Geopolitisches Tamtam
In seinem Buch „Goldgrund Eurasien“ erklärt der Putin-Versteher Dimitrios Kisoudis die neue Weltlage – einseitig, aber alles andere als dumm.
06.03.2015, von MARKUS GÜNTHER
Ein Jammer, dass Hans-Ulrich Wehler nicht mehr lebt. Der würde hier zur Hochform auflaufen und dem Autor gleich mal erklären, dass er mit seinem „Mittellagen-Palaver“ schwer auf dem Holzweg ist. Und wenn dann noch Habermas dazu käme, würde auch ihm der Kragen platzen, und er könnte endlich mal wieder über das „geopolitische Tamtam“ - wunderbare Formulierung, immer noch! - schimpfen. Da wäre richtig was los! Aber würde das Dimitrios Kisoudis überhaupt beeindrucken? Kann er noch etwas anfangen mit den Debatten der alten Bundesrepublik?
Dreißig Jahre ist das alles her, der Historikerstreit und das geopolitische Tamtam, das Ringen um die deutsche Geschichte und Deutschlands Platz in der Welt. Kisoudis spielte da noch im Sandkasten. Wahrscheinlich geht der Dreiunddreißigjährige deshalb so unverkrampft zu Werke bei seinem Versuch, die neue Weltlage zu deuten und Deutschlands Chancen und Risiken in der völlig aus den Fugen geratenen Ordnung neu zu bestimmen. Von der Gnade der ganz späten Geburt beflügelt und dank griechischer Vorfahren völlig unbelastet von den starren Denkmustern der deutschen Nachkriegsgeneration, spielt er befreit auf und legt mit „Goldgrund Eurasien. Der neue Kalte Krieg und das Dritte Rom“ eine energiegeladene politische Streitschrift vor.
Neue Gegengewichte bilden
Schon der Titel wirft viele Fragen auf. Was ist das Dritte Rom? Wieso Goldgrund? Und wo, bitte, geht’s nach Eurasien? „Der neue Kalte Krieg“, schreibt Kisoudis, „ist ein Krieg zwischen autoritärem Liberalismus im Osten und postmodernem Geldsozialismus (im Westen).“ Deutschland findet sich, so gesehen, noch einmal in einer prekären Mittellage wieder und muss sich entscheiden, nur unter veränderten Vorzeichen: Die Vereinigten Staaten pfeifen wirtschaftlich und ideell aus dem letzten Loch; zukunftsfähig und vielversprechend ist dagegen die neue Ordnung, wie sie sich in Russland und, unter anderen Bedingungen, auch in China allmählich entwickelt.
Als Souffleure auf dieser gedanklichen Bühne kann man von weit hinten Carl Schmitt bisweilen laut und deutlich hören, aber auch, vorn am Bühnenrand, den russischen Radikalphilosophen und Putin-Einflüsterer Alexander Dugin. Er gilt als Chefideologe einer neuen eurasischen Bewegung, welche die natürliche, eben geographische Zusammengehörigkeit von Europa und Asien einschließlich der südlichen Ränder im nahen, mittleren und fernen Osten betont und diese Kräfte zu einem Gegengewicht gegen die amerikanische Hegemonie bündeln will.
Das überzeugt Kisoudis schon deshalb, weil ihn auch Putins Neurussland trotz der „cäsaristischen Anklänge“, die er unumwunden und treffend konstatiert, rundum überzeugt. Die Aggression, auch in der Ukraine, sieht er nicht auf Seiten Putins, sondern bei den Amerikanern, deren gesamte politische Kultur er auf Machtstreben und Finanzinteressen reduziert. Das alles ist sehr einseitig, das ist wahr, aber dumm ist es nicht. Im Gegenteil, es ist beeindruckend, wie Kisoudis bei aller polemischen Zuspitzung doch nüchtern zu analysieren versteht, wie er Putin deutet und dabei die biographischen Schlüsselerlebnisse mit der russischen Ideen- und Politikgeschichte verknüpft.
