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Dado-NS
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Pink Panther, VI: Nato-Soldaten lancieren Verbrecherkarrieren
Ein Soldat der Royal Marines gewährte den Graff-Räubern in London Unterschlupf. Er kannte die Panther aus Nis, wo Nato-Kommandanten auf Friedensmission oft beide Augen zugedrückt hatten.
Das Wahrzeichen von Nis ist der Totenkopfturm (r. unten). Zoran Zivkovic war Bürgermeister der Stadt, in der einst die Industrie blühte und wo heute 33'000 Menschen ohne Arbeit sind.
Westliche Regierungen wussten über die illegalen Aktivitäten Serbiens Bescheid. Deutsche Truppen und andere Friedenshüter waren bekannt dafür, bei Schmuggel ein Auge zuzudrücken und sogar davon zu profitieren. Kürzlich unterhielt ich mich mit einem britischen Marinesoldaten, der im Balkan gedient hatte. Der Soldat war damals oft in Nis, wo er Einheimischen mit Geld Informationen entlockte. Die zerfallende ehemalige Industriestadt war im Krieg ein strategisch wichtiger Stützpunkt, weil sie in der Nähe des Kosovos liegt. Die Stadt befindet sich zudem an der Schmuggelroute, die Serbien mit Kleinasien verbindet. Der Soldat, der an Friedensmissionen in Bosnien teilgenommen hatte, sagte, er habe mehrmals Nato-Kommandanten zu Treffen mit serbischen Offiziellen begleitet. Die Offiziere hätten dabei Informationen über separatistische Kräfte im Kosovo eingeholt. Im Gegenzug sah man nicht genau hin, wenn Schiffe mit Öl und anderen Rohstoffen nach Serbien einliefen – obwohl dies gegen die westlichen Sanktionsbestimmungen verstiess. Einige dieser Abkommen waren formaler Natur, bei anderen, vor allem auf tieferen Autorisationsebenen, floss Geld.
In Nis, sagte der Soldat, habe er oft Zeit mit serbischen Rekruten und paramilitärischen Gruppen verbracht: «Wir ballerten rum und sprachen über Kriegstaktik.» Die Serben benutzten verlassene Wohnblöcke in Nis, um ihre Scharfschützen zu trainieren. Der Engländer gab den Serben gelegentlich Tipps, wobei ihm die Männer oft nicht als gewöhnliche Soldaten vorgekommen seien. «Zum Spass stahlen sie einem die Brieftasche aus der Hose», erzählte er lachend. (Milos Oparnica, Interpol-Leiter in Belgrad, tat dies als «Hollywood-Nonsense» ab.
Friedenstruppen schauten auch mal weg: Gegen Informationen durften Frachtschiffe trotz Sanktionen häufig in Tivat einlaufen.
Der Soldat verliess schliesslich die Royal Marines und arbeitete als Bodyguard in einem Luxushotel in Paris. Eines Nachts, behauptete er, traf er im Ausgang auf einige der Serben, mit denen er in Nis befreundet war. Sie hätten ihm erzählten, dass sie nun Bijouterien ausraubten. Der Soldat nahm dies durchaus ernst, zumal ihm die Serben nüchtern und diszipliniert erschienen. «Als sie Uniformen trugen, verhielten sie sich wie Kriminelle. Als Kriminelle erinnerten sie an Soldaten.» Er gab den Männern seine Telefonnummer und versprach, in Kontakt zu bleiben. Ein paar Jahre später, der Ex-Soldat lebte inzwischen in London, riefen ihn die Serben an. Wieder traf man sich im Ausgang. Dann wurde Graff überfallen. Zwei der Räuber kontaktierten ihn, um bei ihm unterzukommen, bis sie das Land verliessen. Als Dank für seine Gastfreundschaft gaben sie ihm eine Diamantbrosche, die er über einen Mittelsmann bei einem Juwelier in Brighton verkaufen liess. Die Brosche war dem Juwelier «eine hübsche Stange Geld» wert. Der Mittelsmann bestätigte mir, dass es zur Transaktion gekommen war. Der Juwelier lehnte mehrere Interview-Anfragen ab.
Um besser zu verstehen, wie junge Männer aus dem Süden Serbiens die Shopping-Meilen von Tokio oder Dubai unsicher machen, beschloss ich, nach Nis zu fahren. Laut Milos Oparnica von Interpol stammen drei Hauptgruppen der Panther aus Serbien. Die Nis-Fraktion war offenbar die tollkühnste: Viele ihrer Mitglieder sitzen derzeit in westeuropäischen Gefängnissen. Ich kam an einem Vormittag in Nis an. Die Strasse, die in die Stadt führte, war leer und von Läden gesäumt, die Ersatzteile für Motorräder und Diätprodukte verkaufen. Ich hatte das Gefühl, als ob Nis weit weg sei von Belgrad. Hier gab es keine Häuser mit österreichisch-ungarischen Fassaden und auch keine überschaubare Kriminalität. Nis war wilder, mit einem ethnischen Mix aus Albaniern, Mazedoniern und Sinti und Roman. Das bekannteste Gebäude der Stadt ist der Totenkopfturm, der von den Türken im Jahr 1809 errichtet wurde. Als Baumaterial verwendeten sie Kalk, Sand und 952 Schädel von serbischen Kämpfern. Auf den schiefen Gehsteigen Nis’ stöckelten junge Frauen auf hohen Absätzen und mit dickem Make-up entlang, hinter ihnen folgten ihre flegelhaften Freunde.
