Was haltet ihr davon
[h=1]"Deutschland steht vor einer Staatskrise"[/h]Der Ex-Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Jürgen Stark, stellt das neue Buch von Ökonom Hans-Werner Sinn vor. Der Termin gerät zu einer fulminanten Abrechnung mit der Euro-Rettungspolitik.
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Von Martin GreiveRedakteur Innenpolitik
Foto: picture alliance / dpaHans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, sieht die EZB auf dem falschen Weg
Jürgen Stark und Hans-Werner Sinn haben zum Anlass die passenden Räumlichkeiten gewählt. In der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin-Mitte saß einst die Handelskammer der DDR, die sich zu Beginn des neuen Staates im Osten noch einen kleinen Teil Privatwirtschaft organisierte. Doch schnell musste die IHK einer planwirtschaftlichen Stelle Platz machen. Genau das ist laut Stark und Sinn auch in Europa passiert: Im Zuge der Euro-Rettung wurde die Privatwirtschaft durch die Planwirtschaft ersetzt – mit verheerenden Folgen für alle Bürger in Europa.
Stark, bis 2010 Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), stellte am Mittwoch in ebenjener Leibniz-Gemeinschaft das neue Buch von Top-Ökonom Hans-Werner Sinn, "Gefangen im Euro", vor. Stark und Sinn rechneten dabei fulminant mit der Rettungspolitik in Europa ab. Besonders EZB-Chef Mario Draghi bekam sein Fett weg.
Foto: dpaJürgen Stark, langjähriger Chefvolkswirt der EZB, verließ die Bank, weil er deren Kurs nicht mehr mittragen konnte
Stark lobte, das Buch von Sinn habe das Zeug zum "internationalen Bestseller". Bei der Analyse der Euro-Krise ist Stark mit Sinn ganz einer Meinung: Zunächst hätten Deutschland und Frankreich 2003 den Stabilitätspakt aufgeweicht. "Damit war Maastricht von Anfang an erschüttert", sagte Stark. "Und dann hat der erste Stresstest gleich zu einer Zerstörung wichtiger Pfeiler des Maastricht-Vertrags geführt."
[h=2]Umbau zur Schuldenunion[/h]Denn in der Krise sei gegen mehrere Prinzipien verstoßen worden: gegen das Verbot, Staaten zu retten. Gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch die Notenbank. Und gegen das Prinzip, dass Banken auch pleitegehen müssen. "Es scheint fast, als hätten interessierte politische Kreise nur auf die erste Krise gewartet, um einen Totalumbau der Euro-Zone hin zu einer Schuldenunion vorzunehmen", sagt Stark mit Blick auf den Süden Europas. Die Euro-Zone müsse sich die Frage stellen, "wie man mit schwarzen Schafen umgeht, wenn die schwarzen Schafe in der Mehrheit sind".
Nun stecke der Kontinent im bekannten Schlamassel: Zombie-Banken sind fatalerweise noch am Leben. Die nötigen Reformen finden nicht statt, weil die Politik sich auf dem billigen Geld der Notenbank ausruhen kann. Schlüsselstaaten wie Frankreich und Italien seien "reformunwillig und reformunfähig", sagte Stark.
Europa habe deshalb seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 bereits sechs Jahre verloren. "Das Gute daran ist: Wenn man in Europa von einer verlorenen Dekade spricht, haben wir schon 60 Prozent geschafft", sagt Stark zynisch. Dann verglich er das heutige Europa noch mit Lateinamerika in den 80er-Jahren.
Sinn stand seinem Laudator in nichts nach – und toppte Stark in Sachen düstere Prognosen noch. "Europa drohen zwei verlorene Jahrzehnte", sagte er. Denn schon vor Ausbruch der Krise 2008 habe der Euro die Zinsen im Süden Europas gedrückt – für Sinn der entscheidende Grund, warum der Süden heute so wenig wettbewerbsfähig ist. Deshalb sei auch die Zeit nach der Schaffung des Euros ein verlorenes Jahrzehnt.
[h=2]Hollande liebt nur Merkels Geld[/h]Sinn ging noch weiter. "Der Euro als Friedensprojekt hat nicht funktioniert." Nie habe es so viel Streit gegeben wie heute. Der Top-Ökonom bezeichnete die Gemeinschaftswährung als "integrationsfeindlich". Dafür zog der Chef des Münchener Ifo-Instituts folgende Metapher heran: Man stelle sich vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) liebt Frankreichs Präsident François Hollande. Die beiden wollen heiraten. Hollande liebt aber in Wahrheit nur Merkels Geld.
