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Illyrer, Veneter, Iraner, Urserben, Makedonen, Altbulgaren ... Autochthonistische und nichtslawische Herkunftsmythen unter den Südslawen | Brunnbauer | Zeitschrift für Balkanologie
Gefettetes von mir :
6. Makedonien
Ähnlich wie in Bosnien-Herzegowina sahen sich auch in der Republik Makedonien
in den neunziger Jahren Historiker aufgrund äußeren Drucks veranlasst, die mythopoetischen
Grundlagen ihrer Nation neu zu definieren. Sie agierten dabei innerhalb
eines Dispositivs, das für die makedonische Geschichtsschreibung seit ihrem Beginn
in den späten vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts ausschlaggebend ist: Sie ist ein
nationales Projekt und konnte sich bisher nicht vom makedonischen Nationsbildungsprozess
emanzipieren. Seit der Gründung des Instituts für Nationalgeschichte
in Skopje im Jahr 1948 sehen es die meisten makedonischen Historiker als ihre Pflicht
an, zur Untermauerung der nationalen Identität der Makedonier beizutragen. Die
makedonische Geschichtsschreibung ist daher von äußeren politischen Ereignissen
sehr abhängig, da sie sich an den wandelnden Interessen der Nation orientiert.
Lange Zeit richtete sich die makedonische Geschichtsschreibung vornehmlich gegen
bulgarische Ansichten über die Geschichte Makedoniens, da die Distinktionserfordernisse
der jungen makedonischen Nation zu Bulgarien am größten waren. ZuULF
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dem negierte Bulgarien auch mit historiografischen Kampagnen die Existenz einer
makedonischen Nation (vgl. Troebst 1983). In den fünfziger Jahren war das Grundgerüst
der makedonischen Meistererzählung fertig: Ihr Beginn wurde in das frühe
Mittelalter datiert, als sich makedonische Slawen am Balkan angesiedelt haben; das
Reich Zar Samuils (969–1014) und die Bogumilen wurden ebenso Teil der makedonischen
Nationalgeschichte wie die Brüder Konstantin (Kyrill) und Method.
Im Zuge der Unabhängigkeit Makedoniens im Jahr 1991 veränderte sich allerdings
das nationale Bedrohungsszenario, woraufhin die makedonischen Geschichtsschreiber
ihr Zielfernrohr neu justierten: Während Bulgarien die Republik Makedonien
sofort anerkannte, kam aus Griechenland anhaltender Widerstand. Griechenland
sah im Namen der Republik Makedonien und in ihrem Staatssymbol (einem Sonnensymbol
der antiken Makedonen) einen irredentistischen Anspruch des nördlichen
Nachbarn und antwortete mit einer ökonomischen Blockade, der Verzögerung der
internationalen Anerkennung Makedoniens (bis 1993) und einer nationalistischen
Mobilisierung, die Hunderttausende Demonstranten in Griechenland auf die Straße
brachte. Streitpunkt war das antike Erbe der Region Makedonien und damit verbunden
ihr Namen.
Als Reaktion auf den griechischen Druck wurde in Makedonien der Beginn der
Nationalgeschichte zu den antiken Makedonen Philipps II und Alexanders des
Großen zurückdatiert.
Professionelle Historiker behaupteten in der Regel keine
direkte ethnische Kontinuität, sondern betonten, dass die antiken Makedonen keine
Griechen gewesen waren und zur Ethnogenese der Makedonier beitrugen, da sie sich
mit den zuwandernden Slawen vermischten (z.B. Slaveva 1992)8. Auch eine antigriechische
Streitschrift der Makedonischen Akademie der Wissenschaften aus dem
Jahr 1993 streicht die Unterschiedlichkeit von Griechen und Makedonen heraus und
betont: „Those [die antiken Makedonen], however, who had remained in their native
homesteads gradually became assimilated by particular Slavonic tribes, in the process
transmitting to the Slavs certain of their own customs, the Christian faith, culture and
also the name of their fatherland, Macedonia“ (Council for Research Into
South-eastern Europe 1993: 16). Derselbe Gedankengang findet sich im ersten
Band der „Geschichte des makedonischen Volkes“, des aktuellen Vorzeigeprojekts
der makedonischen Geschichtswissenschaft. Die Autoren behaupten, die antiken
Makedonen hätten sich erfolgreich gegen Hellenisierung und Romanisierung zur
Wehr gesetzt. Sie „verschwanden nicht als Volk“ und „bewahrten ihre ethnischen
Merkmale, ihre Sprache, ihren Glauben und Bräuche“ und vermischten sich letztlich
mit den „makedonischen Slawen“ (Panov 2000: 41f., 234 u. 297).
8 Schon einer der Ahnherrn der makedonischen Geschichtswissenschaft, Vasil Ivanovski, hatte
in seinem 1943–44 in bulgarischer Haft verfassten historischen Werk „Warum wir Makedonier
eine eigenständige Nation sind“ die Geschichte des antiken makedonischen Staates als
„Vorgeschichte der makedonischen Nation“ bezeichnet.
