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Jesus - wer bist Du?
Kommt nun das Original nach langer Zeit wieder hervor?


Apollon1.jpg

Michelangelos Christus folgt dem Apoll

Von Paul Badde 15. Januar 2008, 04:00 Uhr

Kunsthistoriker sehen im Jesus der Sixtinischen Kapelle den antiken Gott.
Was aber heißt das für die Theologie?


Seit Papst Benedikt XVI. die alte Liturgie für die katholische Kirche wieder frei gegeben hat, wollen in Rom die Fragen nicht verstummen, wann der Papst denn wohl selbst wieder einmal in jenem Tridentinischen Ritus das Messopfer feiern würde, in dem er getauft und zum Priester geweiht wurde. Würde er solch ein Zeichen vielleicht im Petersdom setzen? Es war schon ein Fanal, als Kardinal Ratzinger im April 1999 in Weimar ein tridentinisches Pontifikal-Hochamt feierte. Andere meinten: ein Skandal. Doch was sollte den Nachfolger Petri hindern, ein solches Hochamt nun in Sankt Peter zu feiern? Viele sahen den Zeitpunkt gekommen, als Anfang Oktober der Zeremonienmeister Piero Marini abgewechselt wurde, dessen Skepsis der alten Liturgie gegenüber bekannt ist.

An diesem Sonntag schien es nun endgültig soweit. Der Papst zelebrierte in der Sixtinischen Kapelle mit dem Rücken zum Volk. Große Sender berichteten gleich davon. War es eine Zeitenwende? "Der Heilige Vater hat am Hochaltar, aber nicht nach dem Tridentinischen Ritus zelebriert", hieß es jedoch bald aus dem Vatikan. Schließlich seien alle katholischen Basiliken Europas ja wie Originalinstrumente für die alte Liturgie gebaut. Dem habe der Papst mit seiner Gebetshaltung hier nur Rechnung getragen, um die "Schönheit und Harmonie" der Kapelle nicht zu stören und "mit dem Blick aufs Kreuz die Haltung und Einstellung der ganzen Versammlung" zu orientieren. Er habe "versus Deum" zelebriert, hieß es.

Diese Aussage hat vor dem Jüngsten Gericht hinter dem alten Hochaltar der Sixtina aber eine mehr als pikante Note. Vor genau 500 Jahren wurde unter Julius II. mit der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle begonnen. Vierzig Jahre danach kam es dann genau hier zu einem revolutionären Wechsel des christlichen Gottesbildes, vor dem an diesem Sonntag Benedikt XVI. nolens volens das Knie gebeugt hat. Denn eins war vor 500 Jahren ja nicht anders als heute: es gibt kein aufreizenderes Dogma als die Menschwerdung Gottes.

Die Vorstellung, dass der Schöpfer des Himmels, der Sonne, des Mondes und aller Sterne auch meine Frau und mich, die Katze des Nachbarn und jede noch so kleine Amöbe in die Existenz gerufen hat, dass dieser Gott eines Tages selbst durch den Geburtskanal ging, das ist nicht einfach zu glauben. Dieses Dogma sprengt jeden Verstand. Dieser Glaube aber ist das Fundament der Christenheit.

Das konkrete Gesicht des Mensch gewordenen Gottes gehört deshalb wesentlich zu jener "Bildung" Europas, von der Hans-Georg Gadamer kurz vor seinem Tod sagte, "dass Bildung nicht ist, was irgendein Mensch gemacht hat. Sondern Bildung ist wie die Formation der Berge, die in Jena oder in Heidelberg über die Häuser der Städte hinweg blicken." Was Europas Eigenart ausmacht, hat sicher damit zu tun, dass dieses Angesicht Jahrhunderte lang über alle Städte Europas geblickt hat.

