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Gelöschtes Mitglied 8317
Guest
Habe gerade einen beklemmenden Film gesehen der das Thema Ehrenmord behandelt. Wer den Film noch nicht kennt sollte sich diesen auf jeden Fall anschauen.
Der Titel: Die Fremde
Die monströse Geschichte eines Ehrenmordplans, aus intimer Perspektive erzählt: In "Die Fremde" wird eine junge Türkin von der eigenen, eigentlich gut integrierten Familie für vogelfrei erklärt. Der bedingungslose Film bietet Sibel Kekilli die zweite große Rolle ihres Lebens.
Wie riecht Heimat? Für die junge Deutschtürkin Umay , die in Berlin aufwuchs, zwischendurch einige Jahre bei einem ungeliebten Mann in Istanbul lebte und nun mit ihrem kleinen Sohn bei der Familie in Kreuzberg untergeschlüpft ist, lässt sich die Frage leicht beantworten: Heimat riecht für sie wie die Haare ihres kleinen Bruders oder wie die Seife auf der Haut der Schwester.
So nah ist die Heldin in "Die Fremde" ihren Geschwistern - und doch kündigt sich in zwei der zärtlichsten Szenen des Films schon die fatale Entfremdung zu ihnen an. Einmal liegt Umay nachts mit ihrem jüngeren Bruder auf dem Bett, streicht ihm über den Kopf und erinnert ihn daran, dass sie ihm früher die Windeln wechseln musste - bald jedoch wird der Kleine die geliebte Große im Auftrag der Familie ausspionieren. Ein anderes Mal kuschelt sich die Filmheldin nachts an ihre jüngere Schwester, die sich in einen Jungen aus der deutsch-türkischen Community verliebt hat und heiraten will. Aufgeregt malt sich die Kleine aus, wie die Hochzeit aussehen wird und was die Große dazu beitragen wird. Dabei wird eben die zum größten Problem bei der Verwirklichung ihres Traumes: Denn Umay, die "ehrlos" getrennt von ihrem Mann lebt, steht einer traditionellen Eheschließung im Wege. Sie wird zum Makel der Familie, den es zu beseitigen gilt.
Kein Islamist weit und breit
"Die Fremde" erzählt die monströse Geschichte eines Ehrenmordvorhabens - das aber aus der denkbar intimsten Perspektive. Im Ausloten der psychosozialen Mechanik gibt sich Regisseurin Feo Aladag bedingungslos, auf die übliche Verschleierungsfolklore verzichtet sie. Ihre Geschichte berührt und funktioniert gerade deshalb, weil sie in der Welt junger Türken spielt, die man als "integriert" bezeichnet.
Kein Islamist weit und breit.
In der tragischen Unumkehrbarkeit, mit der die aufbegehrende junge Frau erst an den sozialen Rand ihrer Community gedrängt und schließlich zur Vogelfreien erklärt wird, erinnert "Die Fremde" an klassische Frauendramen: Effi Briest revisited. Besonders im Vater (brillant: Settar Tanriögen), der handelt wie es sein Umfeld von ihm verlangt und doch innerlich daran zerbricht, zeigen sich Parallelen zu Theodor Fontanes Bildungsroman. Die Familie, hier funktioniert sie nur so lange, bis der Druck von außen sie aufreibt.
Aber darf man das archaische Verbrechen des Ehrenmords wie einen Klassiker der deutschen Literaturgeschichte erzählen? Bei der Uraufführung auf der Berlinale letzten Monat wurde das Regie-Debüt von Feo Aladag kontrovers diskutiert, es wurde verdammt und gefeiert. Möglich, dass ein Teil der Aufregung auch aus dem Umstand resultiert, dass die Ungeheuerlichkeit der sich ankündigenden Tat hier mit einer gewissen Zwangsläufigkeit präsentiert wird, in der selbst die Täter zuweilen als Opfer erscheinen: Der Vater ist kein religiöser Eiferer, die kleine Schwester sucht nur ihr eigenes Glück, und selbst der ältere, fanatisierte Bruder wirkt am Ende am nur noch wie ein Vollstrecker mikro-gesellschaftlicher Zwänge.
Regisseurin Feo Aladag ist von Haus aus Schauspielerin. Vor ihrer ersten Regiearbeit "Die Fremde" hat sie allerdings schon bemerkenswerte Drehbücher verfasst, unter anderem 2003 für den WDR-"Tatort" "Mutterliebe", bei dem es um die pathologischen Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb einer Kölner Großbürgerfamilie geht und der Parallelen zu ihrem Migrantendrama aufweist. Regie führte damals ihr Ehemann Züli Aladag, der drei Jahre später den Debattenschocker "Wut" drehte, in dem eine deutsche Kleinfamilie von einem türkischen Gewaltverbrecher terrorisiert wird, bis die sich wehrt. Der Türke war hier quasi nur dazu da, um deutsche Mittelstandsneurosen zum Ausbruch zu bringen. Ein problematisches TV-Pamphlet, das sonderbarerweise mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.
