Interview mit dem Generalsekräter der Muslimdachverband
"Angriffe auf Zivilisten sind nie gerechtfertigt, erst recht nicht im Islam"
Der Generalsekretär des größten Muslim-Dachverbands in Großbritannien über islamische Terroristen und Fehler der Regierung Blair.
Der promovierte Physiker Muhammad Abdul Bari ist seit Januar 2006 Generalsekretär des Muslim Council of Britain, des größten muslimischen Dachverbandes in Großbritannien mit rund 400 Mitgliedsorganisationen. Er kam 1978 aus Bangladesch nach Großbritannien. Die britische Polizei hat bei ihren Ermittlungen zu den vereitelten Terroranschlägen auf Transatlantikflüge inzwischen Märtyrer-Videos von einigen der festgenommenen Verdächtigen gefunden. Die meisten von ihnen sind britische Muslime pakistanischer Herkunft.
Welt am Sonntag: Wieso rechtfertigen 30 Prozent der britischen Muslime Terroranschläge?
Muhammed Abdul Bari: Schon ein Prozent wäre zu viel. Wir müssen das Problem in den muslimischen Gemeinden, aber auch innerhalb der britischen Gesellschaft lösen.
Gibt es aus Ihrer Sicht irgendeine Rechtfertigung für Anschläge?
Bari: Auf keinen Fall. Angriffe auf Zivilisten sind in keiner Gesellschaft gerechtfertigt, erst recht nicht im Islam.
Der Islam ist nicht für die Fanatiker verantwortlich?
Bari: Einige Leute machen Religion für ein solches Chaos verantwortlich. Während der Inquisition hat Europa seine Erfahrungen mit dem Missbrauch von Religion gemacht. Oder schauen Sie sich Hitler an. Weder ein säkularer noch ein religiös geprägter Staat ist vor Fanatikern gefeit.
In einem offenen Brief haben Sie die Außenpolitik von Premierminister Tony Blair für das kürzlich aufgedeckte Terrorkomplott mitverantwortlich gemacht.
Bari: Die Außenpolitik eines Staates darf nie die Entschuldigung für Jugendliche sein, so schreckliche Gewaltakte zu begehen. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Irak-Invasion und die Weigerung unseres Premierministers, einen sofortigen Waffenstillstand im Libanon zu fordern, die Gefühle vieler Menschen verletzt haben. Das darf keine Gewalttaten entschuldigen, es kann sie gleichwohl erklären.
Was hat die britische Regierung während des Libanon-Kriegs falsch gemacht?
Bari: Wir hätten als Erste nach einem sofortigen Waffenstillstand rufen müssen. Es geht uns Muslimen weniger um eine andere britische Außenpolitik als vielmehr darum, unser demokratisches Recht einzufordern, dass die Regierung auf wichtige Themen reagiert.
Das hört sich nach aufgeklärtem Islam an. Tatsächlich lehnen viele radikale britische Muslime demokratische Rechte wie Pressefreiheit ab.
Bari: Wir sagen der kleinen radikalen Minderheit: Ihr hasst die Demokratie, aber ihr benutzt sie, um das zu sagen. Das wäre im Nahen Osten und vielen anderen Ländern nicht möglich. Das ist ein Thema, das wir in den muslimischen Gemeinden intensiv diskutieren. Immer mehr Muslime bejahen, was einst Voltaire sagte: "Ich widerspreche dir in allem, was du sagst, aber ich würde bis zum Tode kämpfen für dein Recht, es sagen zu dürfen."
Woher kommt diese Wut bei vielen britischen Muslimen?
Bari: Die Massaker an Muslimen in Bosnien und im Kosovo, in den besetzten palästinensischen Gebieten, in Tschetschenien, Algerien und Kaschmir hat bei vielen den Eindruck entstehen lassen, dass Muslime unterdrückt werden. Der Libanon-Krieg hat diesen Eindruck sicher nicht entkräftet. Während andere Länder nach einem Waffenstillstand riefen, blieben die USA und Großbritannien stumm. Gleichzeitig haben sich bestimmte muslimische Gemeinden in Großbritannien von der Gesellschaft entfremdet, viele sind verarmt. Das ist der große Zusammenhang.
Ein anderes Problem ist die Identifikation: Viele junge britische Muslime sehen sich nicht als Briten.
Bari: Diese beiden Identitäten widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich sehr gut. Wer den Geist des Islam versteht, wird zugleich ein besserer britischer Bürger sein. Wer den Islam aber nicht versteht, flüchtet sich in religiöse Rituale und wird im schlimmsten Fall radikal und fanatisch.
Was sagen Sie diesen Fanatikern?
Bari: Wenn ihr frustriert oder zornig seid, habt ihr trotzdem nicht das Recht, durch undemokratische Mittel, durch Gewalt und Töten Luft abzulassen. Was haben die Terroranschläge vom 7. Juli den Muslimen gebracht? Nichts, im Gegenteil. Die Anschläge, genau wie die vorangegangenen in den USA, auf Bali und in Madrid haben Muslime überall auf der Welt in ein schlechtes Licht gerückt.
Das Gespräch führte Peter Herkenhoff
http://www.wams.de/data/2006/08/20/1003735.html