Paprika
Jackass of the Week
Interview mit dem Dokumentarfilmer Nenad Puhovski*
Nenad Puhovski gehört zu den wichtigsten Filmemachern und Produzenten der
Dokumentarfilmszene in Kroatien. Seine engagierten Produktionen sind in
seiner Heimat höchst umstritten, denn EU-Kandidat Kroatien möchte keinen
öffentlichen Dialog über die eigene Verg
angenheit starten. Kriegsverbrechen,
Aufarbeitung oder Versöhnung sind für die kroatischen Medien Fremdwörter.
Kroatien ist seit dem 18. Juni 2004 offizieller EU-Beitrittskandidat. Somit sollte das
Land alle demokratischen Grundvoraussetzungen erfüllt haben. Sie haben in der
Vergangenheit immer wieder die Mediensituation in Ihrem Heimatland kritisiert –
warum?
Die Mediensituation in Kroatien ist dramatisch. Die Boulevardisierung und
Kommerzialisierung der Medien bereitet mir große Sorgen. Unter dem Druck der
privaten Sender verwischen die Grenzen zwischen Kommerz und öffentlichem
Dienst. Das kroatische Fernsehen HTV zeigt vermehrt billige lateinamerikanische
Seifenopern und Reality Shows. Diese Art von „Journalismus“ geht allen
gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Problemen aus dem Weg. Die
Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen, mit Schuld und Verantwortung findet hier
nicht statt, wird als etwas betrachtet, was
nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist.
Aber diese Probleme betreffen alle Länder des ehemaligen Jugoslawiens. Das ist
unser gemeinsames Erbe.
Aber die Kommerzialisierung der Medien ist ein weltweiter Trend. Wieso sollte dies
nicht auch in Kroatien der Fall sein?
Die Bürger wissen nicht, für welchen Teil des Programms sie Gebühren zahlen.
Warum sollten die Zuschauer Fernsehgebühren für eine Seifenoper zahlen, wenn sie
diese auf einem privaten Channel gratis
sehen können? Ich will mit meinen
Gebühren kein kommerzielles Fernsehen finanzieren. Leider ist es so, dass im
öffentlichen Fernsehen das Marketing über das Programm entscheidet. Das
öffentliche Fernsehen nimmt wichtige Formate wie Kindersendungen,
Bildungsfernsehen oder Dokumentarreihen unter dem Druck der kommerziellen
Konkurrenten aus dem Programm. Wir haben in Kroatien nicht das Niveau von BBC
erreicht, so dass wir uns eine teilweise Kommerzialisierung leisten könnten.
Wie sieht ihre Arbeit in diesem Klima aus?
Sie ist schwierig. Unabhängige Produzenten wie ich haben das Problem, dass der
öffentliche kroatische Sender HTV nicht unse
r Partner ist. Dies wäre jedoch sehr
wichtig, wenn es um Themen wie die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und
Versöhnungsarbeit geht. HTV ist nicht bereit, kritische Beiträge zu senden und somit
eine öffentliche Debatte zu starten. Als öffentlicher Sender müsste er genau dies tun.
Zudem bekommen Produzenten nur sehr schwer Zugang zum HTV-Archiv. Im Fall
der 2001 veröffentlichten Dokumentation „Sturm über der Krajina“ mussten wir das
Material praktisch stehlen. HTV betrachtet das Archiv als sein Eigentum und nicht als
öffentlich zugängliches Allgemeingut. Aber hier sind 15 Jahre audiovisueller
kroatischer Geschichte aufbewahrt. Diese sollte allen zugänglich sein. Das ist eine
Frage des Fairplays und gehört in meinen Augen zu den europäischen Standards.
Warum ist das so?
Das ist eine Art von präventiver Zensur geprägt von Freund-Feind-Bildern. Im
täglichen Wortlaut ist immer noch die Rede von „Wir“ und „die Anderen“, vom „Wir
sind im Recht “ und „die Anderen sind schuld“. So genannte Kriegshelden genießen
immer noch grosse Sympathie, wobei die Menschen nicht sehen wollen, dass es
auch eine andere Seite gibt.
Aber der kroatische Präsident Ivo Sanader bemüht sich sehr, Kroatien als ernst-
haften Kandidaten für die EU-Mitgliedschaft zu präsentieren.
Der Prozess, den Sanader begonnen hat, ist viel mehr nach außen gerichtet als nach
innen. Sanader unterscheidet sich dabei ni
cht sehr von Tito. Auch dieser war immer
darauf bedacht, sich dem Westen gegenüber demokratisch, charmant und offen zu
präsentieren. Der Osten und der Westen liebten ihn. Aber im Inneren war die
Situation ganz anders. Sanader ist ein intelligenter Mensch, der begriffen hat, was
die EU wirklich interessiert. Aber eine entwickelte Wirtschaft ist nicht das Wichtigste,
sondern Medienfreiheit und die Wahrung der Menschenrechte! Ich will Ihnen ein
Bespiel geben: Sanaders
Mann, Parlamentspräsident Vladimir Seks, hat unlängst
das kroatische Fernsehen angegriffen, weil er nach seiner Ansicht zu wenig im
Fernsehen zu sehen war. Und dies hat er nicht als Privatmann gemacht, sondern in
seiner Funktion als Parlamentspräsident!
