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Grasdackel
Guest
Gefangene des Blutes
Auge um Auge, Zahn um Zahn in Albanien
In Albanien leben schätzungsweise 45.000 Menschen unter Hausarrest - freiwillig, denn sie fürchten um ihr Leben. Im Norden des Landes sind tausende Menschen von Blutrache bedroht. Dort herrscht der Kanun, ein 500 Jahre alter Ehrenkodex. Dieser besagt, dass der Mord an einem Familienmitglied nur durch die Tötung eines männlichen Familienmitgliedes des Mörders gerächt werden kann. Staat und Justiz sind weitgehend machtlos.
Sokol Molloc hat Angst. Seit sein Bruder vor zehn Jahren einen Mord beging, hat er sein Grundstück nicht mehr verlassen. Nur noch selten wagt er sich aus dem Haus, denn überall könnten die Rächer auf ihn warten. Auch sein Sohn Eduard, noch ein Kind, steht auf der Abschussliste der Mörder. Beide sind Opfer der Blutrache, einer Tradition, die in Albanien seit Ende des Kommunismus wieder auflebt.
Alte Traditionen in den Bergdörfern
Während der Süden Albaniens versucht, mit Kultur und malerischen Stränden Touristen anzulocken, ist der Norden teilweise noch rückständig. Besonders in den Bergdörfern rund um die Stadt Shkoder sind die uralten Traditionen des Kanuns anerkannt. Hier gilt nicht der Rechtsstaat, sondern ein Regelwerk, das erschaffen wurde, um das Zusammenleben der albanischen Clangesellschaft des Mittelalters zu ordnen.
Für die Blutrache rüsten sich die Familien mit Gewehren aus.
Nach dem Kanun "muss Blut durch Blut gerächt werden". Im Klartext: Wird ein Familienmitglied ermordet, so liegt es in der Pflicht der männlichen Familienmitglieder, die Ehre der Familie wieder herzustellen - und ein männliches Familienmitglied des Mörders zu töten. Waren sie erfolgreich, werden sie ihrerseits zu Gejagten, denn nun ist es wiederum an der Familie des Getöteten, sich zu rächen. Es entsteht ein Teufelskreis, aus dem es kaum einen Ausweg gibt.
Männer als Zielscheibe
Die Racheakte treffen fast ausschließlich Männer; Frauen werden verschont. "Auch ein zwei Wochen altes Baby kann nach dem Kanun getötet werden" sagt ein Albaner. Aus diesem Grund kommt es vor, dass ganze Generationen männlicher Familienmitglieder ausgelöscht werden. Die, die dem Tod bisher entkommen konnten, verlassen ihr Haus kaum und leben in Isolation. Arbeiten können sie nicht. Sind die Ersparnisse erst einmal aufgebraucht, liegt es bei den Frauen, ihre Familien zu versorgen.
Den albanischen Behörden gelingt es derweil nicht, den Taten ein Ende zu setzten. Sie sind zu schwach, zu unorganisiert, um die Fälle aufzuklären. Kaum ein Albaner hat Vertrauen in die Polizei. Darum beschließen viele, zur Selbstjustiz zu greifen. "Wir warteten vergeblich darauf, dass die Polizei die Schuldigen verhaftete. Schließlich haben wir beschlossen, das Recht in unsere eigenen Hände zu nehmen" sagt ein Mann, dessen Sohn bei seiner Hochzeit sterben musste.
Weil die Männer im Haus bleiben, müssen die Frauen die Familie alleine ernähren.
Vera Molla ist Sokol Mollocs Frau. Dennoch hofft sie, dass die Rächer ihren Mann töten, bevor ihr Sohn ihnen zum Opfer fällt. Obwohl ihre Familie unter der Blutrache leidet, werden auch sie mit der Tradition nicht brechen. "Der Bluträcher wird uns niemals vergeben. Und wenn sie einen von uns töten, würden wir ihnen auch nicht vergeben. Bis zum bittereren Ende nicht" sagt Molloc. Und so werden wohl auch in Zukunft tausende Männer in ihren Häusern verharren und darauf hoffen, ihrem Schicksal zu entgehen. Sie sind Gefangene des Blutes.
