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Dado-NS
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Pink Panther, X: Unheimliches Treffen mit einem gesuchten Verbrecher
Ein Bergdorf in Montenegro entpuppt sich als Räubernest, wo neugierige Gäste nicht gern gesehen sind. Das finale Verdikt über die Panther fällt.
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Heimat der Panther: Das montenegrinische Bergstädtlein Cetinje florierte unter Tito. Heute blühen illegale Geschäfte, etwa der Handel mit gefälschten Versace-Kleidern.
Nach ein paar Tagen in Montenegros Hauptstadt Podgorica machte ich mich auf den Weg in die Berge, nach Cetinje. Einspurige Strassen wanden sich um zerborstene, weisse Felsblöcke und beharrliches, grünes Laubwerk, das mich an die Hügel Judäas erinnerte. Stieg man aus dem Auto, lärmten die Insekten, als ob man plötzlich eine ausserirdische Radiofrequenz eingeschaltet hätte.
Cetinje befindet sich in einem grünen Tal zwischen den Bergen und der Adria. Im 15. Jahrhundert entstanden, ist die Stadt das historische Zentrum des Landes. Es ist auch die Heimat von jedem zweiten Pink Panther, der in Westeuropa festgenommen worden ist. In Cetinje kommen Montenegros Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Gegenüber dem Stadthaus, einem verwitterten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, befand sich ein neuer Laden mit dem Namen Mega Market. Sein Besitzer war Cedo Jovetic, der Vater von Milan Jovetic, jenem Panther, der beim Graff-Überfall für die Logistik zuständig war. Cedo, ein schroffer Mann Mitte 70, traf ich zu Hause an, in der Nähe seines Geschäfts. Er hatte kein Interesse, mit einem ausländischen Reporter über die Panther oder den Verbleib seines Sohnes zu reden. «Ich erlaube keine Fragen über mein Privatleben oder meine Familie», sagte er.
Ich begab mich ins Stadthaus des Räubernests Cetinje, das von einem doppelköpfigen königlichen Adler bewacht wurde, auf dessen Schild ein Löwe eingraviert war. Nachdem ich die Eingangstreppe erklommen hatte, ging ich einen langen Korridor hinunter. Bürgermeister Milovan Jankovic grüsste mich in seinem Büro. Der 64-Jährige trug ein blaues Hemd und ein schwarzes Jacket. Seine grosse Nase passte zu den elefantenhaften Ohren und den grossen Tränensäcken, die seinem Gesicht einen traurigen Ausdruck verliehen.
Bevor er Bürgermeister wurde, hatte er in Serbien und Montenegro als Anästhesist und Generalsekretär des Roten Kreuzes gearbeitet. Er offerierte mir einen Morgen-Brandy und lächelte zustimmend, als er mir beim Trinken zusah. Zu Titos Zeiten habe es in Cetinje eine Fabrik gegeben, die Kühlschränke und Waschmaschinen herstellte, sowie eine, die für den Export elegante Schuhe produzierte. Auch das Pharmaunternehmen Galenika sei hier gewesen. «Doch während des Kriegs wurden sie alle geschlossen», so Jankovic. «Die Arbeitsplätze gingen verloren.» Cetinje weist für junge Menschen eine Arbeitslosenquote von 17 Prozent auf, die meisten von ihnen wollten Chauffeure oder Wachmänner werden. «Unser Problem ist mangelnde Bildung», klagte Jankovic. «Vor langer Zeit war das anders. Heute will niemand einen Job, bei dem man denken muss.»
Ich fragte den Bürgermeister, weshalb mich Emanuel Leclaire, der Leiter von Interpols Abteilung für Organisiertes Verbrechen, nach Cetinje geschickt hat. «Ehrlich gesagt, kann ich darüber nicht sprechen», erwiderte er. Nach zwei weiteren Brandys änderte er seine Meinung und erzählte mir eine lustige Geschichte über den Modedesigner Gianni Versace, der einst Cetinje besucht hatte und feststellte, dass die Menschen gefälschte Versace-Kleider trugen. «Lasst es sie tragen», soll der Modemacher gesagt haben. «Das ist gute Werbung.»