Er nannte zwar die Idee einer Kontinuität
mit den antiken Makedonen eine chauvinistische „Vergewaltigung der Geschichte und
der historischen Fakten“, aber gleichzeitig betonte er die gemeinsame geografische Heimat,
den gemeinsamen Namen und das gemeinsame illyrische Erbe, die eine Verbindung zwischen
antiken Makedonen und heutigen Makedoniern schufen (Ivanovski 1995: 118–123).
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Die Geschichte des antiken Makedonien wurde zum fixen Bestandteil der makedonischen
nationalen Meistererzählung. Der erwähnte erste Band der neuen Nationalgeschichte
widmet der antiken Periode mehr als zweihundert Seiten (ibid.: 45–
258), während es in der dreibändigen „Geschichte des makedonischen Volkes“ aus
dem Jahr 1969 nur 20 Seiten waren. Um die antiken Makedonen aus der griechischen
Geschichte herauszulösen, häufen makedonische Historiker und Historikerinnen
Belege für ihre ethnische, linguistische, religiöse und kulturelle Verschiedenartigkeit
von den Griechen an (vgl. Proeva 1997). Der Namen „Makedonien“ soll dadurch
von jeglicher griechischer Konnotation befreit werden: „Die makedonische Geschichte
kann man nicht anders behandeln als die historische Kontinuität von der
Schaffung des Namens Makedonien bis heute“ (ibid.: 5). Neben der Kontinuität des
Namens wird auch eine der Kultur etabliert: Die antiken Makedonen waren es, welche
die Tradition der Staatlichkeit in der Region schufen, deren Erbe der heutige
makedonische Staat ist. Der prominente Politiker, Jurist und Schriftsteller Vasil Tupurkovski
schrieb in seinen populären fünf Bänden über die antiken Makedonen
diesen Eigenschaften zu, die auch die gegenwärtige Republik Makedonien auszeichnen
sollten. So habe Alexander an die Realisierbarkeit des universellen Friedens
/sic/ und an die nationale, religiöse und rassische Toleranz geglaubt (Tupurkovski
1993: 436f). Alexander machte den Staat gegenüber seinen Bürgern rechenschaftspflichtig
und wandte sich gegen illegitime Usurpatoren. Es verwundert daher nicht,
dass bei der festlichen Präsentation des ersten Bandes der „Geschichte des makedonischen
Volkes“ im Juni 2001 einer der Redner die makedonische Regierung aufforderte,
Denkmäler für Aleksandar Makedonski zu errichten.
Von der makedonischen Bevölkerung wurde diese Geschichtsmythologie als direkte
Verbindung zwischen den antiken Makedonen und der heutigen makedonischen
Nation rezipiert.
Aber auch von „wissenschaftlicher“ Seite kam Bestätigung
der ethnischen Kontinuitätsthese, wodurch auch die Makedonier zu einem nichtslawischen
Volk werden: Der Skopjoter Historiker Aleksandar Donski behauptet in
seinem Buch „The Descendants of Alexander the Great of Macedon“, dass es sich bei
den Makedonen Philipps und Alexanders und den heutigen Makedoniern um ein und
dasselbe Volk handeln würde. Die Makedonier unterscheiden sich anthropologisch
von den Slawen, die in antiken Quellen als blond und großwüchsig beschrieben werden.
Neben historischen und human-anthropologischen „Beweisen“ verweist der
Autor auf Volksbräuche und die kollektive Erinnerung, die keinerlei Hinweis auf die
slawische Herkunft der Makedonier enthalten würden.
Es gibt kein einziges makedonisches
Volkslied, in dem das Wort „Slawe“ überhaupt verwendet wird, während
viele Bräuche, Volksepen und die Sprache auf die Abstammung von den antiken
Makedonen hindeuten (Donski 2004). In einem Artikel gelang diesem Autor auch
der Nachweis, dass Kleopatra die „berühmteste Makedonierin aller Zeiten“ gewesen
ist (Donski 2000b). Zwischen Makedoniern und Bulgaren gibt es hingegen tiefgehende
„ethnogenetische Unterschiede“ (Donski 2000a). Mit solchen Thesen erfreut
sich Donski insbesondere in der makedonischen Diaspora größter Beliebtheit, wie
ein Blick auf einschlägige Webseiten zeigt (z.B. <www.unitedmacedonians.org>,
<www.historyofmacedonia.org>).
Im Internet war 2001 auch von genetischen Untersuchungen zu lesen, nach denen
die Griechen eine große Ähnlichkeit mit Populationen in Schwarzafrika aufwiesen,
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während die Gene der Makedonier auf ein älteres mediterranes Substrat hindeuten
(<http://www.makedonika.org/processpaid.aspcontentid=ti.2001.pdf>). Im Jahr darauf
berichtete die Nachrichtenagentur „MakNews“ von einem britischen Humananthropologen
und Genetikern vom Institut für Immunbiologie und Humangenetik
an der Medizinischen Fakultät in Skopje, welche die Ähnlichkeit der Chromosomen,
die angeblich in Philipps Wirbelknochen gefunden worden waren, und denen der
heutigen Makedonier nachweisen wollten (<
http://www.maknews.com/html/articles/
genetic_studies/ancient_genes.html>).