Wie dieses Gesicht aussah, stand außer Zweifel. Es war ein leicht asymmetrisches Porträt mit Mittelscheitel, schlanker Nase, Locken zu beiden Seiten des Kinns, mit leicht offenem Mund und schütterem Bart. Bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts gab es so gut wie kein Bild Christi, das von dieser Vorlage abwich. Im Jahr 1499 hatte Michelangelo mit 24 Jahren Christus auf dem Schoß seiner Mutter in Marmor gemeißelt, als hätte er Christus selbst vor Augen gehabt. Ein Jahr später, 1500, schuf Albrecht Dürer in Nürnberg ein revolutionäres Selbstporträt, wo er sich selbst als radikales Ebenbild Christi darstellte. Häretisch war das nicht. Im Gegenteil: Es war konsequent.

Denn es war ja nur eine schlichte Erkenntnis und nicht etwa eine späte Gottesdämmerung, als der "religiös unmusikalische" Jürgen Habermas in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche vor Jahren einräumte, dass das Konzept der Menschenwürde sich im Letzten nur vom jüdisch-christlichen Begriff einer Gottesebenbildlichkeit des Menschen ableiten lasse. Von jenen Sätzen also, wo es in der Genesis heißt: "Gott erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild."

Genau dieses Selbstbewusstsein dokumentiert das Selbstporträt Dürers. Doch auch etwas, was selbst ein Jürgen Habermas bis heute wohl noch zu kühn findet, als dass er diesen Gedanken in aller Konsequenz an sich heranlassen möchte. Das ist der christliche Glaube, dass Gott nicht nur den Menschen nach seinem Bild geschaffen, sondern am Schluss den Menschen auch sein eigenes Gesicht gezeigt hat. Vielleicht ist vor diesem unglaublichen Glauben keiner mehr zurück geschreckt als Michelangelo Buonarotti (1475-1564).

Vierzig Jahre nach dem Meisterwerk Dürers und der Vollendung seiner Pietà stand er jedenfalls wieder vor der Aufgabe, Christus zu porträtieren. Zur Vollendung dieser Herkules-Aufgabe sollte der Meister die Stirnwand der Sixtina, in dem bis heute die Päpste gewählt werden, mit einem letzten Meisterwerk krönen. Es war das Zentrum der christlichen Bilderwelt, das dem 60-jährigen Genie hier anvertraut wurde: das Jüngste Gericht. Bei seiner Enthüllung im Jahr 1541 ging Papst Paul III. mit allen Kardinälen vor dem neuen Kunstwerk in die Knie wie Benedikt XVI. am Sonntag. Rasch wurde das Jüngste Gericht zum unübertrefflichen Schatz der Christenheit erklärt. Das Pontifikat Paul III. ist mit dramatischen Schritten verbunden wie der Einberufung des Konzils von Trient oder der Zulassung des neuen Ordens der Jesuiten.

Vielleicht ist darum auch untergegangen, dass seit seinen Regierungsjahren im Herzen der katholischen Bilderwelt, im Herzen Roms, im Herzen des Vatikans, im Herzen der Sixtina, im Herzen des Jüngsten Gerichts die zentrale Figur des Weltenrichters nicht mehr die wohl bekannten Züge Christi trägt. Wir könnten die Figur vielleicht für Friedrich Schiller halten. Doch es ist weder Schiller noch Christus, sondern es ist der bartlose Apoll: Es ist der Rächer unter den Göttern, der Sohn des Zeus, den Michelangelo hier an die Stirnseite malte. Die antike Vorlage für das Porträt findet sich heute im Belvedere-Hof der Vatikanischen Museen. Es ist eine griechische Marmorbüste, die Michelangelo als Modell für diesen "Christus" benutzt. Im Grunde war es eine ungeheuerliche Blasphemie.

Was Michelangelo dazu bewegt hat, weiß der Himmel. Beim Petrusgrab im Petersdom befindet sich jetzt noch das Mosaik eines Weltenrichters, das seit dem 9. Jahrhundert dort unverändert geblieben ist. An Vorbildern des kanonischen Christusbildes mangelte es nirgends in Rom. Der neue Messias Michelangelos hat zwar noch (winzige) Wundmale an Händen und Füßen, doch eher als manikürische Verzierung. Dieser Mann ist ein Athlet, sein Gesicht zeigt keine Spuren der Passion. Dieser Jesus ist nur hübsch. Er schaut uns auch nicht frontal an wie bis dahin jedes Christusbild, sondern dreht den Kopf ab wie ein selbstverliebter Tänzer. Dieser Mann ist nicht Jesus von Nazareth. In ihm zeigt Gott nicht sein menschliches Gesicht. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn hat Michelangelo das Gottesbild der Christen durch ein heidnisches Götzenbild ausgewechselt.

