John Wayne
Keyboard Turner
Was bleibt nach der totalen Emanzipation von der Spannung zwischen den Geschlechtern? Der Philosoph Robert Pfaller über die Herrschaft der Belästigten, Ohrfeigen und die Lust am erotischen Rollenspiel
Wenn wir noch mal an die Bar zurückkehren, zur Urszene der aktuellen Sexismus-Debatte: Ein Politiker macht ein plumpes Kompliment, die Folge ist eine unglaubliche Welle der Empörung. Hat Sie das Ausmaß dieses „Aufschreis“ überrascht?
Schon seit längerem kann man beobachten, wie subjektive Empörungsmedien wie das Internet die Öffentlichkeit in einen Lynchmob verwandeln. Leute werden mit irgendeinem Sexvorwurf gesellschaftlich unmöglich gemacht, bevor ihre Schuld überhaupt sachlich erörtert werden konnte. Man hat das etwa bei Dominique Strauss-Kahn gesehen. Ich bin allerdings nicht sicher, ob diese Waffe in Zukunft eine Waffe der Unterdrückten sein wird. Empörung ist keine Waffe der Frauen, sondern eine derjenigen, die den Zorn der Frauen geschickt auf irgendjemanden lenken können. Denn es geht dabei ja nie um die wirklich schlimmen Dinge, die Frauen passieren - oder auch Männern, um Abhängigkeit, Ausbeutung oder Gewalt. Sexualität eignet sich aber am besten dazu, das Problem in ein Faszinosum zu verwandeln. Das hängt mit einer zunehmenden Sexualfeindlichkeit zusammen. Die Gesellschaft blickt sehnsüchtig nach dem Sex, ist aber nicht mehr dazu in der Lage, ihn als normalen Modus des Lebens zu begreifen.
Bedeutet eine Zurückweisung sexistischen Verhaltens automatisch eine generelle Ablehnung von Sexualität?
Das Problem ist, dass heute viele Menschen jede Form des erotischen Verhaltens in der Öffentlichkeit grundsätzlich als Belästigung empfinden. Das hat sehr viel mit Richard Sennetts These vom Verfall des öffentlichen Lebens zu tun. Sennett sagt, dass Menschen in westlichen Gesellschaften immer weniger bereit sind, eine Rolle zu spielen. Stattdessen treten sie als private Personen auf. Das ist eine Entwicklung, die derzeit ständig zu solchen Emotionen führt, zu Ressentiment, zu Hass auf den anderen. Das beobachte ich zum Beispiel beim Rauchen. Vor 15 Jahren hat man einen Raucher noch als eine öffentliche Person wahrgenommen. Man hat sich vorgestellt: Der raucht vielleicht zu Hause gar nicht, aber jetzt hier, an der Bar, weil es dazugehört, ein bisschen eleganter zu wirken. Erst seit man den anderen als Privatperson wahrnimmt, hasst man ihn für das Rauchen, weil man das Gefühl hat, der raucht immer, und jetzt kommt er mit seiner Privatzigarette in die Öffentlichkeit. Beim Sex ist das genauso. Da ist jemand ein Sexmonster, und dann kann er sich nicht einmal in der Öffentlichkeit zurückhalten. Man rechnet das erotische Gebaren nicht mehr einem Pflichtgefühl des anderen zu.
Unter den Regeln eines solchen Rollenspiels wäre der Fehler von Herrn Brüderle nicht, dass er Komplimente verteilt hat. Sondern dass er es auf eine sehr ungeschickte Weise tat.
Man würde sagen: Das, was Herr Brüderle gemacht hat, ist wie ein Foul beim Fußballspielen. Wer da einen am Trikot zieht, bekommt eine gelbe Karte, aber kein Strafverfahren. Aber man tut so, als ob er es auf der Straße gemacht hat, zumindest scheinen das viele Frauen so wahrzunehmen. Das verweist noch auf eine andere Frage: Wird hier eine Frau auf ihre Identität, auf ihren Körper reduziert? Oder ist ein Rollenspiel eigentlich ein Versuch, einer Frau den Status einer Dame zuzuerkennen? Das ist der versteckte Streitpunkt in dieser Debatte: Ist es egalitär, Frauen zu behandeln, als ob sie kein Geschlecht hätten? Oder ist es egalitär, Frauen mit dem ganzen Respekt und der Courtoisie zu behandeln, die einer Dame im öffentlichen Raum zustehen?