Das zeigt, wie mit den Medien in Kroatien umgegangen wird. Obwohl ich keine gute
Meinung über HTV habe, muss ich den Sender aber in diesem Fall verteidigen. Das
Vorgehen des Parlamentspräsidenten ist eine direkte Einmischung in die
Medienfreiheit. HTV hat dies klar zurückgewiesen.
Sie sagen, Aufklärungsarbeit ist in Kroatien sehr schwierig. Wieso gibt es keine
vergleichbare Medieneinrichtung wie den serbischen TV- und Radiosender B92, der
sich auch für die Aufklärungs- und Versöhnungsarbeit einsetzt?
Die öffentliche Meinung betrachtet dies nicht als notwendig. Die politische Elite in
Kroatien ist gegen eine solche Institution...
...weil das quasi einem öffentlichen Schuldeingeständnis gleich kommen würde?
Natürlich! B92 hat zum Glück in den schwierigsten Jahren grosse finanzielle
Unterstützung von den USA und Europa bekommen. Aber leider waren die
Geldgeber nicht daran interessiert, ein kroatisches Pendant zu B92 aufzubauen. Wir
hatten ein entsprechendes Projekt, aber Zagreb verweigerte uns eine Frequenz und
die Öffentlichkeit war sowieso dagegen. So mussten wir das Projekt 1995 aufgeben.
Aus welchem Grund fanden sich keine Geldgeber, die sich dafür eingesetzt haben?
Weil es sie nicht interessiert. Sie betrachten uns immer noch als wilde
Balkanstämme, die sich regelmäßig die Köpfe einschlagen und die ab und zu
beruhigt und beschwichtigt werden müssen. Es herrscht ein sehr imperiales Denken.
Der Westen verwendet nicht die gleichen Kriterien für uns wie für sich. Das ist auch
daran ersichtlich, dass es Europa und den USA offenbar reicht, dass in Kroatien
demokratische Wahlen durchgeführt werden. Damit ist für sie die Arbeit erledigt.
Aber das ist, wie wenn sie einen Patienten untersuchen, zu hohen Blutdruck
feststellen, aber keine Behandlung anbieten.
so, ersma die Hälfte. Besser?
Nenad Puhovski gehört zu den wichtigsten Filmemachern und Produzenten der
Dokumentarfilmszene in Kroatien. Seine engagierten Produktionen sind in
seiner Heimat höchst umstritten, denn EU-Kandidat Kroatien möchte keinen
öffentlichen Dialog über die eigene Verg
angenheit starten. Kriegsverbrechen,
Aufarbeitung oder Versöhnung sind für die kroatischen Medien Fremdwörter.
Kroatien ist seit dem 18. Juni 2004 offizieller EU-Beitrittskandidat. Somit sollte das
Land alle demokratischen Grundvoraussetzungen erfüllt haben. Sie haben in der
Vergangenheit immer wieder die Mediensituation in Ihrem Heimatland kritisiert –
warum?
Die Mediensituation in Kroatien ist dramatisch. Die Boulevardisierung und
Kommerzialisierung der Medien bereitet mir große Sorgen. Unter dem Druck der
privaten Sender verwischen die Grenzen zwischen Kommerz und öffentlichem
Dienst. Das kroatische Fernsehen HTV zeigt vermehrt billige lateinamerikanische
Seifenopern und Reality Shows. Diese Art von „Journalismus“ geht allen
gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Problemen aus dem Weg. Die
Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen, mit Schuld und Verantwortung findet hier
nicht statt, wird als etwas betrachtet, was
nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist.
Aber diese Probleme betreffen alle Länder des ehemaligen Jugoslawiens. Das ist
unser gemeinsames Erbe.
Aber die Kommerzialisierung der Medien ist ein weltweiter Trend. Wieso sollte dies
nicht auch in Kroatien der Fall sein?
Die Bürger wissen nicht, für welchen Teil des Programms sie Gebühren zahlen.
Warum sollten die Zuschauer Fernsehgebühren für eine Seifenoper zahlen, wenn sie
diese auf einem privaten Channel gratis
sehen können? Ich will mit meinen
Gebühren kein kommerzielles Fernsehen finanzieren. Leider ist es so, dass im
öffentlichen Fernsehen das Marketing über das Programm entscheidet. Das
öffentliche Fernsehen nimmt wichtige Formate wie Kindersendungen,
Bildungsfernsehen oder Dokumentarreihen unter dem Druck der kommerziellen
Konkurrenten aus dem Programm. Wir haben in Kroatien nicht das Niveau von BBC
erreicht, so dass wir uns eine teilweise Kommerzialisierung leisten könnten.
