprache der Gewalt. In Kairo, Alexandria, auf der Halbinsel Sinai und im Süden des Landes wollen sie mit Gewalt den abgesetzten Präsidenten wieder installieren.
Dutzende Tote und Hunderte zum Teil Schwerverletzte sind das Ergebnis des ersten Tages. Die letzte Schlacht der Fanatiker hat begonnen, und sie werden verlieren.
Abdel-Samad: Sturz von Mursi war alternativlos - SPIEGEL ONLINE
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