Samstag 23. Juni 2018 17:30
Keine Angst vor dem Adler
Ein grandioser Fussballsieg wird von einer gehässigen Debatte überschattet. Man kann die Adler-Geste von Xhaka und Shaqiri ablehnen, aber eine nationalistische Provokation ist sie nicht.
Gram statt Freude. Drama statt Jubel. Zwei Fussballer der Schweizer Nationalmannschaft machen den sogenannten albanischen Adler bei einem wichtigen WM-Fussballspiel, und über ihren Köpfen wird drohend der Zeigefinger der Nation erhoben. Eine Dummheit sei diese Geste, unnötig, überflüssig, ein WM-Eklat, eine nationalistische Provokation der serbischen Fans, ja der ganzen serbischen Nation - und obendrein vielleicht eine Kriegserklärung. «So nicht, Buebe», ruft ihnen die versammelte Union der Bedenkenträger entgegen. Damit wird ein grandioser Fussballsieg der Schweiz von einer gehässigen und sehr oberflächlichen Debatte überschattet.
Man kann die Adler-Geste mit gutem Grund ablehnen, aber eine nationalistische Provokation gegen «die Serben» ist sie nicht. Das Wappentier schmückt die albanische Nationalflagge, die auch vor der Botschaft Albaniens in Belgrad weht. Die Geste der Fussballer symbolisiert das Zusammengehörigkeitsgefühl der Albaner, es ist ein Gruss an die alte Heimat (der Eltern und Grosseltern), sie steht aber nicht für ein konkretes politisches Programm aus der finsteren Balkan-Blut-und-Boden-Ideologie.
Auch das Spiel Serbiens gegen Costa Rica wurde in den serbischen Medien als Schlacht hochstilisiert.
Diese eigentlich harmlose Fingergymnastik gilt als Provokation, weil serbische Boulevardmedien sie so bezeichnen – und viele helvetische Medien die Propaganda kritiklos übernehmen. In den vergangenen Tagen wurden die albanischstämmigen Fussballer der Schweiz konsequent als «Šiptari» bezeichnet, ein pejorativer Ausdruck zur Beschreibung von Albanern. Es handle sich um «falsche Schweizer», die gegen Serbien spielten, behauptete ein Blatt. «Wir wissen nicht, ob wir gegen die Nationalmannschaft der Schweiz, von Albanien oder von Pristina spielen», meinte der serbische Aussenminister, als ehemaliger Sprecher des Gewaltherrschers Slobodan Milosevic ein Grossmeister der Brüskierung.
Im vollen Kaliningrad-Stadion wurden die Spieler mit Migrationshintergrund von serbischen und russischen Fans ausgepfiffen. Auch das Spiel Serbiens gegen Costa Rica wurde in den serbischen Medien als Schlacht hochstilisiert. Der Grund? Costa Rica war das erste Land, das die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt hat.
Dass heute Xhaka, Shaqiri und Co. für die Schweiz spielen, ist auch eine Folge der serbischen Repressionspolitik.
In den sozialen Medien liessen viele Selbstdarsteller ihrem Rassismus freien Lauf. Die Albaner, diese «Limonadenverkäufer», «Holzsäger» und «Brotbäcker», hätten keine Chance gegen die ruhmreiche und sportbegeisterte serbische Nation, so der Tenor. Das Bild des Albaners, der sich mit weniger prestigeträchtigen Billigjobs zufriedengeben muss, wird immer noch gepflegt.
Der kluge serbische Autor Bora Cosic hat seinen Landsleuten schon vor längerer Zeit geraten, sich von dieser Vorstellung zu verabschieden. Dass heute Xhaka, Shaqiri und Co. für die Schweiz spielen, ist auch eine Folge der serbischen Repressionspolitik. Ihre Familien verliessen die Heimat aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen. Xhakas Vater war ein politischer Gefangener, Valon Behramis Vater verlor den Job als Verkaufsleiter wegen seiner «falschen» Ethnie. Solche Erfahrungen prägen auch die Kinder. Besonnene Belgrader Journalisten haben am Samstag appelliert, auch diese biografische Episode der Spieler zu berücksichtigen.
Man kann den serbischen Trainer loben, der die Jubel-Szenen nicht einmal kommentieren wollte.
