Zahlen zum Krieg gegen die kurdische Bevölkerung - Heute (22 Dezember) "Generalstreik" in Diyarbakir - HDP-Sprecher Bilgen: "Zustände wie im Gaza-Streifen oder in Aleppo"
Parlamentarier der
Cumhuriyet Halk Partisi - CHP, u.a.
İlhan Cihaner, haben heute einen Bericht über die aktuelle Kriegslage in der Türkei veröffentlicht.
Hier die zentralen Ergebnisse:
- zwischen dem 1. Januar und 5. Dezember 2015 sind 523 Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen getötet worden. Davon sind 171 "Sicherheits"kräfte, 195 PKK-GenossInnen und 157 Zivilisten.
- insgesamt 200.000 Menschen mussten aus ihren Heimatdörfern und Städten fliehen
- allein im inneren Bereich des Stadtteil Sur in Diyarbakir ist die Bevölkerungszahl von 24.000 auf 2.000 gefallen.
- zahlreiche Schulen, Krankenhäuser und Behörden sind seit Wochen geschlossen.
Ich kenne die Quellen des Berichts nicht, allerdings decken sich diese ungefähr mit Zahlen der
Halkların Demokratik Partisi – HDP.
Währenddessen wird es heute in Diyarbakir/Amed eine ganztätigen "Generalstreik" geben. Das Leben in der Stadt soll heute komplett zum Erliegen kommen. Aufgerufen zu der "Rolladen-unten-lassen"-Aktion haben die HDP, die DBP (kurdischer Teil der HDP) und die Freie Frauen Bewegung (Kongra Jınên Azad). Geschäfte werden nicht geöffnet, Gemeindebusse werden nicht fahren und in einer großen Demonstration soll zum Stadtteil Sur demonstriert werden, um gegen die seit 21 Tagen(!) bestehende Ausgangssperre zu demonstrieren. Es werden bestimmt hunderttausende DemonstrantInnen werden. Auch aus den umliegenden Bezirken Silvan, Lice und Kulp wird es Demonstrationszüge Richtung Sur geben. Hoffentlich hält sich das türkische Militär zurück.
HDP-Sprecher
Ayhan Bilgen hat die derzeitige Situation in Nordkurdistan auf einer gestrigen Pressekonferenz wie folgt bezeichnet:
"Es gibt keinen Unterschied zu dem was in der Vergangenheit in Gaza, in Aleppo, Damaskus oder Kobane passiert ist, zu dem was wir heute erleben. Sie belassen es nicht beim Bombardieren, gleichzeitig entvölkern sie die Städte, sie stürmen in die Häuser und werfen die Zivilisten raus. Laut unseren Informationen wurden gerade eben in Silopi 400 Frauen und Kinder in ein Stadion eingesperrt. Wenn man das sieht, kann man nicht sagen, dass diese Operationen für den Frieden der Zivilisten laufen."
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Noch ein Schul-Bild aus Nordkurdistan. Auf der Tafel steht geschrieben: "Jetzt sind wir dran euch zu erziehen. JÖH"
JÖH steht für Jandarma Özel Harekat, das sind Spezialeinheiten der Militärpolizei. In den letzten Wochen gibt es gehäuft Berichte, dass u.a. diese Einheiten auch aus bärtigen, nur arabisch sprechenden Männern bestehen, die unter "Allahu Akbar"-Rufen in den Kampf gegen die kurdische Bevölkerung in die Stadtviertel von Sur, Cizre, Sirnak, Mardin, Silopi etc. einziehen. Woher diese Männer kommen, weiß niemand so richtig. Gleichzeitig gibt es Belege dafür, dass diese türkische Spezialeinheiten sich oftmals aus Waisenkindern zusammensetzen, die keine Angehörigen haben und schon in frühem Alter vom türkischen Staat rekrutiert und indoktriniert werden. Die
FAZ.NET - Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb dazu am 18.12.15: "Wie um „Jitem“* ranken sich auch um die „Esedullah Timleri“ viele Gerüchte. Sie besagen, dass die Einheiten Waisenkinder und verurteilte Kriminelle rekrutierten, auch Personen, die mit dem „Islamischen Staat“ in Verbindung gebracht würden."