Auge um Auge, Zahn um Zahn in Albanien
In Albanien leben schätzungsweise 45.000 Menschen unter Hausarrest - freiwillig, denn sie fürchten um ihr Leben. Im Norden des Landes sind tausende Menschen von Blutrache bedroht. Dort herrscht der Kanun, ein 500 Jahre alter Ehrenkodex. Dieser besagt, dass der Mord an einem Familienmitglied nur durch die Tötung eines männlichen Familienmitgliedes des Mörders gerächt werden kann. Staat und Justiz sind weitgehend machtlos.
Sokol Molloc hat Angst. Seit sein Bruder vor zehn Jahren einen Mord beging, hat er sein Grundstück nicht mehr verlassen. Nur noch selten wagt er sich aus dem Haus, denn überall könnten die Rächer auf ihn warten. Auch sein Sohn Eduard, noch ein Kind, steht auf der Abschussliste der Mörder. Beide sind Opfer der Blutrache, einer Tradition, die in Albanien seit Ende des Kommunismus wieder auflebt.
Alte Traditionen in den Bergdörfern
Während der Süden Albaniens versucht, mit Kultur und malerischen Stränden Touristen anzulocken, ist der Norden teilweise noch rückständig. Besonders in den Bergdörfern rund um die Stadt Shkoder sind die uralten Traditionen des Kanuns anerkannt. Hier gilt nicht der Rechtsstaat, sondern ein Regelwerk, das erschaffen wurde, um das Zusammenleben der albanischen Clangesellschaft des Mittelalters zu ordnen.
Für die Blutrache rüsten sich die Familien mit Gewehren aus.
Nach dem Kanun "muss Blut durch Blut gerächt werden". Im Klartext: Wird ein Familienmitglied ermordet, so liegt es in der Pflicht der männlichen Familienmitglieder, die Ehre der Familie wieder herzustellen - und ein männliches Familienmitglied des Mörders zu töten. Waren sie erfolgreich, werden sie ihrerseits zu Gejagten, denn nun ist es wiederum an der Familie des Getöteten, sich zu rächen. Es entsteht ein Teufelskreis, aus dem es kaum einen Ausweg gibt.
Männer als Zielscheibe
Die Racheakte treffen fast ausschließlich Männer; Frauen werden verschont. "Auch ein zwei Wochen altes Baby kann nach dem Kanun getötet werden" sagt ein Albaner. Aus diesem Grund kommt es vor, dass ganze Generationen männlicher Familienmitglieder ausgelöscht werden. Die, die dem Tod bisher entkommen konnten, verlassen ihr Haus kaum und leben in Isolation. Arbeiten können sie nicht. Sind die Ersparnisse erst einmal aufgebraucht, liegt es bei den Frauen, ihre Familien zu versorgen.
Den albanischen Behörden gelingt es derweil nicht, den Taten ein Ende zu setzten. Sie sind zu schwach, zu unorganisiert, um die Fälle aufzuklären. Kaum ein Albaner hat Vertrauen in die Polizei. Darum beschließen viele, zur Selbstjustiz zu greifen. "Wir warteten vergeblich darauf, dass die Polizei die Schuldigen verhaftete. Schließlich haben wir beschlossen, das Recht in unsere eigenen Hände zu nehmen" sagt ein Mann, dessen Sohn bei seiner Hochzeit sterben musste.
Weil die Männer im Haus bleiben, müssen die Frauen die Familie alleine ernähren.
Vera Molla ist Sokol Mollocs Frau. Dennoch hofft sie, dass die Rächer ihren Mann töten, bevor ihr Sohn ihnen zum Opfer fällt. Obwohl ihre Familie unter der Blutrache leidet, werden auch sie mit der Tradition nicht brechen. "Der Bluträcher wird uns niemals vergeben. Und wenn sie einen von uns töten, würden wir ihnen auch nicht vergeben. Bis zum bittereren Ende nicht" sagt Molloc. Und so werden wohl auch in Zukunft tausende Männer in ihren Häusern verharren und darauf hoffen, ihrem Schicksal zu entgehen. Sie sind Gefangene des Blutes.