Den richtigen Ton in der emotionsgeladenen Diskussion traf Stephan Lichtsteiner, der selber die Hände zum Doppeladler faltete. Der Nati-Captain sagte: «Ich glaube nicht, dass die Schweizer ein Problem damit haben, wenn man so jubelt. Weil wir ja wissen, dass sie Doppelbürger sind. Ich glaube, sie hatten einen extremen Druck. Es war wichtig, dass wir ihnen geholfen haben und sie uns geholfen haben. Es gehört ein bisschen dazu, mit dieser politischen Geschichte. Im Vorfeld gab es sehr viele Provokationen. Für uns Schweizer war es schon schwer, und für die Doppelbürger war es noch viel schwerer. Ich habe auch als Captain kein Problem damit. Im Gegenteil. Ich habe viel mit ihren Vätern über das Thema geredet. Es ist ein extremer Druck, ein extremer Kampf. Da sind sehr viele Emotionen dabei, und ich finde es auch richtig, dass man das ausgiebig feiert.»
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Samstag 23. Juni 2018 17:30
Keine Angst vor dem Adler
Ein grandioser Fussballsieg wird von einer gehässigen Debatte überschattet. Man kann die Adler-Geste von Xhaka und Shaqiri ablehnen, aber eine nationalistische Provokation ist sie nicht.
Xhakas Traumtor - und die Doppeladlergeste. (Video: SRF/Tamedia)
Enver Robelli
Enver Robelli
@enver_robelli
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Gram statt Freude. Drama statt Jubel. Zwei Fussballer der Schweizer Nationalmannschaft machen den sogenannten albanischen Adler bei einem wichtigen WM-Fussballspiel, und über ihren Köpfen wird drohend der Zeigefinger der Nation erhoben. Eine Dummheit sei diese Geste, unnötig, überflüssig, ein WM-Eklat, eine nationalistische Provokation der serbischen Fans, ja der ganzen serbischen Nation - und obendrein vielleicht eine Kriegserklärung. «So nicht, Buebe», ruft ihnen die versammelte Union der Bedenkenträger entgegen. Damit wird ein grandioser Fussballsieg der Schweiz von einer gehässigen und sehr oberflächlichen Debatte überschattet.
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Man kann die Adler-Geste mit gutem Grund ablehnen, aber eine nationalistische Provokation gegen «die Serben» ist sie nicht. Das Wappentier schmückt die albanische Nationalflagge, die auch vor der Botschaft Albaniens in Belgrad weht. Die Geste der Fussballer symbolisiert das Zusammengehörigkeitsgefühl der Albaner, es ist ein Gruss an die alte Heimat (der Eltern und Grosseltern), sie steht aber nicht für ein konkretes politisches Programm aus der finsteren Balkan-Blut-und-Boden-Ideologie.
Auch das Spiel Serbiens gegen Costa Rica wurde in den serbischen Medien als Schlacht hochstilisiert.
Diese eigentlich harmlose Fingergymnastik gilt als Provokation, weil serbische Boulevardmedien sie so bezeichnen – und viele helvetische Medien die Propaganda kritiklos übernehmen. In den vergangenen Tagen wurden die albanischstämmigen Fussballer der Schweiz konsequent als «Šiptari» bezeichnet, ein pejorativer Ausdruck zur Beschreibung von Albanern. Es handle sich um «falsche Schweizer», die gegen Serbien spielten, behauptete ein Blatt. «Wir wissen nicht, ob wir gegen die Nationalmannschaft der Schweiz, von Albanien oder von Pristina spielen», meinte der serbische Aussenminister, als ehemaliger Sprecher des Gewaltherrschers Slobodan Milosevic ein Grossmeister der Brüskierung.
Im vollen Kaliningrad-Stadion wurden die Spieler mit Migrationshintergrund von serbischen und russischen Fans ausgepfiffen. Auch das Spiel Serbiens gegen Costa Rica wurde in den serbischen Medien als Schlacht hochstilisiert. Der Grund? Costa Rica war das erste Land, das die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt hat.
Dass heute Xhaka, Shaqiri und Co. für die Schweiz spielen, ist auch eine Folge der serbischen Repressionspolitik.