Vom Westen zu stehlen war so tief in die Kultur eingesunken, dass es fast schon eine Form von Patriotismus war. «Es gibt ein Lied über die Typen, die hier Kleider stehlen», sagte Jankovic. «Der Text lautet: ‹Wir stehlen nicht von Montenegro, wir stehlen für Montenegro.›» Viele der Pink Panther von Cetinje würden bereits mit 20 ihr Land verlassen, weil sie keine Arbeit finden, so Jankovic. In Belgrad und sonstwo blieben sie miteinander in Kontakt, weil sie aus der gleichen Gegend stammten.
Am Abend schrieb ich ein E-Mail an Leclaire. Ich wollte wissen, weshalb sich Interpol bei den Panther-Ermittlungen auf Bürger von armen Balkanländern konzentriert und dabei Panther-Verbündete aus EU-Ländern ignoriert, die vom lukrativen Handel mit gestohlenen Diamanten und Uhren profitieren. Eine Stunde später kam Leclaires Antwort. Meine Frage sei «schockierend»; Interpol verfolge Kriminelle nicht aufgrund ihrer Nationalität. Bedenkt man, dass Interpols Panther-Arbeitsgruppe es sich zur Aufgabe gemacht hat, Juwelendiebe aus Ex-Jugoslawien zu fassen, ergab Leclaires Statement jedoch kaum Sinn.
Nicht nur Juwelen reizen die Panther: Jachten, Privatflugzeuge, Uhren.
Kurze Zeit später befragte ich die Behörden eines benachbarten Landes zum Thema Schmuggel. Ost- und Westeuropa, so ein Ermittler, seien über Kriminalität miteinander verbunden: «Dank Schnellbooten ist eine Ladung Heroin in 40 Minuten in Italien.» Am Drogenhandel seien auch Politiker und Polizisten beteiligt.
Ein zweiter Beamter erzählte mir, dass gestohlene Uhren und Juwelen von Panther-Überfällen kürzlich in der albanischen Stadt Lac aufgetaucht waren. Kriminelle im ganzen Balkan würden eng zusammenarbeiten. Montenegrinische Verbrecher in Westeuropa könnten auf den Schutz und die Hilfe der italienischen Mafia zählen.
Italienische Verbrecher haben gewaltige Summen in Montenegro und andere Balkan-staaten investiert. Es gab eine Zeit, als Dutzende von gesuchten Mafiosi ungehindert in Montenegro leben konnten. Eine Situation, die sogar die italienische Regierung irgendwann inakzeptabel fand. Zumal sich die Kooperation der Verbrecher verstärkte. Balkangangs beteiligen die Mafia an Deals, im Gegenzug erhalten sie logistische Unterstützung und Schutz vor Polizei und Richtern. «Eine partnerschaftliche Beziehung», wie es der Beamte ausdrückte.
Vor meinem Hotelzimmer in Podgorica fuhr eine schwarze Mercedes-Limousine vor. Der Fahrer war ein starker Mann um die 50 mit schütterem Haar. Er stieg aus dem Wagen, ging in ein Café auf der anderen Strassenseite und bestellte ein Bier. Als er es getrunken hatte, zündete er sich eine Zigarette an. Drei Stunden später war er immer noch da. Ich hatte ihn schon an anderen Nachmittagen dasselbe tun sehen.
Am Abend zuvor war ein einheimischer Übersetzer ins Hotel gekommen und hatte mich auf ein Bier eingeladen. Das Angebot erschien mir seltsam; wir hatten unsere Zusammenarbeit schon am Vortag beendet. In einem Café sagte er mir, dass es etwas gibt, das ich wissen sollte. Mein Hotel habe einst einem bekannten Gangster gehört, die Telefonleitungen und Zimmer würden immer noch abgehört.
