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Der MI-6 und das Ende von Tudjmanistan
Kroatien wurde sein Nationalismus ausgetrieben: Statt der Ustascha herrschen heute westliche Konzerne und Agenten
Die neue Geschichte Kroatiens sagt viel über die Entwicklung der Neuen Weltordnung nach dem Ende der Blockkonfrontation aus. Zu Anfang der neunziger Jahre schien es so, als ob der Zusammenbruch des Warschauer Paktes alle häßlichen Nationalismen aus dem Gruselkabinett der Weltgeschichte freigesetzt hätte. Deutschland dehnte sich plötzlich bis zur Oder aus, und im Baltikum, in der Slowakei, in der Ukraine wurden Bewegungen regierungsfähig, die sich recht ungeniert auf die Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich beriefen. In Kroatien beispielsweise gewann im Jahr 1990 die Kroatische Demokratische Union (HDZ) mit einem Erdrutschsieg die Wahlen. Ganz offen trat sie für die Abspaltung der Republik von Jugoslawien ein und schwelgte in Erinnerungen an die faschistische Eigenstaatlichkeit zwischen 1941 und 1945, als die Ustascha-Bewegung mit dem Segen Hitlers eine Dreiviertelmillion Serben und fast alle der 30000 Juden ermordet hatte. HDZ-Gründer Franjo Tudjman warb mit dem Spruch um Stimmen, er sei glücklich, »weder mit einer Serbin noch mit einer Jüdin verheiratet zu sein«. Vor diesem Hintergrund fürchtete man nicht nur in Belgrad die Wiederkehr der Vergangenheit. Auch Israel zögerte mehrere Jahre mit der diplomatischen Anerkennung des neuen Staates.
»Kroatisches Geld in kroatischen Taschen und ein kroatisches Gewehr auf einer kroatischen Schulter« war ein Slogan der Zagreber Sezessionisten Anfang der neunziger Jahre. Doch es sollte ganz anders kommen: Heute ist das kroatische Geld in den deutschen Taschen, und auf kroatischen Schultern werden amerikanische Gewehre getragen. Die Selbständigkeit, die man sich von der Lostrennung von Jugoslawien versprochen hatte, haben die Kroaten jedenfalls nicht erreicht, statt dessen wurde man ein Protektorat der EU – das hat die Erben der Ustascha in der HDZ in die Defensive gedrängt. Was hat der ganze Nationalismus gebracht, fragen sich ihre enttäuschten Anhänger, und laufen zur liberalen Opposition um Mesic über. Die Arbeitslosigkeit liegt seit Jahren bei etwa 20 Prozent, das Durchschnittseinkommen bei etwa 100 Euro monatlich – das ist fast so lausig wie im Schurkenstaat Serbien und jedenfalls weit unter dem alten jugoslawischen Standard. Zwar erholt sich der Tourismus an der Adriaküste langsam. Doch die deutschen und italienischen Konzerne verweigern die Abnahme kroatischer Landwirtschaftsprodukte in den von ihnen kontrollierten Hotels und führen statt dessen holländische Tomaten und andere hochsubventionierte (und deswegen billige) EU-Produkte ein. So floriert der Fremdenverkehr auf Kosten der Bauernschaft, und die Misere der Gesamtwirtschaft bleibt.
Ein Beispiel für das Absinken Kroatiens auf den Status einer Kolonie ist ein Geheimdienstskandal, den im letzten Sommer das Zagreber Wochenmagazin Nacional – in seiner Rolle etwa dem Spiegel vergleichbar – aufgedeckt hat. Das Blatt skizzierte eine »einjährige ... Operation britischer Agenten in Zagreb, Belgrad und Sarajevo, die sich gegen die Sicherheit des kroatischen Staates richtete oder vielmehr die letzte Etappe bei der Schwächung des Systems war und die Leute beseitigen sollte, die das System gegen die Infiltration ausländischer Agenten schützen sollten«. Dieser Operation seien Franjo Turek, Chef des kroatischen Abwehrdienstes POA, und Zeljko Bagic, Sicherheitsberater des Präsidenten Mesic, zum Opfer gefallen – beide mußten ihre Posten an pro-britische Nachfolger abgeben. Bereits zuvor hatte Miroslav Tudjman, der Sohn des HDZ-Gründers, seinen Job als Geheimdienstchef eingebüßt. Ein anderer Geheimdienstler, der im Zuge dieser Säuberung des kroatischen Dienstes gefeuert worden war, klagte gegenüber Nacional, die Einmischung des MI-6 sei nur akzeptabel, wenn Kroatien »eine britische Kolonie geworden sei oder wir einen ähnlichen Status wie Bosnien hätten, wo ein internationales Protektorat in Kraft ist«.
