Parlament will Einwanderung bremsen
Die bürgerlichen Parteien verlangen vom Bundesrat, dass er etwas gegen die starke Einwanderung unternimmt. Da die SVP die Personenfreizügigkeit mit der EU kündigen will, dürfte es mit der Einigkeit im bürgerlichen Lager bald vorbei sein.
Überfüllte Züge, massiv gestiegene Mieten und zahllose Baustellen für neue Wohnblöcke – die Folgen der starken Zuwanderung aus den EU-Ländern und Drittstaaten werden im Schweizer Alltag immer offensichtlicher. In der Politik findet daher langsam ein Umdenken statt: Gestern hat der Nationalrat einer Motion des Bündner SVP-Ständerats Christoffel Brändli zugestimmt, die vor einem Jahr wohl noch chancenlos gewesen wäre: Sie gibt dem
Bundesrat den Auftrag, «Massnahmen vorzuschlagen, um die Zuwanderung der letzten Jahre in geordnete Bahnen zu lenken».
Überraschend ist, dass neben der
SVP auch ein grosser Teil der
FDP und der
CVP dem Anliegen zugestimmt hat: Beide Mitteparteien haben sich stets für die
Personenfreizügigkeit mit der EU ausgesprochen. Da die meisten Einwanderer heute aus den 17 alten EU-Staaten stammen, dürfte der Spielraum für wirksame Massnahmen indessen klein sein: Wer aus einem dieser Länder stammt und in der Schweiz eine Stelle findet, hat Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung. Dieser Grundsatz liesse sich nur ändern, wenn die Schweiz die Personenfreizügigkeit kündigen würde. Bundesrätin Simonetta Sommaruga machte aber klar, dass es kaum möglich sein wird, die Einwanderung aus der EU quantitativ einzuschränken. Der Bundesrat und die Linke sprachen sich gegen die Motion aus.
Höhere Hürden für Zuwanderer
Da der Ständerat bereits im Dezember dem Vorstoss zugestimmt hatte, bleibt dem Bundesrat nun nichts anderes übrig, als mögliche Massnahmen aufzuzeigen. Liegen diese schliesslich auf dem Tisch, dürfte es mit der die Einigkeit zwischen den bürgerlichen Parteien vorbei sein. «Wir wollen die Freizügigkeit mit der EU kündigen, neu aushandeln und stark reduzieren», hält SVP-Nationalrat Hans Fehr (ZH) fest. FDP und CVP indes befürchten, dass sich die EU nicht auf einen solchen Handel einlassen und alle bilateralen Abkommen mit der Schweiz kündigen würde.
Der Zuger CVP-Nationalrat Gerhard Pfister sagt daher, dass es gestern «im Nationalrat vor allem um eine symbolische Abstimmung ging». CVP und FDP hätten signalisieren wollen, dass sie die Ängste der Bevölkerung vor der Zuwanderung ernst nehmen. «Das Anliegen, die Einwanderung einzudämmen, mit mehrheitsfähigen Massnahmen umzusetzen, wird dann allerdings nicht einfach sein», warnt Pfister.
In welche Richtung es gehen könnte, veranschaulichen die Vorstösse des Aargauer FDP-Nationalrates Philipp Müller. Ihm geht es darum, den Angriff der SVP auf die Personenfreizügigkeit abzuwehren. «Wenn die Wohnbevölkerung weiter stark zunimmt, wird das Volk irgendwann genug haben und sich gegen die Freizügigkeit aussprechen», sagt er. Dies könnte bei der Abstimmung über die Zuwanderungsinitiative von Ecopop passieren oder später bei einer allfälligen Ausdehnung der Freizügigkeit auf neue EU-Staaten. Um solche «Frustreaktionen» zu verhindern, zeigt Müller mit konkreten Vorschlägen auf, wie sich die Zuwanderung aus Drittstaaten einschränken liesse. Im letzten Jahr wanderten aus den EU-Staaten insgesamt rund 90 000 Menschen ein, aus Drittstaaten waren es rund 44 000 Personen. «Hier besteht nach wie vor ein grosses Potenzial», ist er überzeugt.
Laut Müller ist es allerdings unmöglich, mit einer einzigen Massnahme die Einwanderung einzudämmen: «Es geht um viele kleine Schritte, die in der Summe einen namhaften Rückgang der Migration aus Drittstaaten ermöglichen sollen.» Müller schlägt unter anderem vor, das Recht auf Familiennachzug für Menschen aus Drittstaaten auf das völkerrechtlich erforderliche Minimum zu senken. Wer Asyl erhält, soll künftig nach fünf Jahren nicht automatisch eine Niederlassungsbewilligung erhalten, sondern bloss eine Aufenthaltsbewilligung. Weiter sollen Partner von Menschen, denen Asyl gewährt wird, nicht automatisch den Flüchtlingsstatus erhalten – sofern sie aus sicheren Staaten kommen.
Mindestlöhne für alle
Mehrere von Philipp Müllers Vorstössen haben in den vorberatenden Kommissionen bereits eine Mehrheit gefunden. Die Linke lehnt solche Massnahmen jedoch ab: Sie kritisiert, dass für Menschen aus Drittstaaten immer höhere Hürden erstellt würden – und viele hilfsbedürftige Personen so schlicht und einfach keine Chance mehr erhielten, in der Schweiz eine neue Existenz aufzubauen.
Wie sich die SP eine massvolle Reduktion der Einwanderung vorstellt, erklärt Nationalrat Andy Tschümperlin, SZ: «Wir fordern Mindestlöhne in allen Branchen.» Heute würden gewisse Tieflohnbranchen Menschen aus der EU rekrutieren, obwohl sie in der Schweiz genügend Arbeitskräfte finden könnten. «Menschen aus Portugal sind jedoch bereit, für sehr tiefe Löhne zu arbeiten», sagt Tschümperlin. Auf Bauernhöfen würden oft Personen beschäftigt, die vom Bauern zwar ein Zimmer, aber nur einen sehr tiefen Lohn erhielten. «Würden wir solche Dumpinglöhne verbieten, kämen weniger Menschen in die Schweiz», ist Tschümperlin überzeugt.
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