Zwischen die Mülleimer geschmissen
Wo der türkischstämmige Züli Aladag ins beschädigte Seelenleben einer deutschen Familie hinabstieg, da arbeitet sich seine deutschstämmige Frau Feo Aladag nun für "Die Fremde" tief ins Berliner Migrantenmillieu vor. Still protokolliert sie die schleichende Entfremdung, klug arbeitet sie die perfide Paradoxie des Prinzips Ehrenmord heraus. In einer der stärksten Szenen etwa versucht eine respektierte türkische Restaurantbesitzerin den Vater zu überreden, den Bann der Tochter zurückzunehmen - und verweist dabei auf die Verantwortung für die beiden Söhne, die er doch durch einen befohlenen oder gutgeheißenen Ehrenmord ins Gefängnis schicken würde.
Doch die Tragödie nimmt ihren Lauf. Auf der Hochzeit der kleinen Schwester entlädt sich das Familiendrama melodramatisch: Umay stürmt das Riesenfest, barmt ins Mikro um ihr Recht auf Selbstbestimmung und buhlt doch ein letztes Mal um die Liebe ihrer Familie. Dann wird sie zur Hintertür eskortiert und zwischen die Mülleimer geschmissen. Für Hauptdarstellerin Sibel Kekilli ist "Die Fremde" die zweite große Rolle ihres Lebens. Nach dem Goldenen Bären für Fatih Akins deutsch-türkisches Punkrockmovie "Gegen die Wand" wurde die Laiendarstellerin als Entdeckung gefeiert, von der "Bild"-Zeitung als ehemalige Porno-Aktrice vorgeführt und von ihrer eigenen Familie verstoßen. Im Ausland spielte sie danach ein paar nette Rollen, im deutschen Filmbetrieb wirkte sie indes in den letzten Jahren immer traurig deplatziert; man ließ sie unpassende Rollen spielen, schützte sie kaum vor ihrer eigenen Verletzlichkeit. Zuletzt, wie unwürdig, ließ sie Dieter Wedel in "Gier" als Animierdame durch die feine Hamburger Gesellschaft charmieren.
Das Gefühl, nirgendwo zuhause zu sein, dürfte Sibel Kekilli also in vielfacher Hinsicht geläufig sein. Wie man sich nach dem Duft des brüderlichen Haares verzehren kann, wie man die Sehnsucht auf die verlorene Heimat ohne jede große Geste zur Aufführung bringen kann - das spielt diese große Fremde des deutschen Films wie keine zweite.
YouTube - Die Fremde - Trailer
Der Titel: Die Fremde
Die monströse Geschichte eines Ehrenmordplans, aus intimer Perspektive erzählt: In "Die Fremde" wird eine junge Türkin von der eigenen, eigentlich gut integrierten Familie für vogelfrei erklärt. Der bedingungslose Film bietet Sibel Kekilli die zweite große Rolle ihres Lebens.
Wie riecht Heimat? Für die junge Deutschtürkin Umay , die in Berlin aufwuchs, zwischendurch einige Jahre bei einem ungeliebten Mann in Istanbul lebte und nun mit ihrem kleinen Sohn bei der Familie in Kreuzberg untergeschlüpft ist, lässt sich die Frage leicht beantworten: Heimat riecht für sie wie die Haare ihres kleinen Bruders oder wie die Seife auf der Haut der Schwester.
So nah ist die Heldin in "Die Fremde" ihren Geschwistern - und doch kündigt sich in zwei der zärtlichsten Szenen des Films schon die fatale Entfremdung zu ihnen an. Einmal liegt Umay nachts mit ihrem jüngeren Bruder auf dem Bett, streicht ihm über den Kopf und erinnert ihn daran, dass sie ihm früher die Windeln wechseln musste - bald jedoch wird der Kleine die geliebte Große im Auftrag der Familie ausspionieren. Ein anderes Mal kuschelt sich die Filmheldin nachts an ihre jüngere Schwester, die sich in einen Jungen aus der deutsch-türkischen Community verliebt hat und heiraten will. Aufgeregt malt sich die Kleine aus, wie die Hochzeit aussehen wird und was die Große dazu beitragen wird. Dabei wird eben die zum größten Problem bei der Verwirklichung ihres Traumes: Denn Umay, die "ehrlos" getrennt von ihrem Mann lebt, steht einer traditionellen Eheschließung im Wege. Sie wird zum Makel der Familie, den es zu beseitigen gilt.
Kein Islamist weit und breit
"Die Fremde" erzählt die monströse Geschichte eines Ehrenmordvorhabens - das aber aus der denkbar intimsten Perspektive. Im Ausloten der psychosozialen Mechanik gibt sich Regisseurin Feo Aladag bedingungslos, auf die übliche Verschleierungsfolklore verzichtet sie. Ihre Geschichte berührt und funktioniert gerade deshalb, weil sie in der Welt junger Türken spielt, die man als "integriert" bezeichnet.
