[h=2]Tsipras muss um seine Mehrheit zittern[/h] Die Einigung im Namensstreit mit Mazedonien gerät für Tsipras zur Zeitbombe. Die griechische Koalition aus Links- und Rechtspopulisten wackelt.
04.07.2018 11:08 Uhr
Von Gerd Höhler
Sollten noch mehr Abgeordnete abspringen, wolle er nicht mehr weiterregieren, sagt Alexis Tsipras. Foto: afp Für die Einigung im Namensstreit mit Mazedonien bekam der griechische Premier Alexis Tsipras international viel Beifall. Aber jetzt entwickelt sich der Deal zu einer Zeitbombe, die Tsipras’ Regierungsbündnis sprengen könnte.
Gebetsmühlenartig wiederholt der Athener Regierungssprecher Dimitris Tzanakopoulos sein Mantra bei jeder Gelegenheit: Die Regierung ist stabil und wird die Legislaturperiode bis zu ihrem regulären Ende im September 2019 voll ausschöpfen. Aber daran gibt es wachsende Zweifel. Denn die Mehrheit, auf die sich Premierminister Alexis Tsipras im Parlament stützen kann, bröckelt. Mit 155 der 300 Mandate traten Tsipras und sein Koalitionspartner Panos Kammenos, Chef der rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel), im September 2015 an. Doch bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag der Opposition Mitte Juni hielten nur noch 153 Abgeordnete Tsipras die Treue.
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Kritik an Tsipras Kompromiss im Namensstreit[/h]Seit vergangener Woche ist die Mehrheit auf 152 geschrumpft, nachdem ein weiterer Abgeordneter die Anel-Fraktion verließ und sich für unabhängig erklärte. Er könne den von Tsipras ausgehandelten Kompromiss im Namensstreit mit Mazedonien nicht mittragen, sagte der Politiker zur Begründung.
Tsipras hatte sich vor zwei Wochen mit dem mazedonischen Regierungschef Zoran Zaev darauf geeinigt, dass sich das Nachbarland künftig „Republik Nord-Mazedonien“ nennen soll. Griechenlands Partner feierten die Beilegung des seit 27 Jahren schwelenden Namenstreits als „historischen Erfolg“, denn damit öffnet sich für Mazedonien die Tür zur Nato. Auch EU-Beitrittsverhandlungen könnten möglich werden. Aber viele Griechen sehen darin einen Verrat. Sie beanspruchen den Namen Mazedonien für sich. Nach einer am vergangenen Wochenende veröffentlichten Umfrage lehnen mehr als zwei Drittel der Befragten den Namenskompromiss ab. Auch Tsipras’ Partner Kammenos, der als Verteidigungsminister im Kabinett sitzt, ist dagegen.
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Für Tsipras schien das kein unmittelbares Problem zu sein. Der Namensdeal kommt möglicherweise erst im nächsten Jahr zur Ratifizierung ins Parlament, abhängig davon, wie schnell Mazedonien die erforderliche Verfassungsänderung umsetzt. Aber jetzt bekommt das Thema eine gefährliche Eigendynamik.
Kammenos muss sein patriotisches Profil schärfen, um die miserablen Umfragewerte seiner Partei aufzubessern. Die Namensfrage sei „nicht verhandelbar“, sagte Kammenos am Wochenende vor seinem obersten Parteigremium. Die Anel werde eher die Regierung stürzen als ihre Wähler zu verraten, so Kammenos.
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Kammenos beginnt die Kontrolle über seine Partei zu verlieren[/h]Montag blieb Kammenos einer von Tsipras einberufenen Kabinettssitzung demonstrativ fern. Am Dienstagmorgen veranstaltete der Verteidigungsminister zu früher Morgenstunde eine Pressekonferenz und bekräftigte, wenn Tsipras das Namensabkommen dem Parlament vorlege, werde er der Regierung seine Unterstützung entziehen und Wahlen herbeiführen.
Aber trotz markiger Worte beginnt Kammenos die Kontrolle über seine Partei zu verlieren. Die Anel zeigt Zerfallserscheinungen. Umfragen zufolge hat sie kaum Aussichten, bei den nächsten Wahlen den Sprung ins Parlament zu schaffen. Die Versuchung ist deshalb groß, das sinkende Schiff rechtzeitig zu verlassen. In Athen gibt es Gerüchte über weitere Absetzbewegungen von Anel-Abgeordneten.
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„Mit 151 Stimmen regiere ich nicht weiter“, soll Tsipras bereits Vertrauten erklärt haben, berichten griechische Medien. Das klingt nach Neuwahlen. Der Premier hätte allerdings kaum Chancen, sie zu gewinnen. Mit ständigen Steuererhöhungen und Rentenkürzungen hat er viele Wähler gegen sich aufgebracht. Noch ist undurchsichtig, welche Zusagen Tsipras beim EU-Gipfel der Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Migrationspolitik gemacht hat. Aber sollte Griechenland gezwungen sein, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, könnte das den Premier weitere Sympathien kosten.
In einer am Wochenende veröffentlichten Meinungsumfrage bewerten drei von vier Befragten die bisherige Bilanz der Regierung negativ. 73 Prozent sind auch mit Tsipras persönlich unzufrieden. Bei der sogenannten Sonntagsfrage liegen die oppositionellen Konservativen mit 36,7 Prozent vorn. Das Tsipras-Linksbündnis Syriza kommt nur auf 22,6 Prozent. Sein Koalitionspartner Anel würde nach der Umfrage mit nur zwei Prozent Stimmenanteil an der Dreiprozenthürde scheitern