Die Albanien-Frage als Auslöser des
Bruchs zwischen Stalin und Tito
Neue Erkenntnissezumsowjetisch-jugoslawischenKonflikt von 1948
Von Jeronim Perovic*
Am 28. Juni 1948 ist die Kommunistische
Partei Jugoslawiens aus dem von Moskau
kontrollierten Kominform ausgeschlossen
worden. Der Bruch wird meist mit den
Bestrebungen Belgrads nach einem eigenen
Sozialismus erklärt. Neue Dokumente
belegen aber, dass es vor allem
eine machtpolitische Auseinandersetzung
war, die sich an Albanien entzündete.
Marschall Josip Broz Tito, der unumstrittene Führer
der jugoslawischen Kommunisten, strotzte
nach dem Sieg über Nazideutschland vor Selbstvertrauen.
Stalins Rote Armee marschierte
gleichzeitig mit Titos Partisanen im Frühjahr 1945
in Belgrad ein, den Rest des Landes hatten diese
aber aus eigener Kraft befreit. Danach festigte
Tito seine Position im Innern durch die brutale
Ausschaltung der Opposition. Gegenüber seinen
Nachbarn gab er sich selbstbewusst und stellte
territoriale Forderungen. Als Tito gegen Ende
des Krieges Ansprüche auf die in Italien gelegene
Stadt Triest erhob, konnte eine Konfrontation mit
den westlich-alliierten Streitkräften nur dank
einem Moskauer Kompromissvorschlag abgewendet
werden.
Tirana zwischen Moskau und Belgrad
Abseits der hohen Politik, auf dem südlichen Balkan,
gewährte Moskau Tito zunächst mehr Freiraum.
Als sich die Ost-West-Beziehungen ab
Mitte 1947 jedoch verschlechterten, änderteMoskau
seine Politik und ging daran, die Kontrolle
über sein osteuropäisches Einflussgebiet zu konsolidieren.
Diese Bemühungen kreuzten sich
allerdings mit den Belgrader Expansionsplänen.
Tito strebte die Vereinigung mit Albanien an, er
unterstützte die kommunistischen Kämpfer im
Nachbarland Griechenland und liebäugelte mit
dem Anschluss aller slawisch besiedelten Gebiete
im griechischen und bulgarischen Teil Mazedoniens.
Die Entwicklungen auf dem Balkan liefen
den Hegemonievorstellungen Stalins zuwider und
bargen zudem Zündstoff für einen grösseren
Konflikt mit dem Westen, der sich im griechischen
Bürgerkrieg an der Seite der Regierungstruppen
engagierte.
Belgrad betrachtete Albanien als jugoslawisches
Hoheitsgebiet. Ein Anschluss des Landes
hätte die Stellung Jugoslawiens auf dem Balkan
gestärkt. Zudem sah Tito die jugoslawisch-albanische
Union als Mittel, das Kosovo-Problem zu
entschärfen und Bestrebungen nach einem Anschluss
dieses albanisch besiedelten Gebietes an
Albanien zuvorzukommen.
Moskau nahm Albanien vorerst kaum zur
Kenntnis. Als Albaniens Regierungschef Enver
Hoxha im Mai 1947 erstmals nach Moskau eingeladen
wurde, holte sich der Kreml zuerst die Einwilligung
aus Belgrad. Danach aber ging die
Sowjetunion daran, die direkten Beziehungen zu
Albanien auszuweiten, was in Belgrad auf Unmut
stiess. Um dem sowjetischen Einfluss gegenzusteuern,
ging Belgrad resolut gegen jene innerhalb
der albanischen Führungsspitze vor, die sich
für eine stärkere Orientierung an die Sowjetunion
aussprachen.
Ein Tod und seine Folgen
Das albanische Politbüro war sich über den aussenpolitischen
Kurs seines Landes uneinig. Während
Albaniens Innenminister Koci Xoxe für eine
Annäherung an Jugoslawien eintrat, war Nako
Spiru, der das Amt des Wirtschafts- und Industrieministers
bekleidete, Exponent einer sowjetischen
Linie. Enver Hoxha lavierte zwischen diesen
beiden Positionen, verfolgte aber bis zum
sowjetisch-jugoslawischen Bruch von 1948 eine
klar projugoslawische Politik. Die Spannungen im
albanischen Politbüro verschärften sich im November
1947, als Belgrad Tirana beschuldigte,
einen Jugoslawien-feindlichen Kurs zu verfolgen.
Unter dem Einfluss Xoxes willigte Hoxha ein,
eine Untersuchung gegen Spiru einzuleiten. Dieser
nahm sich jedoch – gemäss der jugoslawischen
Darstellung – kurz darauf das Leben. Kaum jemand
ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass der Tod
Spirus, der intensive Kontakte zum Personal der
sowjetischen Botschaft in Tirana gepflegt hatte,
zum Ausgangspunkt des Konflikts zwischenMoskau
und Belgrad werden sollte.
