Albanische EidgenossenAnalyseKosovo fehlt in Brasilien – allerdings nur auf den ersten Blick.
Diese Fussball-WM bietet den Albanern viel Anlass, über die eigene Geschichte nachzudenken. Es ist eine Geschichte der Emigration. Im Bild Xherdan Shaqiri (sprich: Schatschiri). Foto: Reto Oeschger
Von Enver Robelli19.06.2014
Der Ball ist und bleibt rund – auch wenn der Fussballverband von Kosovo konfrontiert ist mit einer Quadratur des Kreises. Sechs Jahre nach der Unabhängigkeit der Balkanrepublik verwehrt ihm die Fifa noch immer die Teilnahme an internationalen Wettbewerben. Die Funktionäre in Zürich erklären etwas herzlos und sibyllinisch, solange Kosovo nicht Mitglied der UNO sei, dürfe es keine Länderspiele bestreiten. Das heisst: Solange die früheren serbischen Herrscher die Abspaltung Kosovos nicht akzeptieren, wird die Weltorganisation den Zwergstaat nicht aufnehmen. Zuletzt hat die Fifa ein wenig nachgegeben: Kosovo darf Freundschaftsspiele absolvieren. Die Kosovo-Albaner lassen aber nicht locker. Nicht nur Fussballfans monieren, die Fifa habe die Schweiz doch auch nie von internationalen Sportwettbewerben ausgeschlossen, obwohl das Land bis 2002 abseits der UNO stand. Wird da nicht mit zweierlei Mass gemessen?
Die balkanischen Verschwörungstheorien blühen. Die Fifa und ihr Chef Sepp Blatter würden Kosovo absichtlich blockieren, um eine Dezimierung der Schweizer Nationalelf zu verhindern. Wäre Kosovo vollwertiges Fifa-Mitglied, würden Xherdan Shaqiri (sprich: Schatschiri), Granit Xhaka und Valon Behrami womöglich für die Heimat ihrer Eltern spielen, nicht für die Eidgenossenschaft, wird spekuliert. Vielleicht würden sich auch die aus Mazedonien stammenden Albaner Blerim Dzemaili und Admir Mehmedi für die kosovarische Nati entscheiden.
Kosovo fiebert mit der Schweiz
Seit die WM in Brasilien begonnen hat, ist Schluss mit der Polemik. Die Krawallfans sind verstummt, die Landsleute im Dienste der Schweiz werden nicht mehr offen angefeindet, jetzt ist Pragmatismus angesagt. Aus Verrätern sind Helden im brasilianischen Fussball-Dschungel geworden. Vor dem Spiel der Schweiz gegen Ecuador schlugen die Herzen der Fans in Kosovo für die albanischen Eidgenossen. Albanische Eidgenossen? Ist das kein Widerspruch? Nicht mehr. Schliesslich wurde Valon Behrami nach seinem fantastischen Sturmlauf gegen die Ecuadorianer da und dort mit Winkelried verglichen. Sollte er heute Abend gegen Frankreich erneut in die Bresche springen, werden die Fans in Kosovo ihn wohl mit dem albanischen Nationalhelden Skanderbeg vergleichen. Wer war Skanderbeg? Neugierigen sei so viel verraten: Die beste Biografie des antiosmanischen Rebellen hat der Schweizer Historiker Oliver Jens Schmitt geschrieben.
Diese Fussball-WM bietet den Albanern viel Anlass, über die eigene Geschichte nachzudenken. Es ist eine Geschichte der Emigration. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten die albanischen Gebiete auf dem Balkan zum Osmanischen Reich; Istanbul war bis 1928 die Stadt mit den meisten albanischen Einwohnern. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die kosovo-albanischen Arbeitsmigranten gen Westen. Für die Fussballfans ein Glücksfall: Die Söhne von ehemaligen Gastarbeitern und Flüchtlingen spielen heute nicht nur für die Schweiz.
Die Grenzen verschwimmen
Sollte unsere Nati im Viertelfinal ausscheiden, werden die albanischen Fans danach Belgien unterstützen: Für die Roten Teufel spielt Adnan Januzaj, der Jungstar von Manchester United. Er wurde in Brüssel geboren, sein Vater ist Kosovo-Albaner, seine Mutter Türkin. Januzaj ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Begriffe Heimat und Nation in der globalisierten Welt verschwimmen: Bevor sich der Ballkünstler für Belgiens Nationalelf entschied, zeigten Albanien, Kosovo, die Türkei, England und Kroatien Interesse.
Ich wage noch eine Prognose: Im WM-Final werden die Sympathien der Albaner Deutschland gelten – wegen Shkodran Mustafi. Der Abwehrspieler stammt aus der mehrheitlich von Albanern bewohnten Stadt Gostivar in Mazedonien.
Buhrufe erntet dagegen Panagiotis Giorios Kone: Er musste seinen Namen Panajot Gjergji Kone hellenisieren, um für Griechenland spielen zu können. Die Toleranz der Schweiz ist wenigstens in Namensfragen grenzenlos: Auch nach dieser WM wird Valon Behrami nicht gezwungen sein, den Namen Arnold Winkelried zu tragen. Und er wird nicht beschimpft, wenn er den Sieg gegen Ecuador seiner alten Heimat Kosovo widmet. Heimat ist nicht mehr nur dort, wo jemand zu Hause ist. Es gibt für diese albanische Fussballgeneration mit vielen Reisepässen mehrere Heimaten. Der Plural wird endlich gebräuchlich.
(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 19.06.2014, 23:34 Uhr)
Da hat der Verfasser aber recht weit ausgeholt mit dem Vergleich zur Geschichte, Skanderbegs. Aber es hat halt schon gewisse Parallelen. Wie damals, wie heute kämpfen die Albaner mit dem ihrem Herzen für ihr albanisches Volk. Nur der Ruhm beim Erfolg an eine fremde Nation gehen...