Nun stehe Merkel vor der Frage, ob sie in einer Gütergemeinschaft ihr Geld schon vor der Heirat Hollande gebe. "Wenn das der Fall ist, findet die Heirat nicht mehr statt", sagte Sinn. Genauso werde es auch in Europa sein. Der Kontinent werde politisch nicht zusammenwachsen, wenn er vorher zu einer Schuldenunion umgebaut wird.
Foto: Infografik Die WeltMario Draghi hat angekündigt, die Notenbank werde auch Kreditverbriefungen und Pfandbriefe aufkaufen. Diese könnten theoretisch ein Maximalvolumen von rund einer Billion Euro erreichen
Als einen zentral Verantwortlichen für die Malaise in Europa sehen die beiden die EZB, respektive ihren Präsidenten Draghi. "Herr Draghi setzt den Ton und regiert durch", sagte Stark. Draghi hatte 2012 angekündigt, "alles zu tun", um den Euro zu retten.
Stark, der 2010 aus Frust über den Kurs der Notenbank das Handtuch als EZB-Chefvolkswirt geworfen hatte, sieht vor allem die Gefahr, dass Draghi durch seine ständigen Ankündigungen von Wertpapieraufkäufen am Ende keine Wahl mehr bleibt, als Staatsanleihen aufzukaufen.
[h=2]EZB außer Kontrolle[/h]Ob das einfach nur eine falsche oder aber eine bewusste Strategie Draghis ist, ließ Stark offen. "Die Aufkäufe von ABS-Papieren und Covered Bonds werden jedenfalls allein nicht reichen, um die Märkte zufriedenzustellen. Deshalb wird man am Ende beim Kauf von Staatsanleihen landen", sagte Stark. Diese Politik sei "kurzfristiger Aktionismus. Mittelfristige Orientierung spielt überhaupt keine Rolle mehr. Die Notenbank missbraucht ihre Unabhängigkeit und begibt sich dadurch selbst in Gefahr", sagte Stark.
Auch Sinn hält die Mittel der EZB "nicht für geeignet", Probleme wie eine angeblich drohende Deflation zu lösen, und forderte die Bundesregierung auf, gegen die Politik der Notenbank vorzugehen. Denn nachdem schon nach Gründung des Euro viel Kapital in unsinnigen Anlagen verloren worden sei, drohe nun wegen der Geldschwemme der EZB "die nächste Kapitalvernichtung", so Sinn. "Schon jetzt läuft Deutschland in 15 Jahren, wenn die Babyboomer in Rente gehen, auf eine Staatskrise zu. Wenn da noch die Rettungspolitik oben draufkommt, bei der die Risiken von Investoren auf die Bürger umgelenkt wurden, wird das Problem noch größer", so Sinn.
[h=2]Schuldenschnitt und Schluss mit den "goldenen Kreditkarten"[/h]
Foto: Redling VerlagHans-Werner Sinns neues Buch, "Gefangen im Euro", lässt wenig Optimismus für die Zukunft der Währungsunion aufkommen
Der Ökonom präsentierte drei Vorschläge aus seinem Buch, wie Europa aus der Krise kommen könnte: Erstens müsse eine große Schuldenkonferenz einberufen werden, auf der Schuldenschnitte für die hoch verschuldeten Euro-Staaten beschlossen werden müssten. Zweitens müsse das "System der goldenen Kreditkarte" für nationale Notenbanken beendet werden. Damit meint Sinn das komplizierte Problem der sogenannten "Target-Salden", über die sich nationale Notenbanken nach Sinns Meinung selber Geld drucken können.
Drittens müsse die Euro-Zone zu einem "atmenden Währungsraum" werden, in dem der Euro die dominierende Währung ist, aber auch andere Währungen möglich seien und sich Krisenländer mit einer eigenen Währung an den Euro koppeln können. Außerdem plädiert Sinn dafür, aus Europa eine Konföderation nach dem Vorbild der Schweiz zu machen. Sinn erwartet allerdings nicht, dass diese Reformen kommen werden. "Ich erwarte eine Fortsetzung der Kapitalvernichtung mit langjährigem Siechtum."
Stark versuchte am Ende noch, wenigstens etwas Optimismus zu verbreiten. Irland immerhin habe doch die Kurve bekommen. Das zeige, dass sich ein Land aus der Krise herausarbeiten könnte. Deshalb hätte er an Sinns Stelle auch einen anderen Buchtitel als "Gefangen im Euro" gewählt. Sinn hielt dem allerdings entgegen: Irland habe es aber auch leichter gehabt als andere Krisen-Staaten