Nur scheinbar pechschwarz
Der stärkste Teil des Buches ist die Beschreibung der Prägungen, Häutungen und Wandlungen, die der russische Präsident erlebt hat. Kisoudis ist ein Putinversteher im besten Sinne: Er hilft tatsächlich, Putin zu verstehen. Für die Vereinigten Staaten und den Westen hat Kisoudis dagegen nicht viel übrig. Er verkennt die geistesgeschichtlichen Kräfte, die Amerika jenseits von Macht und Geld bis heute bestimmen. An der Herausforderung, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden, ist der Westen gescheitert, meint Kisoudis, er hat seine Tradition einfach preisgegeben und „Komplexität in Primitivität“ umschlagen lassen - was man durchaus auch als Seitenhieb auf Sittenverfall und Libertinage verstehen kann.
Moskau als das „Dritte Rom“ - eine moskowitische Denkfigur, die ins sechzehnte Jahrhundert zurückreicht - wäre dann nicht nur imperial, also als universales Machtzentrum, zu verstehen, sondern auch geistlich: als letzter Hort des wahren Christentums. Passend dazu beschreibt er die Orthodoxie nicht etwa als Putins gefügige Partnerin beim imperialen Neuanfang, sondern als eigentliche Kraftquelle des neuen Russland: „Der Osten hat seine Tradition neu gestaltet, die Umgestaltung erschien als absoluter Bruch, erwies sich aber als Dialektik der Kontinuität.“ Auch China kehre schrittweise zu seinen konfuzianischen Wurzeln zurück. Nur der Westen glaube, auf jede Tradition und Spiritualität verzichten zu können.
Aber wieso „Goldgrund Eurasien“? Einerseits spielt der Autor hier auf die ungebrochene Tradition der orthodoxen Ikonographie an, die den tragenden Goldgrund nie aufgegeben hat. Sogar in der modernen Kunst setzt sich das fort: Das berühmte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch ist nur scheinbar pechschwarz: Unter dem Craquelé der letzten hundert Jahre wird neuerdings der Goldgrund wieder sichtbar. Ein wahrlich symbolträchtiges Bild für Neurussland und seine neu aufschimmernde Orthodoxie.
Westlichen Währungen fehle der Goldgrund
Doch etwas anderes kommt hinzu: Kisoudis vertritt mit Besessenheit die These, dass die amerikanische Währung seit der Aufgabe der Goldbindung 1971 unwiderruflich zum Scheitern verurteilt ist. Für ihn ist der Dollar nichts als Papiergeld und der Euro auch. Ihnen fehlt der Goldgrund. Der Zusammenbruch der westlichen Finanzsysteme ist deshalb nur eine Frage der Zeit. Russland und China werden dann mit ihren Goldreserven auftrumpfen und die Dollar-Herrschaft endgültig beenden. In diesem Punkt berührt sich Kisoudis ausgerechnet mit den Libertären in den Vereinigten Staaten, die seit langem vor einem solchen Szenario warnen.
Bleibt zum Schluss eine Frage, an der kein Weg vorbeiführt: Bedient das ständige abfällige Gerede über Dollar-Imperialismus und amerikanisches Großkapital nicht die schlimmsten Vorurteile antisemitischer Provenienz? Sicher, man soll Kisoudis nur an dem messen, was er geschrieben hat, und man sollte ihm nichts Böses unterstellen. Aber ihm darf auch nicht gleichgültig sein, wie man ihn verstehen und eben auch missverstehen kann. Wenn derart polemisch gegen das Kapital in New York gewettert wird, gegen Zinsen und Spekulanten, namentlich gegen George Soros, hört man ein beunruhigendes historisches Echo. Das Unbehagen beim Lesen mag man als geschichtlich erklärbare, vielleicht übermäßige Empfindlichkeit eines deutschen Lesers ansehen, der in der alten Bundesrepublik schon aus dem Sandkasten raus war. Aber wenn es um Antisemitismus geht, muss man genau diese Empfindlichkeit auch von der nächsten Generation deutscher Debattanten verlangen.
