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Pink Panther, IV: Was Alain Delon mit Räubern zu tun hat
Kriege und Korruption auf dem Balkan haben den Boden bereitet für Gangs wie die Pink Panther. Und das Vorbild der serbischen Gangster ist der Bodyguard und Vertraute von Alain Delon.
Krimi in den Alpen: Im französischen Courchevel überfielen Panther ein Schmuckgeschäft. Boban Stojkovic (links, vor Gericht) wurde dafür zu sechs Jahren Haft verurteilt. Drahtzieher Dragan Mikic entkam aus dem Gefängnis von Villefranche-sur-Saône.
Einer der wichtigsten Panther, die bisher geschnappt worden sind, ist Dragan Mikic, ein stämmiger Belgrader. Statt als Soldat in Bosnien und Kosovo zu dienen, legte er während der Kriege den Grundstein zu einer Kriminellenkarriere. Im Juni 2001 raubte er einen Juwelierladen in Biarritz aus – wozu er eine Sitzbank vor dem Geschäft frisch strich, um potenzielle Zeugen davon abzuhalten, sich darauf niederzulassen. Einen Monat später führte er eine Gruppe an, die einen Range Rover ins Schaufenster von Van Cleef & Arpels in Cannes steuerte – die gestohlenen Juwelen stopften die Räuber in Golftaschen. Im Range Rover, den die Diebe zurückliessen, fanden sich später DNA-Spuren von Mikic. Am 31. Januar 2003 überfiel Mikic mit zwei anderen Serben das Schmuckgeschäft Doux im französischen Skiort Courchevel. Waffen-Attrappen schwenkend, erbeuteten sie Juwelen im Wert von einer halben Million Dollar.
Einen Tag später wurde Mikic im benachbarten Albertville festgenommen, nachdem er ein Zugbillett mit einer 500-Euro-Note bezahlen wollte. Auf Überwachungsbändern war zu sehen, wie er eine grosse Tasche auf dem Perron stehen liess; sie enthielt die gestohlenen Juwelen, zwei Behälter mit Tränengas sowie einen serbischen Pass, ausgestellt auf den Namen Milan Kilibarda. Im Gefängnis fiel Mikic wegen seiner Physis und seiner einschüchternder Aura dem zuständigen Staatsanwalt Gilbert Lafaye auf. «Da war dieses ironische Grinsen auf seinem Gesicht», so Lafaye, der sich auch erinnerte, dass Mikic nicht viel zu sagen hatte. «Diesen Typen macht eine Gefängnisstrafe nichts aus. Sie wissen, dass sie bald entkommen.»
Nach einem Verhör am 17. November 2003 wurde Mikic zum Gefängniswagen geführt, wo es ihm gelang, seinen Bewachern zu entkommen. Er rannte vom Parkplatz über eine Schnellstrasse auf eine Primarschule zu. Einer seiner Bewacher schoss ihm ins Bein. Danach schickte man den Panther in ein sichereres Gefängnis in Villefranche-sur-Saône. Eines Nachmittags fuhren vor dem Gefängnis zwei Männer in einem weissen Kleintransporter vor, auf dessen Ladefläche drei Leitern lagen. Einer der Männer stellte eine Leiter an die Gefängnismauer, kletterte hinauf und feuerte mit einer Kalaschnikov auf den Wachturm. Der zweite Mann warf eine weitere Leiter sowie ein Paar Drahtschneider auf die andere Seite der Mauer, wo Mikic wartete. Der durchtrennte eine Rolle Stacheldraht, die sich am Fuss der Mauer befand, und kletterte die Mauer hinauf. Dort stieg er die dritte Leiter in die Freiheit hinunter. Seither wurde Mikic nicht mehr gesehen.
Von allen in Westeuropa einsitzenden Panthern war er der einzige, der solch ausgeklügelte Hilfe erhielt; seine Qualifikationen müssen für die Bande besonders wertvoll sein. 2008 wurde er für den Courchevel-Raub und weitere Überfälle in Abwesenheit zu 15 Jahren verurteilt. Wie später herauskam, empfing Mikic im Gefängnis über Western Union mehrere tausend Dollar von einem Serben, der in Österreich lebte. Der Mann hatte sich unter falschem Namen das Handy beschafft, das Mikic für die Planung des Courchevel-Raubs benutzte. Eine Woche vor dem Überfall rief Mikic aus einem Sofitel-Hotel in Paris den Serben in Österreich sowie jemanden in Belgrad an. Vergeblich haben die Ermittler versucht, eine Verbindung zwischen dem Exil-Serben und einer höheren Befehlsgewalt herzustellen. Staatsanwalt Lafaye bezweifelt, dass er jemals herausfindet, wer den Courchevel-Raub anordnete. Die Betriebsstruktur der Panther, sagt er, erinnere an einen Oktopus.
Nicht nur das Tiger-Emblem ist furchterregend: Die Einheit JSO soll mit Drogenkartellen gemeinsame Sache gemacht haben.
