[h2]Sieben Theorien über Nordkoreas Torpedoangriff[/h2]
Rache:
Diese Theorie wird unter anderem vom südkoreanischen Militärgeheimdienst gestützt. Pjöngjang wollte sich demnach hauptsächlich für ein Seegefecht im vergangenen November rächen. Damals war ein nordkoreanisches Kriegsschiff schwer beschädigt worden.
Thronfolge:
Als sicher gilt, dass Nordkoreas Diktator Kim Jong-il seine Macht an seinen drittältesten Sohn Kim Jong-un weitergeben will. Einige Beobachter vermuten, gestützt auf Berichte nordkoreanischer Flüchtlinge, dass der ältere Kim versucht, Erfolgsmeldungen für die heimische Propaganda zu produzieren, die mit dem Namen seines erwählten Nachfolgers verbunden werden sollen. Das könnte dessen Akzeptanz im Volk erhöhen. Eine südkoreanische Organisation mit Kontakten zum Norden berichtete von Feiern auf einer Marinebasis, bei denen Kim Jong-un gepriesen worden sei.
Einzelkämpfer:
Einige politische Analysten glauben, der Angriff auf die "Cheonan" im März sei eine Aktion eines einzelnen Kommandeurs, der versucht habe, sich zu profilieren. Gestützt wurde diese Theorie unter anderem durch die Nachricht offizieller nordkoreanischer Medien, dass Kim Il-chol, ein Admiral und Mitglied der Nationalen Verteidigungskommission, kürzlich entlassen worden sei. Dies ließ Spekulationen aufkommen, der Marinekommandeur habe seine Kompetenzen überschritten.
Ideologiewechsel:
In den vergangenen Jahren hatten einige Nordkoreaexperten festgestellt, dass Kim Jong-il sich mehr und mehr mit vergleichsweise liberalen Beratern und Funktionären umgeben hatte. Diese hatten ihm zu Wirtschaftsreformen geraten, darunter die Währungsreform Ende 2009. Nachdem diese katastrophal gescheitert war, hätten die Falken in Pjöngjang, für die militärische Provokationen zum gängigen politischen Instrumentarium gehören, wieder die Oberhand gewonnen.
Chaos:
Zu den vielleicht besorgniserregendsten Szenarien gehört, dass Kim Jong-il sein Land und seine Streitkräfte, die immerhin ein bescheidenes Atomarsenal besitzen, einfach nicht mehr im Griff hat. 2008 erlitt der Diktator wahrscheinlich einen Hirnschlag. Als es monatelang kein Lebenszeichen von ihm gab, folgten sogar Spekulationen, dass Kim gestorben sei. Dies ist inzwischen eindeutig widerlegt. Unklar ist jedoch, inwieweit der fast 70-Jährige in der Lage ist, politische Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Nordkoreaexperte Andrej Lankow von der Kookmin-Universität in Seoul bezeichnet das Land etwa als "ruderloses Boot", auf dem es längst keine rationale Entscheidungsfindung mehr gebe.
Ablenkungsmanöver
Auch wenn Nordkoreas Führung international wie intern jede Verwicklung in den Untergang der "Cheonan" bestreitet und daher nicht in ihrer Propaganda als militärischen Erfolg ausschlachten kann - die darauf folgende Eskalation könnte dem Regime dennoch nützen. Der Konflikt, in dem sich Pjöngjang als Ziel böswilliger Vorwürfe aus dem Süden darstellt, könnte von den zahlreichen internen Problemen Nordkoreas ablenken, etwa von der schlechten Versorgungslage und der gescheiterten Währungsreform, in der viele Nordkoreaner ihre bescheidenen Ersparnisse komplett verloren.
Neid:
Südkorea hat in diesem Jahr den Vorsitz der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Im November wird in Seoul der nächste Gipfel der Gruppe stattfinden. Für Südkoreas Regierung ist das ein willkommener Anlass, vor aller Welt den enormen Aufstieg des einst armen Landes zur bedeutenden Wirtschaftsmacht herauszustellen. Dem Regime in Nordkorea passt das gar nicht. Bereits in der Vergangenheit hatte Pjöngjang Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder die Fußballweltmeisterschaft im Süden strikt abgelehnt und versucht, die damit zusammenhängende positive Presse für Seoul negativ zu beeinflussen.
Kalter Krieg: Sieben Theorien über Nordkoreas Torpedoangriff | FTD.de