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Türkischer Präsident
Erdogans Spiel mit der Hagia Sophia
Stand: 10.06.2020 21:49 Uhr
Seit Tagen wird in der Türkei wieder über die Hagia Sophia gestritten. Präsident Erdogan lässt prüfen, ob das Museum wieder als Moschee genutzt werden kann - und provoziert damit Griechenland. Ein Ablenkungsmanöver?
Von Marion Sendker, ARD-Studio Istanbul
"Im Namen Allahs, des Barmherzigen", beginnt der islamische Vorbeter sein Gebet. Er kniet mitten in der Hagia Sophia, der ehemals prächtigsten christlichen Kathedrale der Welt, dann Moschee, heute Museum. Neben dem Muezzin hebt auf einem Großbildschirm der türkische Staatspräsident andächtig die Hände zum Gebet: Recep Tayyip Erdogan hat sich per Videokonferenz zuschalten lassen.
Das war am 29. Mai, dem Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen. Das Gebet führte beim orthodoxen Nachbarn Griechenland zu Protesten - wie immer, wenn es um die Hagia Sophia geht. Doch Erdogan setzte ein paar Tage später noch einen drauf: Er gab den Auftrag, einen Plan für die Hagia Sophia zu erarbeiten. Diese könne schließlich auch von Touristen besucht werden und Moschee sein.
Auf den Protest aus Griechenland reagierte Erdogan betont trotzig: "In Süd-Zypern wurden zwei Moscheen angegriffen. Sie haben Molotow-Cocktails geworfen und griechische Fahnen gehisst. Und jetzt sagen sie, wir sollen uns ja hüten und nicht mit dem Gedanken spielen, die Hagia Sophia zur Moschee zu machen. Wie bitte? Regiert Ihr etwa die Türkei?"
Auf den Protest aus Griechenland reagierte Erdogan betont trotzig.
Erdogan unter Druck
Nein, die Türkei wird offiziell von Erdogan regiert. Und der steht immer mehr unter Druck. Zwar ist er laut vielen Umfragen noch der beliebteste Politiker im Land, seine Werte verschlechtern sich aber. Das liegt einmal daran, dass die Corona-Pandemie die ohnehin angeschlagene Wirtschaft immer weiter zu Boden zieht. Hinzu kommt, dass Erdogans AKP zusehends zerfällt und ihr neu-gegründete Parteien Konkurrenz machen.
Um davon abzulenken und um die Wählerklientel wieder zu einen, spiele Erdogan jetzt die Hagia-Sophia-Karte, warf ihm die Vorsitzende der oppositionellen Iyi-Partei, Meral Aksener, vor: "Hört auf, wichtige Angelegenheiten dieses Landes zu missbrauchen, um von euren Krisen abzulenken. Die moralischen Werte unseres Volkes sind nicht euer Spielzeug", sagte er.
Vor der aufgewärmten Hagia-Sophia-Debatte lenkte die Regierung mit einem anderen Thema ab: Wochenlang wurde lautstark über angebliche politische Putschversuche der Opposition spekuliert. Auch wenn das Thema wieder von der Tagesordnung verschwunden ist, verhält sich die Regierung gerade besonders provokant: In der Türkei werden seit einigen Wochen auffällig viele Menschen verhaftet, mehr als sonst, vor allem Politiker, Journalisten und Militärs.
Für besonders viel Ärger sorgte die Ingewahrsamnahme von drei Anhängern der Opposition am vergangenen Wochenende. Der frühere Außenminister und Ex-Erdogan Vertraute Ahmet Davutoglu, der jetzt mit einer eigenen Partei in Opposition zu Erdogan gegangen ist, sagt: "Das zeigt, dass diese Regierung nicht mehr fähig ist, Politik zu machen oder gar irgendetwas Produktives für das Land zu unternehmen."
"Wir sind die Diskussion leid
Ein Versuch, um da wieder herauszukommen, sei laut Davutoglu der künstlich entfachte Streit um die Hagia Sophia. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen, denn die Regierung hat diese Karte schon sehr oft gespielt, betont Aksener: "Es ist bekannt, dass die Hagia Sophia von diesen Kameraden seit 18 Jahren immer dann instrumentalisiert wird, wenn sie in einer Sackgasse stecken. Wir sind die Diskussion mittlerweile leid, sie sind es aber nicht. Wir fragen uns, ob sie ihren Vorschlag überhaupt ernst meinen".
Quasi als Glaubwürdigkeits-Test legte die Iyi-Partei dem Parlament kürzlich einen Vorschlag vor, die Hagia Sophia wieder als Moschee zu eröffnen. Der Vorschlag wurde abgelehnt - vor allem durch Stimmen von Erdogans AKP. Die ließ verlauten, das höchste Verwaltungsgericht solle Anfang Juli über die Zukunft der Hagia Sophia entscheiden. Sollte sie dann wieder zur Moschee werden, würde die Regierung damit nicht zuletzt einen ihrer liebsten Joker für Ablenkung und Stimmungsmache verlieren.
So gesehen hat die Regierung kein Interesse daran, dass sich am Status der Hagia Sophia irgendetwas ändert. Es dürfte also alles bleiben, wie es ist.
Erdogan
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