Die Kirche ist vom milden Licht der Morgensonne durchflutet. Vor dem Altar steht ein hoch gewachsener Mann in einem langen weißen Gewand. In seinen Händen hält er ein dickes Buch und rezitiert Verse der orthodoxen Liturgie. Neben ihm eine kleine Frau mit einem schwarzem strengen Kleid und grauen kurzen Locken. Sie zündet dünne gelbe Kerzen an, dann stimmt sie mit hoher Stimme ein. Atmo Ein orthodoxer Gottesdienst, der einzigartig in Griechenland ist. Denn er findet nicht auf griechisch statt, sondern auf mazedonisch, der Sprache der slawisch-mazedonischen Minderheit, die es Athen zufolge gar nicht gibt. Atmo Ende Tatsächlich sind am heutigen Sonntag die Stühle leer geblieben. Nur eine Frau mit zwei kleinen Kindern huscht am Ende des Gottesdienstes kurz herein und lässt sich vom gesegneten Brot geben. Priester Nikodim Zarknjas streift wieder seine schwarze Alltagsrobe über, Schwester Maria räumt die Utensilien zurück in den Schrank. O-Ton (Nikodim) Die Leute wollen kommen, aber die Griechen machen leider eine starke Propaganda gegen unsere Kirche. Man fragt sie: Warum geht ihr dahin? Das ist keine gute Kirche. Die arbeiten gegen Griechenland, das sind Fanatiker. Die Leute haben Angst. Viele kommen deshalb heimlich. AutorIn Der 76-Jährige Priester mit langem grauen Bart und flinken Augen schließt die Metalltür hinter sich. Die Kirche ist noch im Rohbau, erst das untere Stockwerk ist fertig gestellt. Es soll die erste slawisch-mazedonische Kirche in Griechenland werden. Für „unsere Leute“ – sagt Nikodim Zarknjas. Maria und der Priester steigen in ihren metallicblauen Kleinwagen. 23 O-Ton (Maria) Es gibt noch zwei andere Kirchen in der Stadt, aber die sind griechisch. Wir halten den Gottesdienst nur auf mazedonisch. Das ist der Unterschied. AutorIn Obstplantagen, grüne Felder, am Horizont eine mächtige Bergkette – hier ist der Priester geboren, genauso wie Maria und zwei weitere Geschwister. Die Mutter, die sie zu Hause pflegen, hat sogar noch die Osmanische Herrschaft erlebt. Die Familie ist hier verwurzelt, sie haben sich schon immer als Mazedonier gefühlt, aber eben als slawischsprachige. O-Ton (Nikodim) Unser Ziel ist, dass die Griechen verstehen, dass es hier schon ein anderes Volk gab, als sie 1913 dieses Gebiet annektiert haben. Und das waren keine Griechen. Die Leute hier haben eine andere Sprache gesprochen, eine andere Kultur gehabt. Andere Sitten. Es wurde dann aber einfach behauptet, wir seien Griechen, obwohl es überhaupt keine Verbindungen gibt. Unsere Traditionen sind total verschieden. Wir sind ein anderes Volk. AutorIn Für die Rechte dieses „anderen Volkes“ setzt sich Nikodim Zarknjas nun schon seit 30 Jahren ein. O-Ton (Nikodim) Ich bin hier ein schwarzes Schaf. Bei der Polizei kennt man mich. Sie machen mir Probleme, weil ich nach der Liturgie mit den alten Menschen rede und frage: Wie geht es Ihnen, was machen Sie? Weil ich auf mazedonisch mit ihnen spreche. 24 AutorIn Atmo Geschirr, Blättern Zu Hause serviert Maria Kaffee und Kuchen. Nikodim Zarknjas holt ein Buch aus dem Regal. Es ist von einem Griechen geschrieben, betont er. Darin steht, wie die slawischen Mazedonier seit 1913 von Griechenland systematisch unterdrückt wurden. Immer wieder habe es Vertreibungen gegeben, besonders nach dem griechischen Bürgerkrieg 1946-48. Die Griechen sahen in den „Slawophonen“ eine Gefahr für die Sicherheit des Landes – weil sie auf der Seite der Kommunisten für ein Großmazedonien innerhalb Jugoslawiens gekämpft hatten. Schätzungsweise 100 000 Menschen sind geflohen, die Zurückgebliebenen wurden wie Staatsfeinde behandelt. In den 50er Jahren folgte eine rigide Politik der Assimilierung. O-Ton (Nikodim) Wir hießen Zarknajovski. Die Griechen machten Zarknjas daraus. In manchen Regionen haben sie die Namen geändert, so dass sie wie griechische Namen auf -ilis oder –opolus enden. Tassopulus, Papadopulos, Nicht Popovski, nicht Tashevski. Mein Großvater hieß Janev. Traiko Janev. Er wurde zu Janos. (..) Alle Namen, die mazedonisch klangen, haben sie geändert. AutorIn In den 80er Jahren gab Nikodim eine Zeitschrift heraus, in der er Fragen stellte: Warum werden slawische Mazedonier keine Offiziere? Warum dürfen sie nicht zur Polizei? O-Ton (Nikodim) Sie haben mich 15 Mal verurteilt. Ich war im Gefängnis. Weil ich die Robe trage. Weil ich auf mazedonisch singe und nicht auf griechisch. Vor 10 Jahren war es schlimm. 1992, 93. Die Polizei hat die Leute eingeschüchtert. // Sie kamen hier zu meinem Haus und warfen Steine. Sie riefen irgendwelche 25 unschönen Dinge. Ihr seid keine guten Griechen, Skopjaner seid ihr. Die griechischen Richter sind Nationalisten. Fanatiker. Sie urteilen nicht normal, sondern so, wie es ihnen vom Staat gesagt wird. AutorIn Die Alten, die Prügel und Gefängnis erlebt haben, hätten noch immer Angst. Aber heute seien diese Zeiten – Gott sei Dank – vorbei, seufzt Nikodim. Die jungen Leute fürchten die Polizei nicht mehr. Aber noch immer werde Druck ausgeübt, nur subtiler. O-Ton (Nikodim) //Hier im Ort sprechen die Leute jetzt mazedonisch. Aber sie machen das nicht offen, sondern heimlich. //// Und unsere Lieder sind verboten. Man darf die Musik spielen, aber wenn wir singen wollen, heißt es: nein, nein. Das geht nicht. //// Warum singst du mazedonische Lieder, warum sagst du, dass du Mazedonier bist? Das ist ein Problem für Griechenland. Sie wollen, dass man sagt, man ist Grieche. //Aber die Griechen müssen unsere Rechte achten. AutorIn In Athen stoßen die Forderungen auf taube Ohren. Die Anerkennung der slawisch sprechenden Griechen als Minderheit würde bedeuten, auch die Existenz der mazedonischen Nation anerkennen zu müssen. Aber ohnehin: Die Zahl derjenigen, die sich als slawische Mazedonier bezeichnen – sie liege allenfalls bei ein paar wenigen Tausend. Priester Nikodim geht dagegen von anderen Zahlen aus.