Erdogan: „Die Griechen tun mir leid“
BILD-Interview Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan
BILD: Herr Ministerpräsident, die Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei stocken. Wie lange schaut sich die Türkei das noch an?
Tayyip Erdogan: Es stimmt, die Verhandlungen sind von einigen starken EU Mitgliedern aufs Eis gelegt worden. Die Türkei wird ungerecht behandelt. Seit ich Premierminister bin, hat die EU 12 Länder, sogar den griechischen Teil Zyperns, aufgenommen. Und seitdem Kanzlerin Merkel und der französische Staatspräsident Sarkozy regieren, werden wir nicht einmal mehr zu den EU-Gipfeln eingeladen, wo wir früher eingeladen wurden.
Teil1 des Interviews
Tayyip Erdogan Von Deutschland im Stich gelassen
BILD: Haben Sie sich von Kanzlerin Merkel mehr versprochen?
Erdogan: Wir haben sehr lange darauf gewartet, dass die Kanzlerin ihre Haltung zum türkischen Beitritt verändert. Aber nichts ist passiert. Trotzdem werden wir weiter verhandeln. Wir erfüllen die Beitritts-Bedingungen schon jetzt besser als manches Land, das heute Mitglied der EU ist.
BILD: Die EU kommt nicht aus der Krise, der Türkei dagegen geht es wirtschaftlich blendend. Wollen Sie überhaupt noch beitreten?
Erdogan: Der türkischen Wirtschaft geht es sehr gut, im April 2013 werden wir unsere Schulden beim Internationalen Währungsfonds abbezahlt haben. Aber wir könnten noch besser dastehen, wenn wir Mitglied der EU wären. Und es wäre auch gut für die EU, denn wir werden ja Europa nicht zur Last fallen, sondern die Lasten mittragen.
BILD: Frankreichs Staatspräsident Sarkozy sieht Deutschland als „Vorbild“ in der EU. Sehen Sie das auch so?
Erdogan: Ja, Deutschland ist ein Vorbild. Ihr Land ist sehr gut durch die Krise gekommen und steht viel besser da als Hoch-Schulden-Länder wie USA, Japan oder gar Italien. Wir sind froh, dass die türkische Wirtschaft so eng mit der deutschen verflochten ist.
BILD: Mit welchen Gefühlen verfolgt die Türkei den Niedergang des alten „Rivalen“ Griechenland?
Erdogan: Wir sehen die Misere Griechenlands mit Bedauern, weil die Griechen unsere Nachbarn und Freunde sind. Simitis, Karamanlis und Yorgo Papandreou sind alle meine Freunde. Feindschaft und Hass lassen nichts gewinnen.
Tayyip Erdogan
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BILD: Könnte die Türkei sich vorstellen, bei der Schuldenkrise von Euro-Staaten wie Griechenland mit eigenen Finanzmitteln zu helfen?
Erdogan: Wir werden nichts tun, was die türkische Stabilität in Gefahr bringt. Seit meinem Amtsantritt ist die türkische Verschuldung von 73 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung auf 45 Prozent gesunken. Wir gehen von unserer Finanzdisziplin nicht ab.
BILD: Wenn die Türkei heute schon EU-Mitglied wäre, würden Sie dem Euro beitreten?
Erdogan: Wir würden das prüfen und auf keinen Fall ausschließen. Die Türkei würde es nicht den Briten nachmachen und prinzipiell Nein sagen.
BILD: Trotzdem wird der Türkei nachgesagt, sie sei dabei, sich von Europa abzuwenden.
Erdogan: Keine Sorge, das ist nicht wahr. Die Türkei wendet sich nicht von Europa ab. Aber wenn Europa uns wegen einiger Länder weiter die kalte Schulter zeigt, müssen wir uns natürlich grundsätzliche Gedanken machen.
50 Jahre Gastarbeiter
BILD: Es fällt aber auf, wie sehr sich die Türkei derzeit dem „arabischen Frühling“ zuwendet, den neuen Demokratien in der Region.
Erdogan: Genauso wie alle Europäer, Deutsche, Engländer, Italiener und auch die Amerikaner sich dem arabischem Frühling zuwenden, schauen wir auch sehr aufmerksam darauf, was in diesen arabischen Ländern passiert. Warum fällt die Türkei auf? Wenn unsere Geschäftsleute von Lateinamerika, Asien bis Afrika in der ganzen Welt tätig sind, dann sollte es normal sein, wenn wir gerade jetzt enge Kontakte in den arabischen Raum pflegen. Das sind wichtige Märkte für die boomende türkische Wirtschaft. In der Bauwirtschaft sind wir international nach China schon die Nummer 2.
BILD: Unsere letzte Frage gilt Israel. Beim letzten Interview mit BILD, 2004, sagten Sie, Sie seien der Freund Israels. Gilt das noch immer?
Erdogan: Israel hat diese Freundschaft leider schwer beschädigt, zuletzt durch den Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte, bei dem neun türkische Staatsbürger von israelischen Soldaten getötet wurden. Das hätte ein handfester Kriegs-Grund zwischen der Türkei und Israel sein können, weil es auf internationalen Gewässern stattfand. Wir haben aber ruhig Blut bewahrt. Jetzt muss sich Israel für den Vorfall entschuldigen, den Hinterbliebenen Entschädigung zahlen und das Embargo gegen den Gaza-Streifen aufheben. Dann wird wieder Normalität eintreten, hoffe ich. Schauen Sie, durch unseren Mitwirkung haben wir erreicht, dass der
Israelische Soldat Gilat freigelassen wurde. Aber auch Israel muss seine Politik ändern.
Vor allem aber braucht es für einen echten Frieden im Nahen Osten einen Palästinenser-Staat genauso wie es ein Israel gibt. In die Unesco wurden die Palästinenser jetzt als Vollmitglied wie ein Staat aufgenommen. Da hoffte ich, dass Deutschland Ja sagt, aber es hat leider mit Nein gestimmt.
Erdogan: Ministerpräsident der Türkei über Euro-Krise und Griechenland-Krise - Politik Ausland - Bild.de