* Jitem
„smile“-Emoticon Jandarma İstihbarat ve Terörle Mücadele) war ebenfalls eine Spezialeinheit der Gendarmerie. Jitem bedeutet "Gendarmerie für Geheimdienst und Kampf gegen den Terror". Sie war u.a. für mehr als 17.000(!) verschwundene Menschen, hauptsächlich KurdInnen und türkische Linke, verantwortlich, die in den 90er Jahren gefoltert, erschossen und dann irgendwo hingeworfen wurden.
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Die türkische Armee benutzt Schulen in Sur, einem Stadtteil der kurdischen Millionenmetropole Diyarbakir, um gegen die Bevölkerung und den Widerstand zu kämpfen. Dieses Bild wurde dort gestern aufgenommen.
Es spricht alleine schon wegen dem Schild, das zu sehen ist, Bände. Auf diesem steht: "Lehrer, die neue Generation wird euer Werk sein" M. K. Atatürk.
Eine Farce, wenn man bedenkt, dass der Staat vor einer Woche sämtliche Lehrkräfte (und einen Großteil des Gesundheitspersonals) aus vielen Regionen Nordkurdistans abgezogen hat, um dort ohne eigene Verluste Krieg führen zu können.
Das einzige, was die Kinder derzeit dort vom Staat lernen ist Unterdrückung, Mord und Gewalt.
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So sehen derzeit die "Schüler" in Schulen Nordkurdistans aus
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"Warum die internationale Gemeinschaft nichts tut, um den Kurden zu helfen, kann Aycan İrmez nicht verstehen. 'Wenn es um das kurdische Volk geht, sind die Ohren, Augen und Münder der Weltöffentlichkeit verschlossen', sagt sie. Tatsächlich ist die Kritik am Vorgehen gegen die Kurden leise geworden, seit die Türkei als Partner in der Flüchtlingskrise und im Kampf gegen den IS gebraucht wird."
Ein Artikel von
Luisa Seeling
PS: Die Einschätzung von
YDG-H ist nicht richtig und einige Details stimmen nicht so ganz, aber der Tenor des Artikels ist gut. Viel mehr Aufklärung muss es noch zu den selbstverwalteten Vierteln/Kommunen in Kurdistan geben. 1zu1 Infos auf Deutsch gibt es oft beim
Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
20. Dezember 2015, 19:51 Uhr [h=2]
Türkei Ganze Städte in der Türkei sind Sperrgebiet[/h]
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- Die türkische Armee hat bei ihrer Großoffensive gegen die PKK und die ihr nahestehende Patriotische Revolutionäre Jugendbewegung (YDG-H) nach eigenen Angaben bereits 102 Rebellen getötet.
- Bewohner ganzer Städte im Südosten der Türkei sind von Ausgangssperren betroffen und zum Teil von Strom und Wasser abgeschnitten.
- Einen Anteil an der Eskalation hat auch die YDG-H, die ein großes Gewaltptenzial hat und in den vergangene Monaten mit Straßensperren selbsternannte "befreite Zonen" errichtet hat.
Von Luisa Seeling
Hunderte Anrufe habe sie in den vergangenen Tagen bekommen, sagt Aycan İrmez. Von Menschen, die keinen Strom haben und kein Wasser, deren Häuser in Flammen stehen. İrmez ist Abgeordnete der prokurdischen Partei HDP in Şırnak im Südosten der
Türkei. Zeitweise hat sie sich
in dem besonders umkämpften Silopi aufgehalten, um sich einen Eindruck von der Lage der Bewohner zu verschaffen. Helfen konnte sie nicht. "Wegen der Ausgangssperre kann die Feuerwehr nicht ausrücken", erzählt die 30-Jährige. Auf vielen Gebäuden seien Scharfschützen postiert. Nicht einmal die Toten könne man begraben. "Zwei alte Männer sind während des Beschusses an einem Herzinfarkt gestorben. Tagelang haben wir versucht, sie zum Leichenhaus zu bringen, aber es ging nicht." Wer sich hinauswagt riskiert, erschossen zu werden.
