http://www.nzz.ch/2005/12/19/al/articleDF5UD.html
19. Dezember 2005, Neue Zürcher Zeitung
Freude in Skopje über EU-Kandidaten-Status
Neuer Impuls für die Fortsetzung der Reformpolitik
Mit grosser Erleichterung hat die Regierung Mazedoniens auf den Entscheid der Staats- und Regierungschefs der EU reagiert, dem Land den EU-Kandidaten-Status zu geben. Die Chancen für die Fortsetzung der Reformpolitik bleiben damit intakt.
ahn. Skopje, 18. Dezember
Mit grosser Erleichterung ist in Skopje die Nachricht aus Brüssel aufgenommen worden, dass die Europäische Union nun Mazedonien den Kandidaten-Status verliehen hat. Am Samstagabend versammelten sich mehrere tausend Leute in dichtem Schneetreiben auf dem Hauptplatz von Skopje, um den Entscheid der EU-Staats- und -Regierungschefs zu feiern.
Auch Albaner als Helden der Nation
Ein Schauspieler, der aufzählte, was Mazedonien seinerseits Europa gegeben habe, zählte neben Philipp von Makedonien und den mazedonischen Unabhängigkeitskämpfern um 1900 auch den albanischen Helden Skanderbeg und die albanischstämmige Skopjerin Mutter Teresa auf. Gleichgültig, was realhistorisch davon zu halten ist, die Ernennung ethnisch albanischer Repräsentanten in die Ehrengalerie des Landes ist ein wichtiges Novum auf dem Weg zu einer multiethnischen Demokratie. Ohne Druck und Förderung durch die EU bliebe sie wohl undenkbar. Ministerpräsident Vlado Buckovski sagte in seiner kurzen Rede, das Land habe seinen neuen Status durch Reformen redlich verdient. Noch sei viel zu tun, aber am Schluss werde Mazedonien dort sein, wo es hingehöre, im Schoss der europäischen Familie.
In der Öffentlichkeit war der Optimismus nach der positiven Empfehlung der Europäischen Kommission allmählich von düsteren Verschwörungstheorien verdrängt worden. Es ging das Gerücht eines serbisch-französischen Komplotts: Serbien habe seinen traditionellen Alliierten davon überzeugt, Mazedonien Steine in den Weg zu legen, damit Belgrad den Vorsprung Skopjes auf dem Weg nach Brüssel einholen könne. Weil man solche Theorien hierzulande ernst nimmt, wandte sich der serbische Präsident Tadic an die Presse. Das Gegenteil sei wahr, sagte Tadic. Er unterstütze Skopje voll und ganz bei der Integration des Landes in die EU.
Ähnliche Stellungnahmen gab es auch aus dem benachbarten Pristina. Skopjes Fortschritt weckt auch in Kosovo nicht den Neid, sondern die Hoffnung, dass die EU-Perspektive für den Westbalkan, die am Gipfel von Thessaloniki 2003, so schien es jedenfalls, verbindlich gemacht worden war, auch wirklich aufrechterhalten wird. Die Nachricht, dass Frankreich ein Veto gegen Mazedoniens Kandidaten-Status erwägt, hatte hier für erhebliche Unruhe gesorgt. Auf dem Rücken der Kleinen werde die Krise der EU ausgetragen, schrieb ein Kolumnist.
Die Presse zitierte ausgiebig aus einem Bericht der European Stability Initiative. Dieser Think- Tank mit Sitz in Berlin warnte davor, Mazedonien zu übergehen. Dies wäre umso unverständlicher, als dieses Land das einzige Beispiel einer erfolgreichen Krisenprävention der EU im ex- jugoslawischen Raum darstelle. Anders als in Bosnien oder Kosovo konnte hier nicht zuletzt dank einer kohärenten und schnellen Reaktion der EU die Eskalation ethnischer Spannungen zum Bürgerkrieg verhindert werden. Aber auch seit dem Abkommen von Ohrid im Sommer 2001 hat sich die EU massiv engagiert und viel zur Stabilisierung beigetragen. Ironischerweise hat sich dabei kein Land so stark wie Frankreich profiliert: Die Franzosen stellten am meisten Truppen für die Militär- und Polizeimission. Bei den Ohrider Gesprächen war der Franzose François Léotard Unterhändler der EU, die Verfassungsreformen wurden massgeblich vom Juristen Robert Badinter inspiriert, und der erste Sondergesandte der EU war der Diplomat Alain LeRoy.
Mitgliedschaft als Motor
Der eigentliche Motor der Reformen ist aber die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft. Mazedonien hat freilich erst damit begonnen, den Acquis communautaire, dieses riesige Gesetzespaket, ins nationale Recht zu übernehmen. Bis Beitrittsgespräche beginnen können, wird noch viel Wasser den Vardar hinunterfliessen. Aber um die schwierigen und schmerzhaften Reformen durchzuführen, müssen die Politiker ihren Wählern eine EU-Zukunft glaubwürdig versprechen können. Diese darf nicht in weiter Ferne liegen, sondern muss absehbar sein, um motivierend zu wirken. Das Timing zählt.