Viele Frauen haben ja auch betont, dass sie in solchen Situationen sehr wohl in der Lage sind, sich zu wehren. Aber nicht alle scheinen das eben zu wollen.
Es gab eine sehr symptomatische Äußerung von Tina Hildebrand in der „Zeit“, da schrieb sie: „Vor allem aber haben es immer mehr Frauen satt, sich wehren können zu müssen.“ Das ist ein sehr interessanter Satz, weil er darauf verweist, dass Frauen paradoxerweise gerade durch ihre Befreiung weniger wehrhaft geworden sein könnten. Damen des 19. Jahrhunderts hätten einem Herrn, der einem so unangenehme Sachen sagt, vielleicht eine Ohrfeige mit dem Handschuh gegeben. Diese Art der Abstrafung ist aber ein Rollenprivileg. Wenn man die Rolle einer Dame spielt, hat man das Recht, Männer für kleine Übertritte so abzustrafen. Aber man hat das nur dank dieser Rolle.
Setzt eine derart souveräne Reaktion nicht voraus, dass sich Männer und Frauen auf Augenhöhe begegnen können? Ist die Emanzipation schon so weit abgeschlossen?
Ökonomisch gibt es vielleicht noch Handlungsbedarf, aber kulturell lässt sich eher eine Rückentwicklung beobachten. Es ist ja gerade der Effekt einer Befreiung, die unter den Vorzeichen einer Intimisierung verlaufen ist, dass Waffen verloren gegangen sind, die Frauen früher im öffentlichen Raum durchaus besessen haben. Frauen halten es offenbar für ihre Befreiung, nicht die Rolle der Dame zu spielen, weil sie glauben, dass damit viele Rollenklischees verbunden sind. Ich würde aber zu bedenken geben, dass sehr emanzipierte Frauen das immer sehr gut zu spielen vermocht haben. Man muss sich nur Faye Dunaway in einem Film wie „Die Thomas Crown Affäre“ anschauen. Das ist ein sehr polarisierendes Geschlechterspiel, das aber politisch und ökonomisch absolut auf Augenhöhe verläuft.
Offensichtlich empfinden trotzdem viele Frauen oder auch Männer dieses Spiel nicht mehr als lustvoll, sondern als anstrengend.
Klar, eine Rolle gut zu spielen ist ist - wie die Freiheit übrigens auch - eine Anstrengung. Das muss man auch lernen. Grundsätzlich haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir haben eine Kultur, wo Menschen sich freuen, Frauen oder Männer zu sein. Was erst mal überhaupt nichts darüber aussagt, ob Gleichheit besteht oder nicht. Oder aber wir leben in einer Gesellschaft, wo sich alle grundsätzlich schämen, für das, was sie sind. Das ist heute der Fall: Die Männer schämen sich dafür, Männer zu sein, sie sind immer Täter und Belästiger. Die Frauen ärgern sich aber auch, weil sie immer die Opfer sind. Etwas vergröbert könnte man sagen, wir haben es fertig gebracht, uns innerhalb weniger Jahrzehnte die Geschlechterverhältnisse völlig zu vermiesen.
Läuft es dann zwangsläufig auf einen Verzicht auf dieses Spiel mit all seinen Gefahren hinaus?
Ja, das ist eine Gefahr. Das kann zu einem Zustand führen, wie er in den Vereinigten Staaten zum Teil schon herrscht. Da hält kein Professor mehr eine Sprechstunde ab, ohne die Tür offen zu lassen. Und man darf nicht übersehen, dass das Teil einer neoliberalen Politik ist, die dafür sorgen will, dass der Staat zunehmend Polizeiaufgaben übernimmt und zugleich immer davon ausgeht, dass es wahnsinnig schwache Menschen gibt, die man durch Repressionsmaßnahmen schützen muss. Es ist ein sehr antimoderner Gedanke, wenn man davon ausgeht, dass keiner in der Lage ist, sich selbst in der Öffentlichkeit bis zu einem gewissen Grad behaupten zu können.