Einer von Mikics Komplizen in Courchevel ist der Serbe Boban Stojkovic. Zur Zeit sitzt er für den Überfall eine sechsjährige Haftstrafe ab. «Das sind alles Leute, die auf irgendeine Weise im Balkankrieg involviert waren», sagt Stojkovics Anwalt Michel Jugnet. Die Räuber seien von Belgrad und würden sich seit ihren Jugendtagen kennen. Laut Jugnet habe Stojkovic mehrere Male mit Kriminellen aus dem früheren Jugoslawien zusammengespannt, seine Einkünfte daraus betrügen aber höchstens 100'000 Dollar. Auch Emanuel Auvergne-Rey, ein Kollege Jugnets, beschrieb Stojkovics Taten als «Notwendigkeit, nicht Geldgier». «Der Krieg in Jugoslawien war für uns Europäer weit weg», so Auvergne-Rey. «Und als die Flüchtlinge hier ankamen, waren sie nicht willkommen.»
Der Aufstieg des organisierten Verbrechens auf dem Balkan ereignete sich während der Konflikte in den Neunzigern und wurde durch die Sanktionen des Westens beschleunigt, weil Zigaretten, Benzin und Nahrungsmittel knapp waren. Nachdem Slobodan Milosevic 1989 Präsident wurde, spülte staatlich geförderter Schmuggel Milliarden von Dollars in die Kassen der politischen Elite. Dejan Anastasijevic, ein Reporter des Belgrader Magazins «Vreme», sagte mir, dass Milosevic nicht nur ein äusserst brutaler Autokrat gewesen sei, sondern auch den ganzen Staat korrumpiert habe.
Die Situation war offenbar derart aus dem Ruder gelaufen, dass Ende der 90er-Jahre das Zemun-Drogenkartell mit der paramilitärischen JSO gemeinsame Sache machte – einer Spezialeinheit mit eigener Artillerie, Panzerwagen und Helikoptern. Zusammen schmuggelte man jeden Monat Heroin und andere Drogen im Wert von 100 Millionen Dollar aus Bulgarien, Albanien und Bolivien ins Land. Nachdem Milosevic im Jahr 2000 gestürzt wurde, blieben die korrupten Zustände, die er verantwortet hatte, bestehen. Gleichzeitig suchte die junge Generation, die in einem von Dieben und Mördern kontrollierten Land aufgewachsen war, Arbeit im Ausland.
Freunde mit undurchsichtiger Vergangenheit: Schauspieler Alain Delon (oben) und François Marcatoni.
1974 war ein Belgrader Verlag mit «Gorilla» erfolgreich, einem erbärmlichen, wirren Roman, der auf dem Leben eines serbischen Schlägers namens Stefan Markovic beruhte. Markovic war einst Alain Delons Bodyguard. 1968 fand man seine Leiche auf einer Müllhalde ausserhalb von Paris. Ein Freund Delons, der korsische Gangster François Marcantoni, wurde angeklagt, aber aufgrund ungenügender Beweise freigesprochen. Alain Delon wurde verhört, eine Klage wurde jedoch nicht erhoben. Für viele serbische Kriminelle, die in den Westen ziehen, ist «Gorilla» immer noch Pflichtlektüre. Oder, wie mir ein Gangmitglied erklärte: «Wenn ein Mafioso ein Buch liest, dann ist es dieses.»
«Gorilla» ist die Geschichte des Stefan Ratarac – das Alter Ego von Markovic –, der vom bekannten französischen Schauspieler Alain Dupré gebeten wird, einen Journalisten zusammenzuschlagen. Ratarac erfüllt diese Mission und zieht schon bald im Untergeschoss von Duprés Villa ein, wo er den Launen seines Auftraggebers ausgesetzt ist. Ratarac ist schnell beleidigt und unnötig gewalttätig. Im Buch gibt es eine Szene, in der er einen russischen Taxifahrer schikaniert. «Warum führst du dieses traurige Leben? Weil du Russe bist? Ich kenne nur eine russische Frau hier in Paris – sie ist ein sagenhafter Fick. Bist du mit ihr verwandt?»
Der Erzähler erklärt, dass Rataracs Verhalten «ein unergründlicher Hass zugrunde liegt». Der Bodyguard verachte Menschen, die ihren Lebensunterhalt auf komplizierte Art und Weise bestreiten: «Warum singen sie in Kirchenchören und zünden Kerzen an? Warum stehlen und rauben sie nicht, ficken keine reichen Pariserinnen oder prügeln und morden?» Im Schatten eines reichen Franzosen zu leben, erniedrigt Ratarac, und so hätschelt er seine Ressentiments: Arme hasst er wegen ihrer Schwäche, Reiche für ihre Besitztümer, die er nie haben wird.
Als der Schauspieler mit seinen Gästen eine Orgie feiert, filmt Ratarac das Geschehen in der Hoffnung, die Teilnehmer erpressen zu können. Der Schauspieler stellt ihn zur Rede: «Weshalb tust du das? Es ist dumm!» Ratarac antwortet: «Dumm ist, wie ich lebe! Ich trage deine Hemden. Sogar deine Unterwäsche. Und das geht nun schon seit Jahren so.»
«Gorilla» kanalisiert die Wut, die viele junge Serben gegenüber der Europäischen Union empfinden, weil sie ihren Reichtum zu sehen bekommen, aber keinen Zutritt erhalten. Zumal die EU während des Kriegs zuschaute – nur um danach Sanktionen gegen die aufmüpfigen Serben zu verhängen und ihnen die Immigration zu erschweren. Die unsichtbare Mauer, die der Westen so errichtete, erhielt die kriminelle serbische Elite reich und den Rest des Landes arm.