?Goldgrund Eurasien? von Dimitrios Kisoudis
In seinem Buch „Goldgrund Eurasien“ erklärt der Putin-Versteher Dimitrios Kisoudis die neue Weltlage – einseitig, aber alles andere als dumm.
06.03.2015, von MARKUS GÜNTHER
Ein Jammer, dass Hans-Ulrich Wehler nicht mehr lebt. Der würde hier zur Hochform auflaufen und dem Autor gleich mal erklären, dass er mit seinem „Mittellagen-Palaver“ schwer auf dem Holzweg ist. Und wenn dann noch Habermas dazu käme, würde auch ihm der Kragen platzen, und er könnte endlich mal wieder über das „geopolitische Tamtam“ - wunderbare Formulierung, immer noch! - schimpfen. Da wäre richtig was los! Aber würde das Dimitrios Kisoudis überhaupt beeindrucken? Kann er noch etwas anfangen mit den Debatten der alten Bundesrepublik?
Dreißig Jahre ist das alles her, der Historikerstreit und das geopolitische Tamtam, das Ringen um die deutsche Geschichte und Deutschlands Platz in der Welt. Kisoudis spielte da noch im Sandkasten. Wahrscheinlich geht der Dreiunddreißigjährige deshalb so unverkrampft zu Werke bei seinem Versuch, die neue Weltlage zu deuten und Deutschlands Chancen und Risiken in der völlig aus den Fugen geratenen Ordnung neu zu bestimmen. Von der Gnade der ganz späten Geburt beflügelt und dank griechischer Vorfahren völlig unbelastet von den starren Denkmustern der deutschen Nachkriegsgeneration, spielt er befreit auf und legt mit „Goldgrund Eurasien. Der neue Kalte Krieg und das Dritte Rom“ eine energiegeladene politische Streitschrift vor.
Neue Gegengewichte bilden
Schon der Titel wirft viele Fragen auf. Was ist das Dritte Rom? Wieso Goldgrund? Und wo, bitte, geht’s nach Eurasien? „Der neue Kalte Krieg“, schreibt Kisoudis, „ist ein Krieg zwischen autoritärem Liberalismus im Osten und postmodernem Geldsozialismus (im Westen).“ Deutschland findet sich, so gesehen, noch einmal in einer prekären Mittellage wieder und muss sich entscheiden, nur unter veränderten Vorzeichen: Die Vereinigten Staaten pfeifen wirtschaftlich und ideell aus dem letzten Loch; zukunftsfähig und vielversprechend ist dagegen die neue Ordnung, wie sie sich in Russland und, unter anderen Bedingungen, auch in China allmählich entwickelt.
Als Souffleure auf dieser gedanklichen Bühne kann man von weit hinten Carl Schmitt bisweilen laut und deutlich hören, aber auch, vorn am Bühnenrand, den russischen Radikalphilosophen und Putin-Einflüsterer Alexander Dugin. Er gilt als Chefideologe einer neuen eurasischen Bewegung, welche die natürliche, eben geographische Zusammengehörigkeit von Europa und Asien einschließlich der südlichen Ränder im nahen, mittleren und fernen Osten betont und diese Kräfte zu einem Gegengewicht gegen die amerikanische Hegemonie bündeln will.
Das überzeugt Kisoudis schon deshalb, weil ihn auch Putins Neurussland trotz der „cäsaristischen Anklänge“, die er unumwunden und treffend konstatiert, rundum überzeugt. Die Aggression, auch in der Ukraine, sieht er nicht auf Seiten Putins, sondern bei den Amerikanern, deren gesamte politische Kultur er auf Machtstreben und Finanzinteressen reduziert. Das alles ist sehr einseitig, das ist wahr, aber dumm ist es nicht. Im Gegenteil, es ist beeindruckend, wie Kisoudis bei aller polemischen Zuspitzung doch nüchtern zu analysieren versteht, wie er Putin deutet und dabei die biographischen Schlüsselerlebnisse mit der russischen Ideen- und Politikgeschichte verknüpft.