Schiessausbildung: In Nis erhielten serbische Scharfschützen Tipps von einem Royal Marine. Milan Oparnica von Interpol in Belgrad hält dies für «Hollywood-Nonsense».
Am anderen Flussufer standen die Wohnblöcke, in denen der englische Soldat einst mit serbischen Scharfschützen trainiert hatte. Die 15-stöckigen Gebäude bestanden aus Betonplatten, die mit Fussball-Graffiti und nationalistischen Parolen beschmiert waren. In den Strassen tranken Grüppchen von jungen Männern Bier. Einer von ihnen, ein Serbe, trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Gesucht». Daneben stand ein brandneuer Audi. Junge Serben stehen auf Audis, was die Mietwagen im Dubai-Überfall erklären dürfte.
Männer zwischen 25 und 45 schienen in der Stadt zu fehlen. Neben den Geschäften der Motorrad-Mechaniker waren vor allem Spielsalons gut besucht. In der unmittelbaren Nähe des zerfallenden, ehemals hübschen Stadthauses zählte ich davon vier Stück. Bürgermeister Milos Simonovic ist ein 36-jähriger Mann mit hellen Augen, aufgewachsen in Nis. In seiner Kindheit war die Stadt noch Jugoslawiens Hauptproduktionsstandort für Elektronik und bot 30'000 Ingenieuren und Arbeitern Beschäftigung. «Wir arbeiteten mit Philips, Siemens, IBM und anderen bekannten Firmen zusammen», erinnerte er sich. «Sogar einen Personalcomputer haben wir produziert. An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber es war zwei Jahre nach dem Commodore 64.»
Heute sind von den 300'000 Einwohnern 33'000 ohne Arbeit. Der grösste Arbeitgeber ist eine Zigarettenfabrik, Drogenschmuggel ist auch populär. «Nis war prädestiniert, um Behörden und Verbrecher zusammenzubringen», so Simonovic. Viele junge Einwohner sahen, wie ihre Eltern die Arbeit verloren, und wuchsen in einer korrupten Gesellschaft auf, die eine Karriere als Dieb in Westeuropa verlockend erscheinen liess. «Sie glauben ernsthaft, dass es sich lohnt. Dass sie dort schnell zu Geld kommen und hier dann ein Leben mit Autos, Häusern und anderen Statussymbolen führen können», sagte Simonovic. Zoran Zivkovic war Bürgermeister von Nis unter Milosevic sowie ein Anführer der Opposition, die letztlich das Regime zu Fall brachte. Nachdem Milosevics Nachfolger Zoran Djindjic 2003 ermordet wurde, wählte man den heute 49-jährigen Zivkovic zum Premierminister. Als solcher rief er die Operation Säbel ins Leben, die die serbische Mafia schwächen und ihre Verbindungen zum Staat kappen sollte. Knapp 4000 Verdächtige wurden vor Gericht gezerrt, zehntausende Waffen beschlagnahmt und kiloweise Sprengstoff sichergestellt. Ich traf mich mit Zivkovic, der inzwischen als Geschäftsmann tätig ist, in einem sauberen, modernen Büro, wo Weinflaschen aus seinem eigenen Weingut ausgestellt sind. Er trug einen blauen Blazer und war stark gebräunt, was ihn nicht wie ein Politiker, sondern wie ein mediterraner Jachtbesitzer aussehen liess, der irgendwie in Serbien gestrandet war. «Per definitionem hängt organisiertes Verbrechen bei uns mit dem Staat zusammen», so Zivkovic in seiner charmant-pedantischen Art. Über Jahre hinweg hätten Verbrecher-Clans in Serbien eigene Polizeibeamte, Anwälte, Richter, Doktoren, Finanzberater und Journalisten gehabt. Über einen Belgrader Arzt sagte er: «Wenn jemand eliminiert werden musste, aber nur verletzt wurde, war es sein Job, ihm im Spital eine tödliche Spritze zu verabreichen.» Zivkovic gab bereitwillig zu, dass sich bloss wenige der bei der Operation Säbel verhafteten Verbrecher im Gefängnis befinden. Gewissen Kräften in der serbischen Regierung sei daran gelegen, das Land in seinem desolaten, isolierten Zustand zu behalten.
In Nis lieferten mir polizeiliche Quellen weitere interessante Informationen über die Panther. Ich hörte, dass Milan Ljepoja, der in Gex bei Genf auf dem Schulgelände verhaftet worden war, nach dem Dubai-Überfall in seine Heimatstadt Nis zurückgekehrt war und hier einen Teil seines Geldes ausgab. Er erstand in der Altstadt ein paar Läden, die er zu einem Nachtclub umbauen liess, der kurz vor seiner Verhaftung im Jahr 2008 aufging. Ausserdem war er in Nis als Veranstalter von «Orgien» bekannt, wie sich ein Beamter ausdrückte.
Die Polizisten erzählten mir auch von einem Freund Ljepojas, der in einem Shoppingcenter einen Handy-Shop geführt hatte. Wenige Monate vor dem Dubai-Überfall zog der Mann nach Dubai, wo er ebenfalls einen Handy-Shop eröffnete. Als die Polizei in Dubai von diesem Timing Wind bekam, studierte man die Bilanz des Shops und entdeckte riesige Summen, die unmöglich vom Verkauf von Handys herrühren konnten. Laut der Ermittler in Nis sitzt der Mann inzwischen in einem Gefängnis Dubais.