Der Philosoph Robert Pfaller im Gespräch: Die Frauen haben ihre Waffen verloren - Feuilleton - FAZ
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Wenn wir noch mal an die Bar zurückkehren, zur Urszene der aktuellen Sexismus-Debatte: Ein Politiker macht ein plumpes Kompliment, die Folge ist eine unglaubliche Welle der Empörung. Hat Sie das Ausmaß dieses „Aufschreis“ überrascht?
Schon seit längerem kann man beobachten, wie subjektive Empörungsmedien wie das Internet die Öffentlichkeit in einen Lynchmob verwandeln. Leute werden mit irgendeinem Sexvorwurf gesellschaftlich unmöglich gemacht, bevor ihre Schuld überhaupt sachlich erörtert werden konnte. Man hat das etwa bei Dominique Strauss-Kahn gesehen. Ich bin allerdings nicht sicher, ob diese Waffe in Zukunft eine Waffe der Unterdrückten sein wird. Empörung ist keine Waffe der Frauen, sondern eine derjenigen, die den Zorn der Frauen geschickt auf irgendjemanden lenken können. Denn es geht dabei ja nie um die wirklich schlimmen Dinge, die Frauen passieren - oder auch Männern, um Abhängigkeit, Ausbeutung oder Gewalt. Sexualität eignet sich aber am besten dazu, das Problem in ein Faszinosum zu verwandeln. Das hängt mit einer zunehmenden Sexualfeindlichkeit zusammen. Die Gesellschaft blickt sehnsüchtig nach dem Sex, ist aber nicht mehr dazu in der Lage, ihn als normalen Modus des Lebens zu begreifen.
Bedeutet eine Zurückweisung sexistischen Verhaltens automatisch eine generelle Ablehnung von Sexualität?
Das Problem ist, dass heute viele Menschen jede Form des erotischen Verhaltens in der Öffentlichkeit grundsätzlich als Belästigung empfinden. Das hat sehr viel mit Richard Sennetts These vom Verfall des öffentlichen Lebens zu tun. Sennett sagt, dass Menschen in westlichen Gesellschaften immer weniger bereit sind, eine Rolle zu spielen. Stattdessen treten sie als private Personen auf. Das ist eine Entwicklung, die derzeit ständig zu solchen Emotionen führt, zu Ressentiment, zu Hass auf den anderen. Das beobachte ich zum Beispiel beim Rauchen. Vor 15 Jahren hat man einen Raucher noch als eine öffentliche Person wahrgenommen. Man hat sich vorgestellt: Der raucht vielleicht zu Hause gar nicht, aber jetzt hier, an der Bar, weil es dazugehört, ein bisschen eleganter zu wirken. Erst seit man den anderen als Privatperson wahrnimmt, hasst man ihn für das Rauchen, weil man das Gefühl hat, der raucht immer, und jetzt kommt er mit seiner Privatzigarette in die Öffentlichkeit. Beim Sex ist das genauso. Da ist jemand ein Sexmonster, und dann kann er sich nicht einmal in der Öffentlichkeit zurückhalten. Man rechnet das erotische Gebaren nicht mehr einem Pflichtgefühl des anderen zu.
Unter den Regeln eines solchen Rollenspiels wäre der Fehler von Herrn Brüderle nicht, dass er Komplimente verteilt hat. Sondern dass er es auf eine sehr ungeschickte Weise tat.
Man würde sagen: Das, was Herr Brüderle gemacht hat, ist wie ein Foul beim Fußballspielen. Wer da einen am Trikot zieht, bekommt eine gelbe Karte, aber kein Strafverfahren. Aber man tut so, als ob er es auf der Straße gemacht hat, zumindest scheinen das viele Frauen so wahrzunehmen. Das verweist noch auf eine andere Frage: Wird hier eine Frau auf ihre Identität, auf ihren Körper reduziert? Oder ist ein Rollenspiel eigentlich ein Versuch, einer Frau den Status einer Dame zuzuerkennen? Das ist der versteckte Streitpunkt in dieser Debatte: Ist es egalitär, Frauen zu behandeln, als ob sie kein Geschlecht hätten? Oder ist es egalitär, Frauen mit dem ganzen Respekt und der Courtoisie zu behandeln, die einer Dame im öffentlichen Raum zustehen?
