Lend-Lease Memorial in Fairbanks, Alaska
Die Hilfslieferungen an die Sowjetunion stehen zwar mengenmäßig hinter den Lieferungen an die Briten zurück, dürften aber von nicht minderer Bedeutung gewesen sein.
Bereits unmittelbar nach dem
Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 sicherte Roosevelt Stalin die Rüstungsunterstützung der USA zu (
Hopkins-Mission). Stalin sandte eine Anforderungsliste zurück, was dazu führte, dass die USA und Großbritannien angesichts des Waffenbedarfs einen schnellen Zusammenbruch der sowjetischen Verteidigung befürchteten. Als
Maxim Litwinow, stellvertretender Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, im September 1941 bei einer Besprechung im Kreml mit Roosevelts Sonderbeauftragten
Harriman die Liste der zugesagten amerikanischen Hilfslieferungen vor Augen sah, sprang er von seinem Stuhl auf und rief aus:
„Jetzt gewinnen wir den Krieg!“[SUP]
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Roosevelt trieb die Waffenhilfe massiv voran, und bereits im September trafen die ersten amerikanischen Militärflugzeuge in der Sowjetunion ein. Auf der Atlantik-Konferenz vom 14. August 1941 beschlossen Roosevelt und Churchill neben der
Atlantik-Charta eine Ausweitung der Waffenlieferungen an Großbritannien und die Sowjetunion. Die USA weiteten das Gebiet, in dem sie mit ihrem bewaffneten Geleitschutz eigene
Waffen-Transportkonvois vor deutschen Angriffen schützten, bis nach Island aus.
Ende 1941 stand die Sowjetunion kurz vor dem ökonomischen Kollaps. Die wichtigsten Industrie- und Landwirtschaftszentren des Landes, u. a. der Brotkorb Ukraine und große Teile des Zentrums der Schwerindustrie, des
Donezbeckens, welches in der Bedeutung dem
Ruhrgebiet für Deutschland gleichkam, waren besetzt. Zwar wurde ein großer Teil der Industrieanlagen Ende 1941 nach Osten evakuiert und so dem Zugriff der
Wehrmacht entzogen, doch dauerte es noch bis zur ersten Jahreshälfte des Jahres 1942, bis die hinter dem Ural in den Weiten des Landes wiedererrichteten Werke den daraus resultierenden Produktionseinbruch ausgeglichen hatten. Die Lebensmittelversorgung für 65 Millionen Menschen von den 130 Millionen Menschen in den verbliebenen Gebieten fiel aus. Die Zufuhr von
Eisenerz,
Kohle und
Stahl fiel um 75 % und die Versorgung mit kriegswichtigen Rohstoffen, wie
Aluminium,
Mangan oder
Kupfer um mehr als zwei Drittel. Vom einstmaligen Rohstoffreichtum verblieben nur noch Holz, Öl und Blei.[SUP]
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An Waffensystemen erhielt die Sowjetunion von den USA u. a.:[SUP]
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Der größte Teil der Lieferung kam aber nicht in Form von Waffen, sondern in Form von Nahrungsmitteln, Rohstoffen, Maschinen und Industrieausrüstungen. An Rohstoffen und Lebensmitteln erhielt die Sowjetunion u. a.:[SUP]
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- 4,062 Millionen Tonnen Lebensmittel
- 2,54 Millionen Tonnen Stahl
- 728.000 Tonnen Nichteisenmetalle
- 764.000 Tonnen Chemikalien
- 2,42 Millionen Tonnen Petrochemikalien
An sonstigen Materialien wurde u. a. geliefert:[SUP]
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- 77.900 Jeeps
- 151.000 leichte Transportfahrzeuge
- 200.000 Studebaker-Lastkraftwagen
- 1,5 Millionen Kilometer Telefonkabel
- 35.000 Funkstationen
- 380.000 Feldtelefone
- 43 % aller Reifen
- 56 % aller Schienen
- 1/3 aller Sprengstoffe[SUP][10][/SUP]
- 1900 Lokomotiven (Eigenproduktion 932 Loks)[SUP][11][/SUP]
Eine Besonderheit war, dass die Amerikaner 90 % des gesamten
hochoktanigen Flugbenzins der Alliierten lieferten und 58 % des gesamten hochoktanigen Treibstoffs der Sowjetunion. Ohne dieses Hochleistungsbenzin war damals an eine leistungsfähige Luft- und Panzerwaffe nicht zu denken. Stalin äußerte auf der
Konferenz von Teheran:
„Dies ist ein Krieg der Motoren und der
Oktanzahl. Ich erhebe mein Glas auf die amerikanische Autoindustrie und die amerikanische Ölindustrie.“[SUP]
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Neben den USA lieferten auch
England und
Kanada Material in umfangreichen Mengen.