Nur scheinbar pechschwarz
Der stärkste Teil des Buches ist die Beschreibung der Prägungen, Häutungen und Wandlungen, die der russische Präsident erlebt hat. Kisoudis ist ein Putinversteher im besten Sinne: Er hilft tatsächlich, Putin zu verstehen. Für die Vereinigten Staaten und den Westen hat Kisoudis dagegen nicht viel übrig. Er verkennt die geistesgeschichtlichen Kräfte, die Amerika jenseits von Macht und Geld bis heute bestimmen. An der Herausforderung, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden, ist der Westen gescheitert, meint Kisoudis, er hat seine Tradition einfach preisgegeben und „Komplexität in Primitivität“ umschlagen lassen - was man durchaus auch als Seitenhieb auf Sittenverfall und Libertinage verstehen kann.
Moskau als das „Dritte Rom“ - eine moskowitische Denkfigur, die ins sechzehnte Jahrhundert zurückreicht - wäre dann nicht nur imperial, also als universales Machtzentrum, zu verstehen, sondern auch geistlich: als letzter Hort des wahren Christentums. Passend dazu beschreibt er die Orthodoxie nicht etwa als Putins gefügige Partnerin beim imperialen Neuanfang, sondern als eigentliche Kraftquelle des neuen Russland: „Der Osten hat seine Tradition neu gestaltet, die Umgestaltung erschien als absoluter Bruch, erwies sich aber als Dialektik der Kontinuität.“ Auch China kehre schrittweise zu seinen konfuzianischen Wurzeln zurück. Nur der Westen glaube, auf jede Tradition und Spiritualität verzichten zu können.
Aber wieso „Goldgrund Eurasien“? Einerseits spielt der Autor hier auf die ungebrochene Tradition der orthodoxen Ikonographie an, die den tragenden Goldgrund nie aufgegeben hat. Sogar in der modernen Kunst setzt sich das fort: Das berühmte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch ist nur scheinbar pechschwarz: Unter dem Craquelé der letzten hundert Jahre wird neuerdings der Goldgrund wieder sichtbar. Ein wahrlich symbolträchtiges Bild für Neurussland und seine neu aufschimmernde Orthodoxie.
Westlichen Währungen fehle der Goldgrund
Doch etwas anderes kommt hinzu: Kisoudis vertritt mit Besessenheit die These, dass die amerikanische Währung seit der Aufgabe der Goldbindung 1971 unwiderruflich zum Scheitern verurteilt ist. Für ihn ist der Dollar nichts als Papiergeld und der Euro auch. Ihnen fehlt der Goldgrund. Der Zusammenbruch der westlichen Finanzsysteme ist deshalb nur eine Frage der Zeit. Russland und China werden dann mit ihren Goldreserven auftrumpfen und die Dollar-Herrschaft endgültig beenden. In diesem Punkt berührt sich Kisoudis ausgerechnet mit den Libertären in den Vereinigten Staaten, die seit langem vor einem solchen Szenario warnen.
Bleibt zum Schluss eine Frage, an der kein Weg vorbeiführt: Bedient das ständige abfällige Gerede über Dollar-Imperialismus und amerikanisches Großkapital nicht die schlimmsten Vorurteile antisemitischer Provenienz? Sicher, man soll Kisoudis nur an dem messen, was er geschrieben hat, und man sollte ihm nichts Böses unterstellen. Aber ihm darf auch nicht gleichgültig sein, wie man ihn verstehen und eben auch missverstehen kann. Wenn derart polemisch gegen das Kapital in New York gewettert wird, gegen Zinsen und Spekulanten, namentlich gegen George Soros, hört man ein beunruhigendes historisches Echo. Das Unbehagen beim Lesen mag man als geschichtlich erklärbare, vielleicht übermäßige Empfindlichkeit eines deutschen Lesers ansehen, der in der alten Bundesrepublik schon aus dem Sandkasten raus war. Aber wenn es um Antisemitismus geht, muss man genau diese Empfindlichkeit auch von der nächsten Generation deutscher Debattanten verlangen.
?Goldgrund Eurasien? von Dimitrios Kisoudis