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Dado-NS
Guest
Gentlemen mit Charme, Hammer und einer .357-Magnum
Seit Jahren überfallen Räuber aus dem Balkan die edelsten Bijouterien, auch in der Schweiz. Ein US-Journalist hat den Weg der Pink Panther akribisch nachgezeichnet. Seine Reportage beginnt mit dem spektakulärsten Juwelenraub der englischen Geschichte.
Erste Adresse für die Reichen und Schönen, am 19. Mai 2003 auch für Predrag Vujosevic: Edeljuwelier Graff an der New Bond Street in London.
Am 19. Mai 2003 ging ein Mann Ende 20 die New Bond Street in London entlang und blieb vor dem Flagship Store des Juweliergeschäfts Graff stehen, wo «die erstklassigsten Edelsteine der Welt» zum Verkauf stehen. Der Mann, der von Überwachungskameras aufgenommen wurde und später Detektive auf drei Kontinenten beschäftigen sollte, war 170 Zentimeter gross, blond, schmal und hatte den Oberkörper eines Akrobaten. Er sprach mit niemandem und betrat auch nicht den Laden, um sich die ausgestellten Ringe anzuschauen. Nach fünf Minuten trat er vom Schaufester weg und ging weiter.
Die Kunden von Graff, unter ihnen Oprah Winfrey und Victoria Beckham, schätzen das Geschäft wegen seiner farbigen Diamanten. Die gelben, die als unrein galten, bis Graff eine erfolgreiche Marketingkampagne lancierte, oder die seltenen blauen, die ihren Farbstich durch Spuren von Boron erhalten. Der Mann auf dem Überwachungsband, Predrag Vujosevic, war kein typischer Kunde von Graff. Aufgewachsen in Bijela, einem Fischerdorf in Montenegro, war er einer der Anführer einer äusserst erfinderischen und schwer fassbaren Bande von Diamantendieben, bekannt als die Pink Panther. Es gibt viele Edeljuweliere, unter ihnen Chopard und Harry Winston, die sich in jenem Abschnitt der New Bond Street in der Nähe des Buckingham Palasts befinden. Vujosevic entschied sich für Graff, weil er eine Vorliebe für farbige Diamanten hatte – oder weil ihm die Sicherheitsmassnahmen lax schienen.
Als ich Graff kürzlich besuchte, wurde ich von einem Wachmann begrüsst, der mich weder nach einem Termin fragte, noch in meine Ledermappe gucken wollte. Offenkundige Sicherheitsmassnahmen sind für reiche Kunden unbehaglich. Im parfümierten Innenbereich waren drei russischsprachige Kundinnen. Ein Verkäufer namens Martin zeigte mir Halsketten mit Solitaire-Diamanten im Hunderttausend-Dollar-Bereich, die, wie er fand, eine nette Aufmerksamkeit für meine Frau wären. Er erzählte mir, er arbeite schon seit 1973 bei Graff und sei auch am Tag, nachdem Vujosevic sich das Geschäft angeschaut hatte, hier gewesen. Gegen Mittag jenes Tages traten Vujosevic und ein Komplize durch die Tür und machten sich in weniger als drei Minuten mit Diamanten im Wert von gut 30 Millionen Dollar aus dem Staub. Es war der grösste Juwelenraub in der Geschichte Englands. «Es ist uns eine Ehre, der ganzen Welt zu dienen», so Martin trocken. «Wir würden es allerdings begrüssen, wenn die Leute für ihre Auswahl bezahlten.»
Laut Unterlagen der britischen Polizei kam Vujosevic, der zuvor in Paris gelebt hatte, zwei Wochen vor dem Überfall in London an. Er stieg in einem günstigen Hotel in Bayswater, in der Nähe des Hyde Parks, ab. Seine Reisevorbereitungen wurden von Milan Jovetic erledigt, ein Mann aus der früheren montenegrinischen Hauptstadt Cetinje. Eine Woche vor dem Raub flog Nebojsa Denic – ein hünenhafter Serbe aus dem Kosovo, der als Putzmann in einem Schweizer Spital arbeitete – von Zürich ein. Angeblich trafen sich die drei Männer in Isleworth im Westen Londons, wo sie eine gebrauchte Vespa kauften – Vujosevics Fluchtfahrzeug.
Am Tag des Überfalls betrat Denic, sich als Kunde ausgebend, den Laden von Graff, in einen Anzug gekleidet und mit einem Regenschirm in der Hand. Auf seinem Kopf sass eine Elvis-Perücke mit Tolle, was schräg aussah, jedoch keine Aufmerksamkeit erregte. Die Angestellten vermuteten im Herrn mit der seltsamen Haartracht einen getarnten Rockstar oder einen reichen, kranken Mann. Denic bat darum, einen 12-karätigen Diamantring für 450’000 Dollar zu begutachten. «Zu glamourös», sagte er, nachdem er ihn untersucht hatte. «Haben Sie einen kleineren?» Dann zückte er eine verchromte .357-Magnum und schrie: «Alles auf den Boden!» Vujosevic, der eben das Geschäft betreten hatte, zerschmetterte mehrere Schaukästen mit einem Hammer, holte eine Tasche hervor und sammelte 47 Schmuckstücke ein. Beide Männer rannten zur Tür. Ein Wachmann verfolgte Denic und versuchte, ihm die Waffe zu entreissen. Dabei löste sich ein Schuss, der von einem Klimagerät abprallte und die Nase einer Frau streifte, die gerade vorbei ging.