Wie sieht ihre Arbeit in diesem Klima aus?
Sie ist schwierig. Unabhängige Produzenten wie ich haben das Problem, dass der
öffentliche kroatische Sender HTV nicht unse
r Partner ist. Dies wäre jedoch sehr
wichtig, wenn es um Themen wie die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und
Versöhnungsarbeit geht. HTV ist nicht bereit, kritische Beiträge zu senden und somit
eine öffentliche Debatte zu starten. Als öffentlicher Sender müsste er genau dies tun.
Zudem bekommen Produzenten nur sehr schwer Zugang zum HTV-Archiv. Im Fall
der 2001 veröffentlichten Dokumentation „Sturm über der Krajina“ mussten wir das
Material praktisch stehlen. HTV betrachtet das Archiv als sein Eigentum und nicht als
öffentlich zugängliches Allgemeingut. Aber hier sind 15 Jahre audiovisueller
kroatischer Geschichte aufbewahrt. Diese sollte allen zugänglich sein. Das ist eine
Frage des Fairplays und gehört in meinen Augen zu den europäischen Standards.
Warum ist das so?
Das ist eine Art von präventiver Zensur geprägt von Freund-Feind-Bildern. Im
täglichen Wortlaut ist immer noch die Rede von „Wir“ und „die Anderen“, vom „Wir
sind im Recht “ und „die Anderen sind schuld“. So genannte Kriegshelden genießen
immer noch grosse Sympathie, wobei die Menschen nicht sehen wollen, dass es
auch eine andere Seite gibt.
Aber der kroatische Präsident Ivo Sanader bemüht sich sehr, Kroatien als ernst-
haften Kandidaten für die EU-Mitgliedschaft zu präsentieren.
Der Prozess, den Sanader begonnen hat, ist viel mehr nach außen gerichtet als nach
innen. Sanader unterscheidet sich dabei ni
cht sehr von Tito. Auch dieser war immer
darauf bedacht, sich dem Westen gegenüber demokratisch, charmant und offen zu
präsentieren. Der Osten und der Westen liebten ihn. Aber im Inneren war die
Situation ganz anders. Sanader ist ein intelligenter Mensch, der begriffen hat, was
die EU wirklich interessiert. Aber eine entwickelte Wirtschaft ist nicht das Wichtigste,
sondern Medienfreiheit und die Wahrung der Menschenrechte! Ich will Ihnen ein
Bespiel geben: Sanaders
Mann, Parlamentspräsident Vladimir Seks, hat unlängst
das kroatische Fernsehen angegriffen, weil er nach seiner Ansicht zu wenig im
Fernsehen zu sehen war. Und dies hat er nicht als Privatmann gemacht, sondern in
seiner Funktion als Parlamentspräsident!
Das zeigt, wie mit den Medien in Kroatien umgegangen wird. Obwohl ich keine gute
Meinung über HTV habe, muss ich den Sender aber in diesem Fall verteidigen. Das
Vorgehen des Parlamentspräsidenten ist eine direkte Einmischung in die
Medienfreiheit. HTV hat dies klar zurückgewiesen.
Sie sagen, Aufklärungsarbeit ist in Kroatien sehr schwierig. Wieso gibt es keine
vergleichbare Medieneinrichtung wie den serbischen TV- und Radiosender B92, der
sich auch für die Aufklärungs- und Versöhnungsarbeit einsetzt?
Die öffentliche Meinung betrachtet dies nicht als notwendig. Die politische Elite in
Kroatien ist gegen eine solche Institution...
...weil das quasi einem öffentlichen Schuldeingeständnis gleich kommen würde?
Natürlich! B92 hat zum Glück in den schwierigsten Jahren grosse finanzielle
Unterstützung von den USA und Europa bekommen. Aber leider waren die
Geldgeber nicht daran interessiert, ein kroatisches Pendant zu B92 aufzubauen. Wir
hatten ein entsprechendes Projekt, aber Zagreb verweigerte uns eine Frequenz und
die Öffentlichkeit war sowieso dagegen. So mussten wir das Projekt 1995 aufgeben.
Aus welchem Grund fanden sich keine Geldgeber, die sich dafür eingesetzt haben?
Weil es sie nicht interessiert. Sie betrachten uns immer noch als wilde
Balkanstämme, die sich regelmäßig die Köpfe einschlagen und die ab und zu
beruhigt und beschwichtigt werden müssen. Es herrscht ein sehr imperiales Denken.
Der Westen verwendet nicht die gleichen Kriterien für uns wie für sich. Das ist auch
daran ersichtlich, dass es Europa und den USA offenbar reicht, dass in Kroatien
demokratische Wahlen durchgeführt werden. Damit ist für sie die Arbeit erledigt.
Aber das ist, wie wenn sie einen Patienten untersuchen, zu hohen Blutdruck
feststellen, aber keine Behandlung anbieten.
so, ersma die Hälfte. Besser?