Die britischen Agenten wurden nach der Aufdeckung ihrer Identität vom Balkan abgezogen. Ein Beweis, daß die kroatische Souveränität doch noch funktioniert? Oder daß Leute der CIA oder des BND die lästige Konkurrenz verdrängt haben?
http://www.jungewelt.de/2005/01-12/006.php
Kroatien wurde sein Nationalismus ausgetrieben: Statt der Ustascha herrschen heute westliche Konzerne und Agenten
Die neue Geschichte Kroatiens sagt viel über die Entwicklung der Neuen Weltordnung nach dem Ende der Blockkonfrontation aus. Zu Anfang der neunziger Jahre schien es so, als ob der Zusammenbruch des Warschauer Paktes alle häßlichen Nationalismen aus dem Gruselkabinett der Weltgeschichte freigesetzt hätte. Deutschland dehnte sich plötzlich bis zur Oder aus, und im Baltikum, in der Slowakei, in der Ukraine wurden Bewegungen regierungsfähig, die sich recht ungeniert auf die Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich beriefen. In Kroatien beispielsweise gewann im Jahr 1990 die Kroatische Demokratische Union (HDZ) mit einem Erdrutschsieg die Wahlen. Ganz offen trat sie für die Abspaltung der Republik von Jugoslawien ein und schwelgte in Erinnerungen an die faschistische Eigenstaatlichkeit zwischen 1941 und 1945, als die Ustascha-Bewegung mit dem Segen Hitlers eine Dreiviertelmillion Serben und fast alle der 30000 Juden ermordet hatte. HDZ-Gründer Franjo Tudjman warb mit dem Spruch um Stimmen, er sei glücklich, »weder mit einer Serbin noch mit einer Jüdin verheiratet zu sein«. Vor diesem Hintergrund fürchtete man nicht nur in Belgrad die Wiederkehr der Vergangenheit. Auch Israel zögerte mehrere Jahre mit der diplomatischen Anerkennung des neuen Staates.
»Kroatisches Geld in kroatischen Taschen und ein kroatisches Gewehr auf einer kroatischen Schulter« war ein Slogan der Zagreber Sezessionisten Anfang der neunziger Jahre. Doch es sollte ganz anders kommen: Heute ist das kroatische Geld in den deutschen Taschen, und auf kroatischen Schultern werden amerikanische Gewehre getragen. Die Selbständigkeit, die man sich von der Lostrennung von Jugoslawien versprochen hatte, haben die Kroaten jedenfalls nicht erreicht, statt dessen wurde man ein Protektorat der EU – das hat die Erben der Ustascha in der HDZ in die Defensive gedrängt. Was hat der ganze Nationalismus gebracht, fragen sich ihre enttäuschten Anhänger, und laufen zur liberalen Opposition um Mesic über. Die Arbeitslosigkeit liegt seit Jahren bei etwa 20 Prozent, das Durchschnittseinkommen bei etwa 100 Euro monatlich – das ist fast so lausig wie im Schurkenstaat Serbien und jedenfalls weit unter dem alten jugoslawischen Standard. Zwar erholt sich der Tourismus an der Adriaküste langsam. Doch die deutschen und italienischen Konzerne verweigern die Abnahme kroatischer Landwirtschaftsprodukte in den von ihnen kontrollierten Hotels und führen statt dessen holländische Tomaten und andere hochsubventionierte (und deswegen billige) EU-Produkte ein. So floriert der Fremdenverkehr auf Kosten der Bauernschaft, und die Misere der Gesamtwirtschaft bleibt.
Ein Beispiel für das Absinken Kroatiens auf den Status einer Kolonie ist ein Geheimdienstskandal, den im letzten Sommer das Zagreber Wochenmagazin Nacional – in seiner Rolle etwa dem Spiegel vergleichbar – aufgedeckt hat. Das Blatt skizzierte eine »einjährige ... Operation britischer Agenten in Zagreb, Belgrad und Sarajevo, die sich gegen die Sicherheit des kroatischen Staates richtete oder vielmehr die letzte Etappe bei der Schwächung des Systems war und die Leute beseitigen sollte, die das System gegen die Infiltration ausländischer Agenten schützen sollten«. Dieser Operation seien Franjo Turek, Chef des kroatischen Abwehrdienstes POA, und Zeljko Bagic, Sicherheitsberater des Präsidenten Mesic, zum Opfer gefallen – beide mußten ihre Posten an pro-britische Nachfolger abgeben. Bereits zuvor hatte Miroslav Tudjman, der Sohn des HDZ-Gründers, seinen Job als Geheimdienstchef eingebüßt. Ein anderer Geheimdienstler, der im Zuge dieser Säuberung des kroatischen Dienstes gefeuert worden war, klagte gegenüber Nacional, die Einmischung des MI-6 sei nur akzeptabel, wenn Kroatien »eine britische Kolonie geworden sei oder wir einen ähnlichen Status wie Bosnien hätten, wo ein internationales Protektorat in Kraft ist«.
Die britischen Agenten wurden nach der Aufdeckung ihrer Identität vom Balkan abgezogen. Ein Beweis, daß die kroatische Souveränität doch noch funktioniert? Oder daß Leute der CIA oder des BND die lästige Konkurrenz verdrängt haben?
http://www.jungewelt.de/2005/01-12/006.php