Weiche Südflanke
Die Finanzkrise bringt nicht nur Banken in Bedrängnis. Sie deckt auch die Schwächen einzelner Volkswirtschaften auf.
Das abschreckendste Beispiel in der Euro-Zone ist Griechenland. Als Reaktion auf die Krise sind die Kurse der griechischen Staatsanleihen abgestürzt. Die Rendite des zehnjährigen Bonds lag zeitweilig um fast 175 Basispunkte (1,75 Prozentpunkte) über der vergleichbaren Bundesanleihe. Anfang des Jahres betrug die Differenz nur 30 Basispunkte. Die Risikoprämie ist ein klares Misstrauensvotum der Anleger. Sie fürchten, dass Athen seine Schulden vielleicht nicht mehr bedienen kann.
Die Massenflucht aus den griechischen Staatspapieren verteuert den Schuldendienst und untergräbt die Bonität des Landes immer weiter. Sie ist deshalb überraschend, weil in der Währungsunion lange Zeit die Zinsen konvergierten - was auch eines der Aufnahmekriterien ist.
Im Extremfall stellt sich die Frage, ob Griechenland noch Mitglied der Europäischen Währungsunion bleiben kann. EU-Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia warnte in dieser Woche vor "ernsten Problemen", wenn es nicht gelinge, die auseinanderlaufenden Zinsen für die Staatsschuld der Euro-Länder zu korrigieren.
Tatsächlich haben sich die Spreads, also die Zinsabstände, auch im Falle Italiens, Portugals und Spaniens kräftig erhöht, seit Ende Oktober aber wieder etwas ermäßigt. Bleiben die Abstände auf Dauer hoch, stellen sich Fragen über den Zusammenhalt der Währungsunion.
Allerdings steht nur Italien vor ähnlichen Problemen wie Griechenland, was die absolute Höhe der Spreads und die budgetäre Lage angeht. Seit es in der Euro-Zone ist, muss es keine Währungskrisen mehr fürchten. Umso sorgloser wird gewirtschaftet.
Der Fall Griechenland ist aber besonders krass. Schon als das Land 2001 der Währungsunion beitrat, fragten viele, ob es überhaupt reif sei für den Euro. Die Zweifel wurden verdrängt, teils aus politischen Gründen, teils mit dem Hinweis, das kleine Volumen der griechischen Volkswirtschaft falle nicht sonderlich ins Gewicht.
Die Griechen haben sich die Aufnahme in die Währungsunion erschlichen, wie sich vor einigen Jahren bestätigte: Von 1997 bis 2003 meldeten die damals regierenden Sozialisten Defizitquoten nach Brüssel, die um bis zu drei Prozentpunkte unter den tatsächlichen Fehlbeträgen lagen.
Die "riesige Staatsverschuldung" sei die Achillesferse der griechischen Wirtschaft, räumt auch der Athener Finanzminister Giorgos Alogoskoufis ein. Er hat die Misere vorgefunden, als er im März 2004 sein Amt antrat.
Sie gehört zum politischen Erbe der Sozialisten. Unter ihren Regierungen stieg die Staatsschuld von 28 auf 99 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aber Alogoskoufis kann sich nicht auf ewig mit den Sünden seiner Vorgänger herausreden. Er hat selbst wenig getan, um die Staatsfinanzen zu konsolidieren und Schulden abzubauen. Sie liegen immer noch bei über 90 Prozent des BIP. Trotz hoher Wachstumsraten, die mit drei bis vier Prozent in den vergangenen Jahren weit über dem Durchschnitt der Euro-Zone lagen, hat es Griechenland seit dem Beitritt zur Währungsunion nur in einem einzigen Jahr geschafft, die Defizitvorgaben des Stabilitätspakts einzuhalten, nämlich 2006.
Die griechische Misere, die zu Fragen über den Zusammenhalt der Euro-Zone führt, hat zwei Ursachen, die eng miteinander zusammenhängen: versäumte Strukturreformen und sorglose Ausgabenpolitik. Weil die konservative Regierung Reformen und Deregulierung scheut, ist die griechische Wirtschaft immer weniger wettbewerbsfähig.
Indizien dafür sind die hohe Inflation und das horrende Leistungsbilanzdefizit. Weniger Staat hatten die Konservativen bei ihrem Amtsantritt 2004 versprochen.
Stattdessen wächst das Heer der öffentlich Bediensteten immer weiter, die Defizite der Staatsbetriebe steigen.
Nun rufen manche Athener Politiker als Antwort auf die Finanzkrise gar nach einer Lockerung des Stabilitätspakts. Doch das wäre die völlig falsche Reaktion. Es würde die hemmungslose Ausgabenpolitik und die Reformresistenz in Problemländern wie Griechenland, Italien oder Portugal nur fördern.
Aus einem Sonderfall Griechenland könnte dann ein ernstes Problem für die Währungsunion werden.
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