Seit Monaten wird im Südosten der Türkei gekämpft, doch seit einigen Tagen eskaliert die Gewalt, vor allem in den Städten Cizre, Silopi und Diyarbakır. Am Mittwoch hat die Armee eine Großoffensive gegen die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die ihr nahestehende Patriotische Revolutionäre Jugendbewegung (YDG-H) gestartet. Mehr als 10 000 Soldaten und Polizisten sollen im Einsatz sein, ganze Städte wurden in Sperrgebiet verwandelt. In den vergangenen Monaten hat die Armee zeitweise mehr als 60 Ausgangssperren im Südosten verhängt. Kritiker halten dies für illegal.
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Türkei Diyarbakır - eine Stadt im Ausnahmezustand [/h] Der Konflikt ist zu einem Häuserkampf in dicht besiedeltem Gebiet geworden. Die Co-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdağ, schätzt, dass seit dem Sommer bis zu 200 000 Menschen aus der Region geflohen sind. Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu ist fest entschlossen, die PKK "Viertel um Viertel, Haus um Haus und Straße um Straße" zu bekämpfen. Die Armee meldet Erfolge: 102 PKK-Kämpfer seien in den Provinzen Şırnak, Diyarbakır und Mardin getötet worden, hieß es am Sonntag. Drei Soldaten seien umgekommen.
[h=3]Ist ein Fünfzehnjähriger, der Steine schmeißt, ein Kämpfer?[/h] Anzeige
Die Vertreter des Staates beharren darauf, dass die Operationen effektiv seien - obwohl das Militär bisher kein einziges der von den Aufständischen gehaltenen Viertel unter seine Kontrolle bringen konnte. Die Ausgangssperren nennt die Regierung ein "letztes Mittel", um zwischen Zivilisten und PKK-Kämpfern zu unterscheiden. Diese missbrauchten Anwohner als "menschliche Schutzschilde".
Wie viele Zivilisten ums Leben gekommen sind, ist unklar. Nach offiziellen Angaben starben seit Beginn der Offensive fünf Zivilisten, kurdische Medien gehen von acht Opfern aus. Für den Zeitraum Juli bis Mitte Dezember hat die International Crisis Group fast 200 getötete Sicherheitskräfte gezählt, außerdem seien mindestens 220 kurdische Kämpfer und 151 Zivilisten umgekommen. Wobei die Unterscheidung oft schwer fällt: Ist ein Fünfzehnjähriger, der Steine schmeißt, ein Kämpfer?
Für die
Kurden steht fest: Die Regierung führt einen Krieg gegen ihr Volk. "In diesen Häusern sind keine Terroristen, sondern Zivilisten", sagt ein Menschenrechtler in Diyarbakır. Die Armee nehme "keine Rücksicht auf Frauen, Kinder und Alte". HDP-Politikerin Aycan İmrez spricht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Verantwortlich sei die Regierung in Ankara, vor allem "der Palast" - gemeint ist Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Und nein, PKK-Kämpfer habe sie in Silopi nicht gesehen. Das ist eine verbreitete Sicht in der Region.
http://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-ganze-staedte-in-der-tuerkei-sind-sperrgebiet-1.2791224
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In der kurdischen Stadt Elih (Batman) protestierten gestern tausende Menschen gegen die Ausgangssperren des türkischen Militärs. Auf dem Video seht ihr die Reaktion des Staates auf diese Proteste.
Gerade kommen Meldungen rein, dass auch bei heutigen Demonstrationen in Istanbul und Diyarbakir zehntausende Menschen beteiligt waren und diese immer von der Polizei und dem Militär gewaltsam aufgelöst wurden.
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Anschauen!
Ein Kind, 11 Jahre alt, stirbt. Mehmet Mete wurde von einem Granatsplitter am Kopf verletzt. Seine Verwandten versuchen ihn noch zu retten und laufen verzweifelt durch die von der türkischen Armee belagerten Stadt Silopi. Aufgrund der Gefechte und der Ausgangssperre - und trotz weißer Fahne - schaffen sie es nicht den Jungen ins Krankenhaus zu bringen. Er stirbt. Jetzt befindet sich sein Leichnam in einer Moschee. Die AKP und Erdogan nennen ihn einen Terroristen. Eigentlich war er nur ein Sohn, ein Kind.