Viele Frauen haben ja auch betont, dass sie in solchen Situationen sehr wohl in der Lage sind, sich zu wehren. Aber nicht alle scheinen das eben zu wollen.
Es gab eine sehr symptomatische Äußerung von Tina Hildebrand in der „Zeit“, da schrieb sie: „Vor allem aber haben es immer mehr Frauen satt, sich wehren können zu müssen.“ Das ist ein sehr interessanter Satz, weil er darauf verweist, dass Frauen paradoxerweise gerade durch ihre Befreiung weniger wehrhaft geworden sein könnten. Damen des 19. Jahrhunderts hätten einem Herrn, der einem so unangenehme Sachen sagt, vielleicht eine Ohrfeige mit dem Handschuh gegeben. Diese Art der Abstrafung ist aber ein Rollenprivileg. Wenn man die Rolle einer Dame spielt, hat man das Recht, Männer für kleine Übertritte so abzustrafen. Aber man hat das nur dank dieser Rolle.
Setzt eine derart souveräne Reaktion nicht voraus, dass sich Männer und Frauen auf Augenhöhe begegnen können? Ist die Emanzipation schon so weit abgeschlossen?
Ökonomisch gibt es vielleicht noch Handlungsbedarf, aber kulturell lässt sich eher eine Rückentwicklung beobachten. Es ist ja gerade der Effekt einer Befreiung, die unter den Vorzeichen einer Intimisierung verlaufen ist, dass Waffen verloren gegangen sind, die Frauen früher im öffentlichen Raum durchaus besessen haben. Frauen halten es offenbar für ihre Befreiung, nicht die Rolle der Dame zu spielen, weil sie glauben, dass damit viele Rollenklischees verbunden sind. Ich würde aber zu bedenken geben, dass sehr emanzipierte Frauen das immer sehr gut zu spielen vermocht haben. Man muss sich nur Faye Dunaway in einem Film wie „Die Thomas Crown Affäre“ anschauen. Das ist ein sehr polarisierendes Geschlechterspiel, das aber politisch und ökonomisch absolut auf Augenhöhe verläuft.
Offensichtlich empfinden trotzdem viele Frauen oder auch Männer dieses Spiel nicht mehr als lustvoll, sondern als anstrengend.
Klar, eine Rolle gut zu spielen ist ist - wie die Freiheit übrigens auch - eine Anstrengung. Das muss man auch lernen. Grundsätzlich haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir haben eine Kultur, wo Menschen sich freuen, Frauen oder Männer zu sein. Was erst mal überhaupt nichts darüber aussagt, ob Gleichheit besteht oder nicht. Oder aber wir leben in einer Gesellschaft, wo sich alle grundsätzlich schämen, für das, was sie sind. Das ist heute der Fall: Die Männer schämen sich dafür, Männer zu sein, sie sind immer Täter und Belästiger. Die Frauen ärgern sich aber auch, weil sie immer die Opfer sind. Etwas vergröbert könnte man sagen, wir haben es fertig gebracht, uns innerhalb weniger Jahrzehnte die Geschlechterverhältnisse völlig zu vermiesen.
Läuft es dann zwangsläufig auf einen Verzicht auf dieses Spiel mit all seinen Gefahren hinaus?
Ja, das ist eine Gefahr. Das kann zu einem Zustand führen, wie er in den Vereinigten Staaten zum Teil schon herrscht. Da hält kein Professor mehr eine Sprechstunde ab, ohne die Tür offen zu lassen. Und man darf nicht übersehen, dass das Teil einer neoliberalen Politik ist, die dafür sorgen will, dass der Staat zunehmend Polizeiaufgaben übernimmt und zugleich immer davon ausgeht, dass es wahnsinnig schwache Menschen gibt, die man durch Repressionsmaßnahmen schützen muss. Es ist ein sehr antimoderner Gedanke, wenn man davon ausgeht, dass keiner in der Lage ist, sich selbst in der Öffentlichkeit bis zu einem gewissen Grad behaupten zu können.
Der Philosoph Robert Pfaller im Gespräch: Die Frauen haben ihre Waffen verloren - Feuilleton - FAZ
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