Mein Mobiltelefon läutete, ich verliess das Zimmer und nahm den Anruf entgegen. Am anderen Ende war ein Panther-Vermittlungsmann, den ich seit Tagen versucht hatte zu treffen. Er gab mir präzise Anweisungen. Ich dürfe weder Aufnahmegerät noch Handy mitbringen. Ich würde auf einer Bergstrasse auf der Strecke nach Budva abgesetzt werden. Mein Fahrer würde in einem nahegelegenen Dorf auf mich warten. Ich solle bequeme Kleidung tragen, weil ich Hose, Hemd und Schuhe würde ausziehen müssen. Nach einer Durchsuchung könne ich den Panther in einem Restaurant treffen. Danach gebe man mir ein Telefon, sodass ich meinen Fahrer anrufen könne.
Als ich die Bergstrasse hinauffuhr, schickte ich mir selbst ein E-Mail, in dem ich festhielt, wen ich wo traf. Ein Schild markierte den Ort, wo ich warten sollte. «Ich kann in der Nähe warten», schlug mein Fahrer vor. Ich erwiderte, dass es besser sei, die Anweisungen zu befolgen. Wenn er in zwei Stunden nichts von mir höre, solle er sich Sorgen machen.
Das Treffen verlief wie geplant. Danach sass ich alleine in einem Restaurant namens «Wasser im Fels». Die Suppe war vorzüglich. Als ich aufsah, stand Novak, wie sich mein Gesprächspartner nannte, schräg hinter mir. Er hatte schwarze Locken, trug ein weisses T-Shirt und war durchtrainiert. Er bestätigte Geburtsort (Cetinje) und Geburtsjahr (1967). Er sagte, er könne mir bei Gelegenheit «Weisses Glas» zeigen. Zuerst verstand ich nicht, was er meinte, dann fiel mir ein, dass «Glas» Slang für Diamanten ist. Er sei frisch von einer Reise nach Europa zurück, sagte er und liess dabei blendend weisse Zähne aufblitzen. Neben Englisch und Serbokroatisch sprach er Russisch, Italienisch, Französisch, Deutsch und Tschechisch. Sprachen seien wichtig in seinem Beruf, allerdings nicht so wichtig wie Diskretion. Nur so bleibe man am Leben. «Im Ausland tragen wir Anzüge», sagte er und machte eine Pause. «Hier verhalten wir uns ruhig.» Ich fragte ihn nach Überfällen, die er in Südfrankreich unternommen hatte. Er lachte. «Ich bin hier aufgewachsen. Ich kann nachts mit 160 Kilometer pro Stunde über Bergstrassen fahren. Ich liebe Südfrankreich!» Zu seinem allerersten Auftrag sei es bei einem Überfall auf ein Pariser Juweliergeschäft gekommen, wo man ihn als Fahrer des Fluchtautos einsetzte. Die ersten Jobs seiner Gruppe habe er von Predrag Vujosevic bekommen. Nachdem er und seine Leute ihre Diebesqualitäten perfektioniert hatten, erhielten sie regelmässig Aufträge aus Belgrad.
Obwohl Novak ausweichend antwortete, bestätigte er, dass ein System besteht, das Zielobjekte und Crews bestimmt. Ausserdem gebe es vier Hauptgruppen, deren Mitglieder ursprünglich aus Montenegro stammten. «Die Nis-Gruppe», sagte er, «erledigt Aufträge in Griechenland und der Türkei.» Die Belgrad-Gruppe sei für tollkühne Einsätze bekannt – weswegen ihre Mitglieder besonders oft verhaftet würden. Novak selbst schien vorsichtig zu sein. Sein Bierglas hielt er mit einem Tüchlein. Als er ausgetrunken hatte, wischte er den Rand des Glases mit einer routinierten Geste ab.
