[h2]Diplomat Selim Yenel: "Wir glauben, dass die EU nicht genug tut"[/h2]
Die Türkei wolle die gegenseitigen ökonomischen Abhängigkeiten zwischen den Balkanstaaten vergrößern, habe aber in der Region keine neo-osmanischen Interessen, sagt der türkische Diplomat Selim Yenel zu Adelheid Wölfl.
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STANDARD: Welche Rolle nimmt die Türkei auf dem Balkan ein?
Yenel: Wir haben dort viel Geschichte, wie ihr. Wegen dieser großen Erfahrungen versuchen wir in der Region ein Moderator zu sein. Wir waren in der Lage, die Bosnier, die Serben und uns zusammenzubringen und die Bosnier, die Kroaten und uns. Wir haben geholfen, dass Bosnien nach langer Zeit wieder einen Botschafter nach Serbien schickte und dass das serbische Parlament eine Entschuldigung für Srebrenica beschlossen hat. Unser Ziel ist es, die gegenseitige ökonomische Abhängigkeit der Balkanstaaten zu vergrößern. Unser Handelsvolumen in der Region betrug im Jahr 2008 bereits 17 Millionen Dollar.
STANDARD: Welche Rolle spielt der Islam in den Beziehungen?
Yenel: Für uns als Staat ist die Religion natürlich keine Basis.
STANDARD: Die Muslim-Führer im Sandschak oder die Bosniaken akzeptieren aber die Türken als Mediator genau deshalb, weil sie Muslime sind.
Yenel: Sie schauen auf die Türkei in diesem Sinne, aber wenn wir das nutzen und sie mit den orthodoxen Nachbarn zusammenbringen, ist das gut. Natürlich hat die muslimische Minderheit im Sandschak einen größeren Blick in Richtung Türkei. Aber das kann man höchstens implizit nutzen. Nach dem Ende des Kalten Kriegs ist die Religion wieder ein Faktor geworden. Das ist bedauerlich. Besonders nach 9/11 betrachten die Leute die Dinge leider wieder aus einem religiösen Blickwinkel. Das wollen wir verhindern.
STANDARD: Wenn man heute vom regionalen Einfluss der Türkei spricht, fällt schnell der Begriff von den "Neuen Osmanen" .
Yenel: Das sind nur Behauptungen von Kolumnisten. Die Leute werden sehen, dass das nicht der Fall ist. Das Osmanische Reich ist vorbei, und wir haben da keine Ansprüche. Wir schauen nach vorn, nicht in die Vergangenheit, wie das manche Serben taten, wenn es um die Schlacht im Kosovo 1389 ging, oder wie ihr mit dem Jahr 1683 (Türkenbelagerung von Wien, Anm. der Red.). (Er lacht.)
STANDARD: Österreich war und ist auf dem Balkan auch sehr präsent. Man könnte meinen, dass die österreichischen Vorbehalte gegenüber der Türkei mit Konkurrenz zu tun haben.
Yenel: Das stimmt, leider. Wir glauben aber nicht an diese Konkurrenz. Wir könnten einander ja ergänzen. Als ich in Wien war, habe ich immer versucht, zu sagen, dass es nichts zu befürchten gibt und dass wir verschiedene Stärken haben.
STANDARD: Bosnien steckt in einer Krise. Wie will die Türkei helfen?
Yenel: Die haben nicht nur ein Problem zwischen dem bosnischen und dem serbischen Abschnitt, sondern auch unter den Bosniern selbst. Also versuchen wir diese Leute zusammenbringen. Der Butmir-Prozess (für eine Verfassungsreform, Anm. der Red.) ist gescheitert, weil die Großmächte Bosnien nach dem Motto "Friss oder stirb!" gesagt haben: Mach dies, mach das! Und er ist gescheitert, weil sie uns, Russland und die Leute dort nicht konsultiert haben. Deswegen sagen wir unseren Kollegen in der EU: Ihr müsst andere zu Rate ziehen, bevor ihr Vorschläge macht! Das ist auch der Unterschied zwischen denen und uns. Wir geben keine Formel vor, an die sich alle halten müssen. Wir reden. Damit verdienen wir uns Vertrauen, und deshalb blicken sie auch mehr zu uns. Aber wenn man in dieser selbstherrlichen Art zu denen sagt: Wenn ihr in die EU wollt, müsst ihr A, B und C machen, dann wird das nicht gutgehen. Die Mentalität auf dem Balkan ist anders.
STANDARD: Versucht die Türkei einzuspringen, weil Brüssel auslässt?
Yenel: Wir glauben, dass die EU nicht genug tut. Wenn wir diesen Staaten helfen, auf eigenen Füßen zu stehen, dann wird ihnen das aber langfristig helfen, EU-Mitglieder zu werden.
(DER STANDARD, Printausgabe, 20.8.2010)
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immer muss jemand von der seite kommen um uns zu zeigen wo es lang geht, da sieht man wie kompetent wir sind.