Die Ereignisse in Albanien veranlassten Stalin,
sich persönlich in die Angelegenheit einzuschalten.
Ende Dezember 1947 forderte er Tito
per Telegramm auf, «einen verantwortlichen Genossen,
zum Beispiel Djilas oder eine andere Person,
die mit der Situation in Albanien gut vertraut
ist», nach Moskau zu schicken. Mitte Januar 1948
traf Milovan Djilas, Mitglied des jugoslawischen
Politbüros und einer der engsten Vertrauten
Titos, in Moskau ein, wo er noch am selben
Abend mit Stalin und dem sowjetischen Aussenminister
WjatscheslawMolotow zu Gesprächen in
den Kreml beordert wurde. Stalin kam sogleich
auf den Tod Spirus zu sprechen und gab Djilas
seine Besorgnis über die Entwicklungen auf dem
Balkan zu verstehen. Dann aber sprach sich der
sowjetische Diktator für den Zusammenschluss
Jugoslawiens mit Albanien aus, fügte aber in seiner
gewohnt ambivalenten Manier hinzu, dass die
beiden Staaten damit so lange warten sollten, bis
ein «geeigneter Moment» gefunden worden sei.
Weshalb Stalin mit einem Zusammenschluss
zuwarten wollte, lässt sich den sowjetischen
Dokumenten nicht eindeutig entnehmen. Entscheidend
für die weiteren Entwicklungen war jedoch,
dass Djilas sich in seinem Bericht aus Moskau
positiv zu den Resultaten seiner Unterredung
mit Stalin äusserte. Tito fühlte sich in seiner Politik
gegenüber Albanien bestätigt. Noch am selben
Tag, an dem er Djilas' Telegramm erhielt, wandte
er sich mit dem Begehren an Hoxha, jugoslawischen
Truppenteilen in der Gegend der südalbanischen
Stadt Korca militärische Basen zur Verfügung
zur stellen. Als Vorwand gab Tito die Bedrohung
Albaniens durch griechische «Monarcho-
Faschisten» an.
Obwohl die Kontakte zwischen Belgrad und
Tirana unter Geheimhaltung abgewickelt wurden,
blieb dem Kreml nichts verborgen. Nur
einen Tag nachdem Hoxha Tito sein Einverständnis
zur Stationierung jugoslawischer Truppen
telegrafiert hatte, erreichte Moskau ein Schreiben
des sowjetischen Botschafters in Belgrad, Anatoli
Lawrentew, in dem dieser von den jugoslawischen
Plänen berichtete.
Entscheidendes Treffen im Kreml
Die Kremlführung war aufgebracht. Molotow
verurteilte Belgrads Vorgehen in einem scharf
formulierten Telegramm und brachte Tito dazu,
vomEinmarsch in Albanien abzusehen. Kurz darauf
erreichte die jugoslawische Führungsspitze
die Aufforderung, unverzüglich zu einer Aussprache
in Moskau zu erscheinen. Belgrad willigte
sofort ein und entsandte eine hochrangige Delegation,
die von Edvard Kardelj, Mitglied des jugoslawischen
Politbüros und zweitem Mann nach
Tito, angeführt wurde.Zu diesem schicksalhaften
Treffen, das am 10. Februar 1948 im Kreml stattfand,
wurde auch eine bulgarische Delegation
eingeladen. Grund war Moskaus Verärgerung
über Georgi Dimitrow, den Vorsitzenden der bulgarischen
Kommunistischen Partei, der sich in
einer öffentlichen Stellungnahme für den Zusammenschluss
der osteuropäischen Volksdemokratien
zu einer Föderation ausgesprochen hatte. Die
Äusserungen Dimitrows, die ebenfalls nicht mit
Moskau abgesprochen waren, stiessen im Westen
deshalb auf grosses Echo, weil der bulgarische
Kommunistenführer explizit auch Griechenland
in sein Projekt einschloss.
Die Anklage wurde vonMolotow vorgetragen.
Punkt für Punkt ging er auf die Verfehlungen von
Genossen auf dem Balkan ein und machte klar,
dass in Zukunft alle aussenpolitischen Entscheidungen
mit dem Kreml abzustimmen seien. Zur
Verblüffung der Angereisten äusserte sich Stalin
negativ zum griechischen Bürgerkrieg und meinte,
dass die griechische Sache wenig Aussicht auf
Erfolg habe und zudem zu internationalen Komplikationen
führe. Damit signalisierte er den
Jugoslawen und Bulgaren, ihre militärische Hilfe
an die griechischen Kommunisten einzustellen.
Vereinnahmung durch Belgrad
Die jugoslawischen und die bulgarischen Teilnehmer
zeigten sich während des Treffens diszipliniert
und gestanden ihre «Fehler» ein. Während
Bulgarien in der Folge tatsächlich stillhielt, trieb
Tito seine eigenwillige Politik auf dem Balkan
weiter. Nur wenige Tage nach dem Moskauer
Treffen kam Tito mit hochrangigen griechischen
Partisanenvertretern zusammen und sicherte diesen
weiterhin die Unterstützung Jugoslawiens zu.