Kein Islamist weit und breit.
In der tragischen Unumkehrbarkeit, mit der die aufbegehrende junge Frau erst an den sozialen Rand ihrer Community gedrängt und schließlich zur Vogelfreien erklärt wird, erinnert "Die Fremde" an klassische Frauendramen: Effi Briest revisited. Besonders im Vater (brillant: Settar Tanriögen), der handelt wie es sein Umfeld von ihm verlangt und doch innerlich daran zerbricht, zeigen sich Parallelen zu Theodor Fontanes Bildungsroman. Die Familie, hier funktioniert sie nur so lange, bis der Druck von außen sie aufreibt.
Aber darf man das archaische Verbrechen des Ehrenmords wie einen Klassiker der deutschen Literaturgeschichte erzählen? Bei der Uraufführung auf der Berlinale letzten Monat wurde das Regie-Debüt von Feo Aladag kontrovers diskutiert, es wurde verdammt und gefeiert. Möglich, dass ein Teil der Aufregung auch aus dem Umstand resultiert, dass die Ungeheuerlichkeit der sich ankündigenden Tat hier mit einer gewissen Zwangsläufigkeit präsentiert wird, in der selbst die Täter zuweilen als Opfer erscheinen: Der Vater ist kein religiöser Eiferer, die kleine Schwester sucht nur ihr eigenes Glück, und selbst der ältere, fanatisierte Bruder wirkt am Ende am nur noch wie ein Vollstrecker mikro-gesellschaftlicher Zwänge.
Regisseurin Feo Aladag ist von Haus aus Schauspielerin. Vor ihrer ersten Regiearbeit "Die Fremde" hat sie allerdings schon bemerkenswerte Drehbücher verfasst, unter anderem 2003 für den WDR-"Tatort" "Mutterliebe", bei dem es um die pathologischen Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb einer Kölner Großbürgerfamilie geht und der Parallelen zu ihrem Migrantendrama aufweist. Regie führte damals ihr Ehemann Züli Aladag, der drei Jahre später den Debattenschocker "Wut" drehte, in dem eine deutsche Kleinfamilie von einem türkischen Gewaltverbrecher terrorisiert wird, bis die sich wehrt. Der Türke war hier quasi nur dazu da, um deutsche Mittelstandsneurosen zum Ausbruch zu bringen. Ein problematisches TV-Pamphlet, das sonderbarerweise mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.
Zwischen die Mülleimer geschmissen
Wo der türkischstämmige Züli Aladag ins beschädigte Seelenleben einer deutschen Familie hinabstieg, da arbeitet sich seine deutschstämmige Frau Feo Aladag nun für "Die Fremde" tief ins Berliner Migrantenmillieu vor. Still protokolliert sie die schleichende Entfremdung, klug arbeitet sie die perfide Paradoxie des Prinzips Ehrenmord heraus. In einer der stärksten Szenen etwa versucht eine respektierte türkische Restaurantbesitzerin den Vater zu überreden, den Bann der Tochter zurückzunehmen - und verweist dabei auf die Verantwortung für die beiden Söhne, die er doch durch einen befohlenen oder gutgeheißenen Ehrenmord ins Gefängnis schicken würde.
Doch die Tragödie nimmt ihren Lauf. Auf der Hochzeit der kleinen Schwester entlädt sich das Familiendrama melodramatisch: Umay stürmt das Riesenfest, barmt ins Mikro um ihr Recht auf Selbstbestimmung und buhlt doch ein letztes Mal um die Liebe ihrer Familie. Dann wird sie zur Hintertür eskortiert und zwischen die Mülleimer geschmissen. Für Hauptdarstellerin Sibel Kekilli ist "Die Fremde" die zweite große Rolle ihres Lebens. Nach dem Goldenen Bären für Fatih Akins deutsch-türkisches Punkrockmovie "Gegen die Wand" wurde die Laiendarstellerin als Entdeckung gefeiert, von der "Bild"-Zeitung als ehemalige Porno-Aktrice vorgeführt und von ihrer eigenen Familie verstoßen. Im Ausland spielte sie danach ein paar nette Rollen, im deutschen Filmbetrieb wirkte sie indes in den letzten Jahren immer traurig deplatziert; man ließ sie unpassende Rollen spielen, schützte sie kaum vor ihrer eigenen Verletzlichkeit. Zuletzt, wie unwürdig, ließ sie Dieter Wedel in "Gier" als Animierdame durch die feine Hamburger Gesellschaft charmieren.
Das Gefühl, nirgendwo zuhause zu sein, dürfte Sibel Kekilli also in vielfacher Hinsicht geläufig sein. Wie man sich nach dem Duft des brüderlichen Haares verzehren kann, wie man die Sehnsucht auf die verlorene Heimat ohne jede große Geste zur Aufführung bringen kann - das spielt diese große Fremde des deutschen Films wie keine zweite.
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