In den sozialen Medien liessen viele Selbstdarsteller ihrem Rassismus freien Lauf. Die Albaner, diese «Limonadenverkäufer», «Holzsäger» und «Brotbäcker», hätten keine Chance gegen die ruhmreiche und sportbegeisterte serbische Nation, so der Tenor. Das Bild des Albaners, der sich mit weniger prestigeträchtigen Billigjobs zufriedengeben muss, wird immer noch gepflegt.
Der kluge serbische Autor Bora Cosic hat seinen Landsleuten schon vor längerer Zeit geraten, sich von dieser Vorstellung zu verabschieden. Dass heute Xhaka, Shaqiri und Co. für die Schweiz spielen, ist auch eine Folge der serbischen Repressionspolitik. Ihre Familien verliessen die Heimat aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen. Xhakas Vater war ein politischer Gefangener, Valon Behramis Vater verlor den Job als Verkaufsleiter wegen seiner «falschen» Ethnie. Solche Erfahrungen prägen auch die Kinder. Besonnene Belgrader Journalisten haben am Samstag appelliert, auch diese biografische Episode der Spieler zu berücksichtigen.
Man kann den serbischen Trainer loben, der die Jubel-Szenen nicht einmal kommentieren wollte.
Den richtigen Ton in der emotionsgeladenen Diskussion traf Stephan Lichtsteiner, der selber die Hände zum Doppeladler faltete. Der Nati-Captain sagte: «Ich glaube nicht, dass die Schweizer ein Problem damit haben, wenn man so jubelt. Weil wir ja wissen, dass sie Doppelbürger sind. Ich glaube, sie hatten einen extremen Druck. Es war wichtig, dass wir ihnen geholfen haben und sie uns geholfen haben. Es gehört ein bisschen dazu, mit dieser politischen Geschichte. Im Vorfeld gab es sehr viele Provokationen. Für uns Schweizer war es schon schwer, und für die Doppelbürger war es noch viel schwerer. Ich habe auch als Captain kein Problem damit. Im Gegenteil. Ich habe viel mit ihren Vätern über das Thema geredet. Es ist ein extremer Druck, ein extremer Kampf. Da sind sehr viele Emotionen dabei, und ich finde es auch richtig, dass man das ausgiebig feiert.»
Video: Shaqiri trifft zum 2:1
In der 90. Minute gelingt der Siegtreffer.
Man kann die ganze Aufregung auch mit Humor quittieren. War die Doppeladler-Geste nicht eine versteckte Werbung für die Vogelwarte Sempach? Oder man kann den serbischen Trainer loben, der die Jubel-Szenen nicht einmal kommentieren wollte. Mladen Krstajic sagte, er sei ein Mann des Sports, es sei Sache der Spieler, wie sie ihren Sieg zelebrierten.
Trotzdem wäre es besser, wenn Xhaka und Shaqiri auf die Doppeladler-Geste verzichten.
Vor der Partie in Kaliningrad wurde auch von albanischer Seite gehetzt und provoziert, als spiele Kosovo gegen Serbien, als sei es ein Verdienst des korrupten und fast gescheiterten kosovarischen Staates, dass Xhaka, Behrami und Shaqiri zu Fussballstars geworden sind. Sie werden jetzt von Politikern in Pristina und Tirana vereinnahmt als «Helden der Nation». Sie dürfen bei diesem Schmutzspiel nicht mitmachen. Der albanische Nationalismus ist nicht besser als andere Nationalismen auf dem Balkan.
Der Druck auf die Fussballer beider Mannschaften war enorm. Sie haben diesen Test bestanden. Die Freude in den Schweizer Städten war entsprechend gross. Und die serbische Flagge – auch sie enthält einen Doppeladler – störte offensichtlich weder Albaner noch Schweizer.
Im albanisch dominierten Kosovo übrigens weht diese Fahne in jedem serbischen Kaff, und niemand verliert deswegen die Nerven. Trotzdem wäre es besser, wenn Xhaka und Shaqiri auf die Doppeladler-Geste verzichten, solange der Kosovo-Konflikt noch nicht endgültig gelöst ist, und solange die Eliten in Belgrad und in Pristina mit dem Feuer spielen – gleichzeitig aber gemeinsame Geschäfte machen.