Die Sache ist natürlich bekannt, wie es jetzt wieder Heinrich Pfeiffer in einem prachtvollen Bildband dokumentiert ("Die Sixtinische Kapelle - neu entdeckt") und ruft doch längst nur ein müdes Achselzucken der Kunsthistoriker hervor, aber nie ein Ah und Oh der Philosophen oder Historiker, oder gar einen Aufschrei der Theologen, für die das Gottesbild längst zu einer Metapher geworden scheint, die mit dem konkreten Gesicht Christi nichts mehr zu tun hat.

Nach der Enthüllung des Jüngsten Gerichts gab es zwar noch kleine Debatten darüber, dass hier auf traditionelle Attribute wie Heiligenscheine oder Flügel (der Engel) verzichtet wurde (die sogar bis in das Konzil von Trient hinein getragen wurden), doch im Grunde ging vor diesem Meisterwerk des Meisters bald alle Welt in die Knie.

Michelangelo muss aber wohl gewusst haben, was er tat. Das Genie war nicht naiv. In späteren Arbeiten - etwa der Pietà Bandini (1548/55) - ist er zum traditionellen Christusbild zurückgekehrt. In seinem Weltgericht aber ist sein Apollo an der Stelle Christi zurückgeblieben. Es war der spektakuläre erste Schritt auf einem Weg, auf dem Künstler später auch behaupten konnten, ein Stacheldrahtgebinde am Kreuz stelle womöglich Gott dar (wegen der Konzentrationslager usw.). Irrlehren haben die Welt der Bilder also ebenso heimgesucht wie die Welt des Wortes, doch mit noch gar nicht ausgeloteten Folgen.

Vielleicht zeigt das Jüngste Gericht deshalb noch einmal mehr die wahre Größe Michelangelos. Dass er die Größe der Menschwerdung Gottes nämlich noch so ernst nahm, dass er sie nicht mehr ausgehalten halt. Dass er darum den Mensch gewordenen Gott in diesem Bild wieder als ein beliebiges Glied in den Reigen des Götterhimmels zurücktreten ließ. Ob die Diktatur des Relativismus hier ihren Ausgang nimmt, ist schwer zu sagen. Eine schwerer wiegende Relativierung als das Auswechseln vom Bild des einzigen Gottes ist dennoch kaum vorstellbar. Hier hatte der vielleicht größte Künstler des letzten Jahrtausends das zentrale Leitbild unserer Kultur fast unbemerkt durch eine unidentische falsche Kopie ausgetauscht.

Folgenlos kann das unmöglich geblieben sein. "Ein Weg zur Wirklichkeit geht über Bilder", hat Elias Canetti einmal geschrieben. "Bilder bestimmen, was man erlebt. Als eine Art von Grund und Boden gliedern sie sich in einem ein. Je nach den Bildern, aus denen einer besteht, gerät er in ein verschiedenes Leben." Soll das beim Bild Jesu anders sein, wo "wir wirklich sehen, wer Gott ist und wie Gott ist", wie Benedikt XVI. vor nicht langer Zeit einmal sagte? Was hat er am Sonntag wohl gesehen, als er seinen Blick über das Kreuz zu Apollo hoch hob?


Heinrich Pfeiffer: Die Sixtinische Kapelle - neu entdeckt. Belser, Stuttgart. 351 S., 68 Euro

Quelle:
http://www.welt.de/welt_print/article1561706/Michelangelos_Christus_folgt_dem_Apoll.html
 
Wieso ignorieren die meisten solche Threads und versuchen was vernünftiges dazu zu schreiben.
 
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