Kosovo im freien Fall
Dem jungen Staat droht das Chaos. Die Opposition rebelliert gegen die Regierung. Offiziell geht es um Autonomierechte. Doch der wahre Grund ist ein anderer.
Manchmal sind es die besten Freunde, die das Geburtstagsfest verderben. Kurz vor dem achten Jahrestag der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung, der heute Mittwoch begangen wird, ist den westlichen Diplomaten der Kragen geplatzt. Solange das Ausmass der Korruption in Kosovo gross bleibe, werde es keine EU-Integration geben, sagte die französische Botschafterin in der Hauptstadt Pristina. «Die Noten, die Kosovo für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Korruption ausgestellt wurden, sind ungenügend», schimpfte die deutsche Gesandte. Ihr US-Kollege ging einen Schritt weiter: Er werde jenen Politikern und Beamten, die ihre Ämter missbrauchten, die Hand nicht mehr schütteln, beteuerte der Diplomat.Die Regierung quittiert solche Vorwürfe mit Schweigen oder mit nichtssagender Rhetorik. Es ist ein Kabinett der Stagnation, das vor sich hindümpelt. Ministerpräsident Isa Mustafa von der zweitgrössten Partei LDK wird von Diplomaten als farblos, visionslos und inhaltsleer beschrieben. Sein Stellvertreter und Aussenminister Hashim Thaci von der sogenannten Demokratischen Partei (PDK) sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, die von Korruption bis hin zu Kriegsverbrechen reichen. Der ehemalige Zürcher Student war während des Krieges (1998/99) so etwas wie der politische Führer der kosovarischen Befreiungsarmee UCK und gilt mittlerweile als der starke Mann im Haifischbecken der Politik des Balkanlandes.
Illusionen verkauft
Vor den letzten Parlamentswahlen im Juni 2014 hatte der Historiker Thaci 200'000 Arbeitsplätze in Aussicht gestellt, der Ökonom Mustafa versprach immerhin 120'000 Jobs – innerhalb von vier Jahren. Davon ist bisher nichts zu sehen. Es kommen keine Investoren, und die Menschen laufen davon: Seit Herbst 2014 haben über 100'000 Kosovaren ihre Heimat vor allem in Richtung Deutschland verlassen. Viele von ihnen waren schon in den 90er-Jahren Flüchtlinge: Damals suchten sie Schutz in Westeuropa vor dem serbischen Terrorregime. Nun suchen sie Arbeit – und werden zurückgeschickt. Kosovo hängt am Tropf der internationalen Hilfe und der grossen albanischen Diaspora.
Man könnte meinen, gegen eine solche Regierung, die viele Hoffnungen enttäuscht hat, hätte jede Opposition ein leichtes Spiel. Doch die Opposition in Kosovo hat zurzeit andere Prioritäten: Sie bekämpft mit fast allen Mitteln ein Abkommen mit dem Nachbarland Serbien, das der serbischen Minderheit sehr grosse Autonomierechte einräumt. Die kosovarische Regierung hat sich Ende August verpflichtet, einen Verband serbischer Gemeinden zu gründen, der die Interessen der Kosovo-Serben koordiniert und gegenüber der Zentralmacht in Pristina vertritt. Das Gremium soll keine Exekutivbefugnisse haben. Doch daran glaubt die Opposition nicht. Sie spricht von einer drohenden «Bosnisierung» Kosovos. Das heisst: eine ethnische Teilung wie in Bosnien-Herzegowina, die den Aufbau eines funktionsfähigen Staates unmöglich macht.
