Frankreich: Der »neue Antisemitismus« [...]
Die Gewaltwelle in den Jahren 2000 und 2002: Migrantenjugendliche als Täter?
Seit Anfang dieses Jahrzehnts ist eine allgemeine Welle von Beschimpfungen und Gewalttaten gegen französische Juden zu verzeichnen. Jedoch wurden diese Straf- und Gewalttaten größtenteils nicht von Anhängern der extremen Rechten begangen. Vor allem im Herbst 2000, kurz nach Ausbruch des jüngsten Nahostkonflikts, sowie im März und April 2002, nach Beginn der Kämpfe um Dschenin, war eine massive Zunahme von antisemitisch motivierten Delikten zu verzeichnen. Die schlimmsten Erinnerungen wurden vor allem im Frühjahr 2002 wachgerüttelt. In Marseille brannte eine Synagoge weitgehend aus. Nahezu zeitgleich wurde die Vorderwand eines jüdischen Gebetshauses in La Duchère, einem »sozialen Problemviertel«, bei Lyon mit Hilfe eines so genannten Rammbock-Autos eingedrückt. 14 jüdische Jugendliche des Fußballclubs Maccabée in Bondy, einer Trabantenstadt in der nördlichen Pariser Banlieue, wurden durch eine größere Bande angegriffen und mit Schlägen malträtiert. Diese Attacken bildeten nur die Spitze des Eisbergs. Zwischen dem 29. März und dem 17. April 2002 wurden insgesamt 395 Straftaten gegen jüdische Menschen und Einrichtungen festgestellt. Das Profil der Täter lässt sich für die Gewaltwelle von 2000 bis 2002 in zwei Gruppen einteilen. Die größere Gruppe der gefassten Urheber von Gewalt- oder Straftaten gegen jüdische Menschen sind junge Männer oder Jugendliche aus der arabischstämmigen Einwanderergruppe. Sie agieren mitunter in losen Kleingruppen, die sich in »sozialen Brennpunkten« bewegen, beispielsweise in den Banlieues, in die die Gesellschaft ihre Armen und Probleme abschiebt. Ein kleinerer Teil dagegen sind Antisemiten aus dem Umfeld der extremen Rechten. Einem Bericht der Renseignements Généraux (eine Art Verfassungsschutz) vom Herbst 2000 zufolge, versuchen manche rechtsextreme Aktivisten, in den Banlieues Kontakt zu jungen Kindern arabischer Migranten herzustellen, um ihnen »Gemeinsamkeit im Judenhass« zu predigen. Laut dem zitierten Bericht haben sie damit jedoch selten Erfolg und werden in der Regel von den Migrantenkindern verjagt. Die Gewalttaten von 2000 bis 2002 konzentrierten sich auf jene Zonen, in denen entweder jüdische Communities in sozialen Unterschichtvierteln verwurzelt sind oder aber dort, wo gemischte Wohngebiete mit jüdischem Bevölkerungsanteil unmittelbar dicht an marode Hochhaussiedlungen angrenzen. Eine Zeit lang verbargen damals viele Juden ihre Zugehörigkeit zur Community, indem sie etwa die Kippa durch eine »unverfänglichere« Kopfbedeckung, wie Basecaps, austauschten. Diese Phase ist jedoch inzwischen vorüber.