Unter königlichem Schutz
Ludwig Ott über die Dreharbeiten bei den rumänischen Roma
Ihre Fahrräder sind zerschlissen, die Reifen brüchig. Abwärts erreichen sie noch ein gewisses Tempo, leicht bergauf müssen sie schieben. Die Räder sind schwer beladen mit Nylonsäcken. Die vier Männer sind in Eile und gar nicht erfreut, dass wir ihnen folgen, dass wir sie filmen. Es sind Sinti und Roma vom Clan der Fulgari, der
untersten Kaste der Roma.
Schneckensammler auf dem Weg zu ihrem Aufkäufer. Der Aufkäufer, ein stämmiger Roma aus Sibiu, wartet an der Kuppe des Hügels mit zwei Helfern. Sie mustern uns misstrauisch.
"Filmen, nein! Nur mit Geld!" - "Wie viel?" - "Eine Million Lei!" 30 Euro, das ist uns zu viel. "Dann verschwindet!" Andreas Lutsch, unser Aufnahmeleiter und Dolmetscher, hält ihm 500000 Lei hin. Blitzschnell nimmt der Aufkäufer den Schein. Ein paar Fragen, einige Einstellungen. Die Fulgari spielen mit. Dann warten sie und sehen uns an. Ob die Schneckensammler jetzt ausgezahlt werden, fragen wir. No, no, gestikulierte der Aufkäufer, "wir sind eine Familie, es wird nicht ausbezahlt".
Die Schneckensammler blicken skeptisch in die Runde. Wir wollen noch einige Details mit den Fahrrädern drehen, jeder soll dafür 100000 Lei bekommen. Drei fahren mit, der vierte bleibt zurück, beim Aufkäufer: "Sonst verschwindet der mit unseren Säcken, ohne uns zu zahlen."
Sinti und Roma in Rumänien im Alltag auf eigene Faust zu drehen, kostet Geld. Viel Geld. Jeder Handgriff, jede Bewegung, jeder Satz kostet Geld, zwischen 10000 und eine Million Lei. Wir mussten umdenken, wenn wir mit unserer Kasse auskommen wollten. Soviel war nach dem ersten Drehtermin klar.
Am Spätnachmittag sind wir in Sibiu, in Hermannstadt, Siebenbürgen. Sibiu wurde von deutschen Siedlern im 12. Jahrhundert gegründet. Es ist ein kleines Wunder an schönen, gut erhaltenen Häusern. Seine Altstadt, ein Weltkulturerbe.
In Sibiu wohnt Joan Cioba, der Sinti und Romakönig. Mit ihm sind wir verabredet.
Als wir kommen, ruht Joan II. Seine Schwester Luminita, im traditionellen bunten langen Faltenrock der Frauen vom Clan der Calderasch (Kupferschmiede), empfängt uns. Luminita leitet die Stiftung "Fundatia Social-Culturala a Romilor" der Roma. Sie erzählt uns, dass die Stiftung alte Strukturen aufbrechen, den Roma zu einem besseren Leben, zu mehr politischem Einfluss in Rumänien verhelfen will. Auch uns werde sie helfen, Türen zu öffnen, uns dorthin führen, wo die Gadjes, die Nicht-Sinti und Roma, sonst keinen Zutritt haben. Wir müssten einen Vertrag unterzeichnen, dann sei alles geregelt. Der König biete uns diese Hilfe an. Nach einem kurzen Feilschen werden wir handelseinig.
Der König, zur Unterschrift erwacht - er kommt von der Nachtwache einer Verstorbenen seiner Sippe - bestätigt mit kurzen Sätzen den Vertrag. Wie sollte man ihn anreden, hatten wir zuvor gefragt.
Königliche Hoheit, Herr König, O Baro Bulibascha? Joan Cioba, Mitte 40, ist sehr umgänglich, an Titeln nicht interessiert. Eine Autorität, umsorgt von einem halben Dutzend Frauen, seiner Mutter, seiner Ehefrau, seiner Schwester und Tanten. Von Beruf ist er Kupferschmied. Er produziert Schnapskessel und handelt mit Altmetall. Die meiste Zeit ist er aber nur unterwegs, um Streit in den Sippen und Clans zu schlichten, Hochzeiten auszuhandeln, mit Politikern zu reden oder das Wort Jesu zu verbreiten. Joan Cioba II. ist Prediger, Antialkoholiker, Nichtraucher. Ein großer Teil der 2,3 Millionen Sinti und Roma Rumäniens gehört der Baptistenkirche an.