Federführende Kraft der Opposition ist die linksnationalistische Bewegung Vetëvendosje (Selbstbestimmung), seit den letzten Wahlen die drittstärkste Partei im Parlament. Sie gilt als Sammelbecken der zornigen jungen Männer und Frauen Kosovos. Ihr unbestrittenes Idol ist Albin Kurti, ein ehemaliger politischer Gefangener des serbischen Regimes, ein kluger Populist und ein unerschrockener Kämpfer für seine Überzeugungen. Im Gespräch sagt Kurti, er habe absolut nichts gegen die serbische Minderheit, aber sehr wohl etwas gegen die Einmischung Belgrads in die inneren Angelegenheiten Kosovos. Serbiens Ziel bleibe nach wie vor, den Staat Kosovo zu zerstören. Für Kurti sind Regierungschef Isa Mustafa und Aussenminister Hashim Thaci «Verräter des albanischen Volkes, die vor Belgrad den Bückling machen».
Eine Erklärung dafür hat Kurti auch: Die politischen Führer hätten in Brüssel die nationalen Interessen verkauft in der Hoffnung, die EU-Rechtsstaatsmission in Kosovo werde sie wegen Korruption nicht belangen. Brüssel, sagt Kurti, nehme die Sorgen der kosovo-albanischen Mehrheitsbevölkerung nicht ernst. Im Gegenteil: Serbien werde mit EU-Beitrittsverhandlungen belohnt, Kosovo bleibe wegen des Visumszwangs isoliert. Warum das so ist, analysierte er kürzlich bei einem Auftritt in Albaniens Hauptstadt Tirana: «Die EU füttert die kleine Krake Serbien, um sie vom Riesenkraken Russland fernzuhalten. Aber die Tentakel der kleinen Krake greifen schon tief in unser Land Kosovo hinein.» Angesichts dieser Gefahr müssten die Albaner auf dem Balkan zusammenrücken, fordert Kurti. Er denkt gern in weltpolitischen und geostrategischen Kategorien und wirkt gerade als Politiker eines Zwergstaates manchmal auch lächerlich. Oder gefährlich. Zum Beispiel dann, wenn er von einer Vereinigung mit dem «Mutterland Albanien» träumt.
Aufruf zum finalen Schlag
Den an Herzschwäche leidenden Premier Mustafa bringt der Vorwurf des Landesverrats zur Weissglut. Auf Facebook bezeichnete er Kurti als «Esel», für Thaci, der schon in diesem Monat Staatspräsident werden will, ist die Opposition ein Haufen frustrierter Übeltäter, die die Macht mit Gewalt an sich reissen wollen.
Die Gegner der Regierung schlagen seit Anfang Oktober mit Tränengas und Pfefferspray zurück – im Parlament. Anfang Januar brachte die Opposition etwa 50 000 Menschen auf die Strasse. Wie fast immer bei Demonstrationen von Vetëvendosje kam es auch diesmal zu Zusammenstössen mit der Polizei.
Die Regierung reagiert panisch und lässt Aktivisten und Parlamentarier der Opposition verhaften. Für heute Mittwoch hat Vetëvendosje mit zwei kleinen Parteien zu einer Grosskundgebung aufgerufen. Kurti sprach vom finalen Schlag gegen die Regierung und von baldigen Neuwahlen. Westliche Diplomaten lehnen die Gewalt von Vetëvendosje ab, zeigen aber hinter vorgehaltener Hand Verständnis für die Korruptionskritik. In diesem Kampf wird die kosovarische Version von Syriza auch von französischen Sozialisten und von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt oder beraten. Lose Kontakte bestehen auch zu Schweizer Sozialdemokraten. Sehr populär ist die Partei vor allem unter den jungen Albanern in der Diaspora, die für einen Politikwechsel in Kosovo eintreten.
Kosovo im freien Fall - News International: Europa - tagesanzeiger.ch
Die Opposition bekämpft nicht nur das Abkommen über die Assoziation serbischer Gemeinden sondern verlangt auch den sofortigen Rücktritt der Regierung. Sie hat mit der Abmachung in Brüssel gegen das Verfassungsgericht verstoßen.
Opozita sot kërkon dorëheqjen e Qeverisë së Kosovës - Aktuale - Zeri
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