Ich fragte ihn, wie seine Panther-Gruppe entstanden sei. «Wir wuchsen zusammen auf», sagte er. «Unsere Familienverhältnisse waren intakt.» Die Mitglieder seiner Gruppe seien nach Italien gegangen, wo sie vom Lebensstandard derart beeindruckt waren, dass sie sich für eine Verbrecherkarriere entschieden hätten. «Jene, die alles auf einmal wollten, wurden verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt. Andere verbrachten zwei, drei Jahre in italienischen Gefängnissen.» Mit Stehlen angefangen habe man während der westlichen Sanktionen. Einige Bandenmitglieder hätten damals mit serbischen Sicherheitskräften gemeinsame Sache gemacht.
Die ersten Tipps für Überfälle kamen offenbar von einem serbischen Dressman, der in Antwerpen lebte und dort jüdische Diamantenhändler kannte. Novaks Gruppe generiert aber auch eigene Informationen. «Wir haben unsere Scouts», sagte er und pfiff eine lustige Melodie. «Typen, die rund um die Welt reisen und Informationen einholen.» Informationen über russische Jachten zum Beispiel. Deren Besitzer sind in ihrer Heimat oft mit der Polizei im Clinch und melden Diebstähle nur ungern. So sei der Leiter von Novaks Gruppe vor allem damit beschäftigt, am Computer nach den Standorten von wertvollen Objekten wie Privatflugzeugen und Booten zu suchen. Ebenfalls zur Gruppe zähle ein Techniker, der Geräte konstruiert, um Alarmsysteme auszutricksen. «Sein Vater ist einer der bekanntesten Ingenieure Serbiens!», gab Novak an. «Auch er arbeitet ab und zu für uns.»
In Antwerpen werden gestohlene Juwelen zum Weiterverkauf verarbeitet.
Nach einem Überfall treffe sich ein Bandenmitglied mit dem Käufer, typischerweise in der Nähe einer Autobahn. Der Käufer untersuche die Diebesbeute, manchmal auch mithilfe eines mobilen Labors. Laut Novak werden viele der gestohlenen Juwelen in Antwerpen zerschnitten und nach Israel verschifft, wo sie als «neue» Steine in den Verkauf kommen. Die meisten Juwelen blieben jedoch in Europa. Schmuggelware wiederum würde mit Schnellbooten vom Balkan nach Italien geschafft: «Die Miete für ein Boot beträgt zwei Rolex-Uhren.» Ich fragte ihn nach Zeljko Obradovic, der in der Nähe lebte und angeblich für mehrere Panther-Überfälle in Frankreich und einen in Bahrain verantwortlich war. Einige meiner Quellen hatten angedeutet, dass Obradovic jener Räuber sei, der die Panther nach dem Krieg organisiert hatte. War er tatsächlich eine grosse Nummer? Könnte Novak mir helfen, ihn zu treffen?
Der Panther schüttelte den Kopf und wischte sein Glas und die Armlehnen ab. Er erhob sich, legte das Tüchlein sorgfältig zusammen und steckte es in seine Tasche – wie ein Magier am Ende seiner Vorführung. Als ich aufstand, um ihm die Hand zu schütteln, drückte er mich sanft an der Schulter in meinen Stuhl zurück. «Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen», sagte er. Sollte ich nach Montenegro zurückkommen, würde er mir «weisses Glas» und womöglich einen Cézanne zeigen.
Er machte ein paar Schritte in Richtung Terrasse. Ich schaute kurz zu einer Gruppe von Gästen, die in diesem Moment auftauchten. Als ich wieder zu Novak sah, war er verschwunden. Ein Trick, dachte ich, den bloss ein erfahrener Dieb beherrscht: Aus dem Nichts erscheinen, um genauso elegant wieder mit seinem Tüchlein zu verschwinden. Diamantendiebstahl ist ein schweres Verbrechen, doch als ich die Rechnung beglich, fiel es mir schwer, nicht mit diesen verzweifelten und einfallsreichen Männern zu sympathisieren. Die Pink Panther wurden von der Welt ausgenommen. Nun rächten sie sich.