Während die
Nordmeergeleitzüge den kürzesten Weg für alle Lend-Lease-Lieferungen darstellten, war die meistbefahrene Transportstrecke für das Leih- und Pachtmaterial für die Sowjetunion die pazifische Route, die von der
amerikanischen Westküste zum russischen Hafen
Wladiwostok führte. Insgesamt wurden auf diesem Transportweg 8,2 Millionen Tonnen oder 47,1 Prozent der gesamten Lend-Lease-Leistungen an die UdSSR befördert. Auf dieser Route wurden sowjetische Frachtschiffe eingesetzt, welche die Japaner unbehelligt ließen; nachteilig war die enorme Länge des Weges (sowohl des
Seeweges als auch des Landweges: alle Waren mussten von Wladiwostok per Bahn durch den gesamten asiatischen Kontinent zum europäischen Kriegsschauplatz transportiert werden). Die
Transsibirische Eisenbahn Wladiwostok-Moskau ist 9.288 km lang.
Der persische Korridor
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Hauptartikel: Persischer Korridor
Auch die dritte und wichtigste Route, die von amerikanischen Atlantikhäfen in der Regel um das
Kap der Guten Hoffnung seltener durch den
Panamakanal und den Pazifik zum
Persischen Golf führte, war nicht minder lang. Ein
Geleitzug von den USA nach
Basra oder
Khorramschahr führte, benötigte für die ca. 14.500
Seemeilen lange Strecke 76 Tage; die Route über den Panamakanal betrug 17.700 Seemeilen. Etwa 23 Prozent der Schiffsladungen an die Sowjetunion zwischen 1942 und 1943 nahmen diesen Weg, und nach der Öffnung des Mittelmeeres gewann diese Route sogar die größte Bedeutung für die Nachschublieferungen, die für die UdSSR bestimmt waren. Ende August 1941 hatten die Sowjetunion und Großbritannien im Rahmen der
Operation Countenance den Iran u. a. mit der Absicht besetzt, eine Versorgungslinie für die Sowjetunion vom Persischen Golf über den Iran zum
Kaspischen Meer zu errichten. Am 2. August 1941 hatten USA offiziell zugesagt, die Sowjetunion in den Kreis der unterstützten Staaten einzubeziehen. Unmittelbar nach der Besetzung Basras wurde Stalin von Churchill bestätigt, dass britische Streitkräfte den Hafen ausbauen würden, um den Umschlag US-amerikanischer Lieferungen zu optimieren.
Amerikanische Flugzeuge für die Sowjetunion auf dem Flughafen von Abadan
Bereits Anfang September fragte Churchill bei
Hopkins an, ob die Amerikaner unter dem Leih- und Pachtprogramm Lokomotiven und Güterwagen zum Transport der Güter in die Sowjetunion bereitstellen könnten. Außerdem schlug er eine aktive Beteiligung der Amerikaner am Ausbau der iranischen Eisenbahnlinie und an den Straßen von Bandar-e Schapur, einem iranischen Hafen (heute
Bandar-e Imam Chomeini), bis Bandar-e Schah (heute
Bandar-e Torkaman), einem Hafen am Kaspischen Meer in unmittelbarer Nähe der sowjetischen Grenze, vor.
Am 27. September nahm tatsächlich eine amerikanische Militärmission ihre Arbeit im Iran auf. Sie sollte den britischen Truppen in technischen Fragen zur Seite stehen. Bald wurde offensichtlich, dass US-Techniker und -Spezialisten den Ausbau und die Gewährleistung der Sicherheit durch den persischen Korridor übernehmen sollten.
US-Ingenieure statteten den iranischen Hafen Khorramschahr an der Mündung des
Schatt al-Arab mit Ausladeeinrichtungen, Lagerräumen, Kais, Werften und Kränen aus. Das Hafenbecken wurde für die amerikanischen Lend-Lease-Transporte erweitert. Amerikaner bauten Straßen, auf denen amerikanische LKWs die Waren an die sowjetische Grenze transportieren sollten. Im Jahre 1942 errichteten amerikanische Fachleute in
Abadan eine Montagehalle für die von den Sowjets dringend benötigten Flugzeugtypen
Douglas A-20. Auch für die amerikanischen LKWs, speziell vom Typ
Studebaker US6 (
Katjuscha-
Lafettenträger), die für die
Rote Armee von besonderer Bedeutung waren, wurden Montagehallen gebaut.