Dabei kam Titos Zusage zu einem Zeitpunkt, da
sich die Situation an der jugoslawisch-griechischen
Grenze gefährlich zuspitzte. So erfuhr Botschafter
Lawrentew im Gespräch mit dem jugoslawischenAussenminister,
dass Belgrad seine gesamten
Luftstreitkräfte aufgrund zu erwartender
militärischer Provokationen seitens griechischer
«Monarcho-Faschisten» in Kriegsbereitschaft
versetzt habe.
Jugoslawien dachte auch nicht daran, seine
Ambitionen bezüglich Albanien aufzugeben. Da
Tito aber nicht daran gelegen war, die Sowjetunion
weiter zu provozieren, sollte die Initiative
zur Entsendung von Einheiten der jugoslawischen
Armee von Albanien ausgehen – und tatsächlich
wandte sich Tirana in der Folge mit entsprechenden
Vorstössen an Moskau. Überhaupt
liess sich Albanien in dieser Zeit sehr stark von
Belgrad vereinnahmen. Anfang März 1948 verabschiedete
das achte Plenum der Kommunistischen
Partei Albaniens eine Resolution, welche
die Orientierung Albaniens an Jugoslawien zur
offiziellen Parteilinie erklärte. Daneben genehmigten
die Delegierten ein Geheimdokument,
das in detaillierter Form die Vereinigung der albanischen
mit der jugoslawischen Armee beschrieb.
Präzedenzfall für Säuberungsaktionen
Der Kreml war über die Vorgänge in Jugoslawien
über Geheimkontakte zu einem hochrangigen
Vertreter im jugoslawischen Politbüro genauestens
informiert. Als Stalin klar wurde, dass Tito
an seinem aussenpolitischen Kurs festhalten würde,
ging er in die Offensive.Am18. März 1948 zog
Moskau seine Militärberater aus Jugoslawien ab.
Dann erreichte die Belgrader Führungsspitze
eine Serie von Briefen, in denen Stalin undMolotow
das Vergehen der Kommunistischen Partei
Jugoslawiens anprangerten. Diese Schreiben liessen
sie den anderen osteuropäischen Parteiführungen
zukommen, um diese gegen Jugoslawien
zu mobilisieren und die Verurteilung im
Rahmen des Kominform, des von der Sowjetunion
kontrollierten Bündnisses osteuropäischer
kommunistischer Parteien, vorzubereiten. Um
nicht den Eindruck zu erwecken, es handle sich
um eine machtpolitische Auseinandersetzung,
waren Stalin undMolotow bemüht, Titos Balkanpolitik
aus dem Schussfeld der Kritik zu nehmen.
1956 zitierte Nikita Chruschtschew in seiner
berühmten Geheimrede vor dem 20. Parteikongress
Stalin mit den Worten: «Ich schnippe mit
dem kleinen Finger – und Tito wird es nicht mehr
geben.» Neue Archivdokumente zeigen allerdings,
dass Stalin zum damaligen Zeitpunkt nicht
von einem Fall Titos ausging. Tatsächlich begnügte
sich der Kremlchef vorerst damit, Jugoslawien
im sozialistischen Lager zu isolieren. Nicht
nur schaffte sich Stalin ein Ärgernis im eigenen
Haus vom Hals. Die offene Ächtung der Belgrader
Parteispitze erwies sich auch als Mittel, das
sozialistische Lager zu straffen, und bot gleichzeitig
einen Präzedenzfall für die Säuberungsaktionen,
die Moskau in späteren Jahren in anderen
osteuropäischen Parteien durchführen liess.
Die Isolierung Jugoslawiens kam auch den
sowjetischen Interessen auf dem Balkan entgegen.
Albanien wandte sich von Jugoslawien ab
und fand in Moskau seinen neuen Patron; Bulgarien
gebärdete sich als einer der schärfsten Kritiker
der «Tito-Clique»; und schliesslich stellte Belgrad
die Hilfe an die griechischen Partisanen ein
und trug damit massgeblich zu deren Niederlage
und der Beendigung des Bürgerkrieges bei. Tito
hatte nicht mit einer derart harschen Reaktion
Moskaus gerechnet. Doch der jugoslawische Führer
verstand es bald, diese Situation in einen Vorteil
umzumünzen. Geschickt verkaufte Tito den
Konflikt als Ergebnis seines Kampfes um den
«eigenen Weg zum Sozialismus» – eine Devise,
die später zur Grundlage der erfolgreichen jugoslawischen
Politik der Blockfreiheit wurde.
* Jeronim Perovic ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen
Seminar der Universität Basel.
http://www.css.ethz.ch/mediadesk/20080624_nzz_perovic.pdf