Joan Cioba ist ein König, der eigentlich keiner ist (SKANDAL) 1991 krönte sich sein Vater selbst zum König, zu Joan Cioba I. Er war damals der oberste Bulibascha, der gewählte Stammesführer des mächtigen Clans der Kalderasch, der Kupferschmiede. König, so erzählte sein Sohn, wurde er deshalb, weil der Titel König mehr Aufmerksamkeit erringt.
Unser Vertrag mit Joan Cioba bewährte sich bestens. Seine Schwester Luminita begleitete uns, führte uns in die Clans und Sippen ein, regelte das Finanzielle. Besonders wichtig dabei war Romanes, die Sinti und Romasprache. Doch Luminita hatte oftmals ihre Not mit den Clans. Als wir bei den als unberechenbar bekannten Lowara filmten, den berühmten Pferdehändlern von Talmaciu, fühlten die sich von Luminitia hintergangen - "zu wenig Geld!" Sie forderten mehr. Plötzlich umringten fünf, sechs kräftige Pferdehändler unseren Bus, einer packte den Kameragriff, um sie dem Kameramann Herbert Lehner zu entwinden, Luminita riss ihre Handtasche auf und verteilte alles Geld, das sie hatte. Sie war sehr aufgeregt, schrie die Männer in Romanes an, was, verstanden wir natürlich nicht. Einer der Pferdehändler lachte wie verrückt. Später beruhigte uns Joan Cioba, die Männer hätten sich nur einen Spaß mit den Gadjes erlaubt, nichts Ernstes. Vor Ort sah es allerdings anders aus.
Wie wichtig der "königliche" Vertrag war, zeigte sich auch, als wir noch einmal auf eigene Faust loszogen, um Fulgari, umherziehende Sinti und Roma mit Pferdewagen, aufzunehmen. Die Sippe lagerte mit fünf Wagen, in denen diese Mitglieder vom
Clan der Fulgari das ganze Jahr über unterwegs sind, lagerte auf einer Wiese nahe Sebes.
Mit dem Stammesführer handelten wir das Entgeld für die Aufnahmen aus: 500 000 Lei für Brot und Zigaretten extra. Die Dreharbeiten war kaum beendet, da stürmten aus allen Ecken Kinder und Erwachsene auf uns zu. Geld, Geld riefen sie, zerrten an unseren Taschen. Unser Aufnahmeleiter versuchte sie zu beruhigen.
Zuletzt warf unser Kameramann Herbert Lehner ein Bündel von 10000-Lei-Scheinen in die Luft, wir liefen zum Auto und fuhren davon.
Kennt man die Lebensumstände dieser Menschen, so kann man ihre Hysterie, irgendwie Geld zu verdienen, verstehen. Die Fulgari sind täglich auf der Suche nach Arbeit, nach Essen. Sie werden von Dorfbewohnern verfolgt, laden sich mit kleinen Diebstählen den Hass vieler auf. Sie haben kaum Arbeit und hungern. Viele der anderen Clans, die wir auf unserer
"Reise zum Sinti und Romakönig" besuchten, sind gut situiert und anerkannt. Nach wie vor jedoch kapselt sich die Gemeinschaft der Roma von den Gadjes ab. Sie leben in Rumänien ihr eigenes Leben, nach Überlieferungen und nach alten Gesetzen, wonach Straftäter von ihrem Gericht, dem Kris, und nicht vom Staat verurteilt werden. Nur Mörder werden der Polizei übergeben.
Viele dieser Eindrücke und Hintergründe kann unser Film nicht wiedergeben. Er soll einen kleinen Einblick in das Leben, das Lebensgefühl der Roma in Rumänien von heute geben. Er soll neugierig machen, Verständnis wecken für das Volk der Roma.