Im Oktober 1942 übernahm das amerikanische
Persian Gulf Command die Hauptverantwortung im Iran. Es ersetzte die britischen Truppen, die dringend an anderen Kriegsschauplätzen benötigt wurden. Insgesamt waren 30.000 amerikanische Soldaten, Ingenieure und Spezialisten damit beschäftigt, die Waffenlieferungen an die Sowjets durch den
persischen Korridor zu tätigen. Im Mai 1943 steigerten sich die amerikanischen Lieferungen auf der persischen Route auf über 100.000 Tonnen monatlich und übertrafen bereits das Zehnfache der britischen. Die persische Route war vor allem für die Jahre 1943 und 1944 der ausschlaggebende Transportweg. 241 Schiffsladungen mit insgesamt 1,6 Millionen Tonnen Material im Jahre 1943 und 240 Schiffsladungen mit 1,7 Millionen Tonnen im Jahre 1944 wurden auf den von US-Streitkräften ausgebauten Straßen und Eisenbahnlinien geliefert. Von November 1941 bis Mai 1945 wurden insgesamt 646 Schiffsladungen mit 4,1 Millionen Tonnen an die UdSSR auf der persischen Nachschubroute verfrachtet, fast 25 Prozent des gesamten Materials, das an die UdSSR ging. Durch die Möglichkeit, einen großen Teil der Transporte auf die iranische Route zu verlegen, verringerten sich die durch deutsche Streitkräfte verursachten Verluste von 15 Prozent auf 2 Prozent.
Über den Indischen Ozean wurde nicht nur der Nachschub für die Sowjetunion geführt, sondern auch der gesamte Nachschub für National-China, der angelandet in
Karatschi über das indische Eisenbahnnetz nach Assam rollte und von dort aus per Luftbrücke
The Hump nach Yünnan in Westchina geflogen wurde, wo Generalissimo
Tschiang Kai-shek sein Hauptquartier hatte. Anfang 1945 wurde die von 20.000 US-amerikanischen Soldaten und ca. 40.000 einheimischen Arbeitern für immense Kosten gebaute
Ledo-Straße in Betrieb genommen, die die Luftbrücke allmählich ersetzte. Der reine Materialwert der Lieferungen, die für China bestimmt waren, lag bei mindestens 2 Mrd. USD.
Die Alaska-Sibirien-Route
Von der UdSSR eingesetzte Bell P-39 Airacobra im
Luftfahrtmuseum von Mittelfinnland. Gut sichtbar das mit dem Sowjetstern übermalte amerikanische
Hoheitszeichen am Rumpf.
Über die
Alaska-Sibirien-Route (ALSIB) wurden Flugzeuge auf dem Luftweg von US-Luftbasen in Alaska in die Sowjetunion überführt. Der Hauptweg führte vom Stützpunkt Ladd Field in
Fairbanks, wo die Maschinen von sowjetischen Piloten übernommen wurden, über
Nome und
Anadyr nach
Krasnojarsk, wo die Flugzeuge den Einheiten zugeteilt wurden. Entlang der Strecke wurden Zwischenstopps zum Auftanken eingerichtet. Die Planungen begannen im Winter 1941. Ab August/September 1942 wurden sowjetische Piloten und Mechaniker per Flugzeug nach Ladd Field eingeflogen und von amerikanischem Personal in die Handhabung der Flugzeuge eingewiesen. Die erste Maschine, eine B-25, wurde am 24. September 1942 überflogen. Aufgrund widriger Wetterverhältnisse, insbesondere der niedrigen Temperaturen und Winterstürme, kam es in der ersten Zeit nur sporadisch zu Überführungen. Erst ab Anfang 1943, als der Ausbau der Basen das notwendige Maß erreicht hatte und die nötigen Fachleute und Dolmetscher in ausreichender Zahl zur Verfügung standen, erfolgten die Übergaben regelmäßiger. Aufgrund des nahen Kriegsendes in Europa wurden ab April 1945 die Flüge von sowjetischer Seite aus merklich eingeschränkt. Im September wurde die Route schließlich eingestellt. Insgesamt wurden über die ALSIB 7926 Flugzeuge, davon 2618
P-39- und 2397
P-63-Jäger sowie 1363
A-20- und 732
B-25-Bomber nach Krasnojarsk überflogen. Die Gesamtlieferungen an Flugzeugen beliefen sich von US-amerikanischer Seite auf 14.795 Flugzeuge, davon erreichten 14.018 die UdSSR.