Als Steve Alexander von Scotland Yard am Tatort eintraf, lag Denic überwältigt am Boden. Alexander erinnert sich, dass Denic «äusserst elegant gekleidet war. Mit einer Perücke allerdings, die aussah, als ob eine Katze auf seinem Kopf lag». Scotland Yard leitete eine Ermittlung ein. Innert wenigen Tagen identifizierten Londoner Kriminalbeamte Milan Jovetic als Komplizen. Jovetic und seine Freundin Ana Stankovic, die im Statdtteil Bayswater eine Wohnung gemietet hatten, wurden von der Polizei telefonisch überwacht, bis ein Hausdurchsuchungsbefehl ausgestellt war. Während der Durchsuchung fand ein Beamter im Badezimmer eine Schale mit Gesichtscrème. Er steckte seinen Finger hinein und stiess auf etwas hartes – einen blauen Diamantring von Graff, im Wert von 750‘000 Dollar. (Stankovic hatte vor, den Edelstein in Anas Verlobungsring einzusetzen.) Nachdem die Presse davon erfahren hatte, nannten «Daily Mail» und andere Londoner Zeitungen die Räuber die Pink Panther, in Anlehnung an die gleichnamige Peter-Sellers-Komödie, in der das gleiche Versteck gewählt wird.
Beim Durchsuchen der Wohnung fand die Polizei zwei gefälschte italienische Pässe ohne Namen oder Fotos. Italien, erklärte Alexander, sei die Route, die jemand wähle, der von Montenegro kommt und seine Spuren verwischen möchte. Alexander war einer von mehreren europäischen Kriminalbeamten, die mir mitteilten, dass die Panther in Italien logistische Stützpunkte unterhielten. Und dass die italienische Polizei Kooperationen mit ausländischen Beamten mehrheitlich abgelehnt habe.
Jovetics Telefonprotokolle führten Scotland Yard zu einer Wohnung in Paris, die man als Vujosevics Bleibe ausgemacht hatte, allerdings war er nicht dort. Alexander reiste nach Paris, um die «Brigade gegen Banditenwesen» zu treffen, eine Spezialeinheit für organisiertes Verbrechen. Als sie ihre Unterlagen verglichen, fiel Alexander und den französischen Beamten auf, dass gut angezogene Kriminelle mit osteuropäischem Akzent gut 20 Überfälle im Stil des Graff-Raubs verübt hatten. Französisches Beweismaterial, darunter Aufnahmen von Überwachunskameras, deutete darauf hin, dass Vujosevic sich auf eine Diebestour durch Europa begeben hatte: Castiglione in Paris, Graff in Amsterdam, Wempe in Frankfurt sowie Juweliere in Genf und Barcelona waren betroffen.
Nach monatelanger Fahndung verhaftete die Polizei Vujosevic, als er von Italien nach Frankreich einreisen wollte. In seinem Wagen fand man eine geladene Waffe. Detective Alexander kehrte nach Paris zurück, um seinen Verdächtigen zu verhören. «Vujosevic war ein kleiner Typ, einer, der einem auf der Strasse nicht auffallen würde», so Alexander, «ausserdem äusserst höflich und redegewandt.» Allerdings weigerte sich Vujosevic, über den Graff-Überfall zu reden, und verlor auch kein Wort über die Destination der Diebesware, seine kriminelle Vergangenheit, sein Leben in Montenegro oder sonst eine nützliche Information. Trotz monatelanger Ermittlungen wusste die Polizei immer noch nicht, wer die Überfälle in Auftrag gab und wohin die Diamanten verschwunden waren.
Dem Raub in London folgten schon bald Dutzende weitere Pink-Panther-Überfälle in Europa und Asien. Die Einkünfte der Räuber beliefen sich inzwischen auf eine Viertelmilliarde Dollar. Im März 2004 überfielen die Panther einen Juwelierladen in Tokio. Zwei Serben mit Perücken betraten das Geschäft und setzten einen Angestellten mit Pfefferspray ausser Gefecht. Dann machten sie sich mit einem Halsband mit einem 125-Karat-Diamanten aus dem Staub. Im selben Jahr nutzten die Panther einen Besuch der Gattin von Premier Jean-Pierre Raffarin bei Chopard aus und stahlen aus einem unbewachten Schaukasten Juwelen im Wert von 14 Millionen Dollar. 2005 raubte ein Panther-Team in Hawaii-Hemden Julian aus, ein Juwelierladen in St. Tropez. Der Überfall ereignete sich am helllichten Tag und dauerte wenige Minuten. Die Diebe rannten aus dem Geschäft zum Hafen hinunter, wo ein Schnellboot auf sie wartete.