VÖCKLER, Kai: Prishtina is Everywhere. Turbo-Urbanismus als Resultat einer Krise", Berlin 2008
Ich dachte Prishtina zu kennen. Zwei Jahre wohne ich hier. Mit diesem Buch habe ich viel Neues gelernt und Vieles erst verstanden. Zwar ist es ein Architekturbuch und die Fotos bringen Gesehenes in Erinnerung, aber es beleuchtet und beschreibt das Warum". Viel Positives wird im vorerst negativ Erscheinenden gesehen. Die chaotische Verbauung der Stadt und das Fehlen von Verbauungsplänen und Baugenehmigungen: Das macht es für den Staat natürlich einfach, wenn die Bürger alles selbst in die Hand nehmen und er nichts tun muss außer abzukassieren. Die Menschen hier haben den Willen und die Kraft alles selbst zu machen. Andere Staaten würden sich glücklich schätzen, eine so willensstarke Bevölkerung zu haben, und würden diese unterstützen..." (Seite 57)
In Prishtina entstehen täglich 10 neue Bauten. 75% aller Häuser sind Neubauten. Da kann die öffentliche Versorgung von Strom, Wasser und Entsorgung nicht mithalten.
Die öffentlichen Verwaltungen haben auch Nichts gegen die Bevölkerung in dieser Hinsicht unternommen, weil diese ohnehin durch den Krieg schon traumatisiert war. Nach Kriegsende wurde das Wort Freiheit" auch auf die Architektur angewandt und bedeutete, dass man alles und überall bauen konnte.
Beim ersten Besuch fallen auch die vielen Tankstellen auf. Die Autoren dieses Buches quantifizieren es: auf 670 Kilometer asphaltierte Straßen kommen 2500 Tankstellen, was bedeutet - alle 278 Meter eine Tankstelle und jede für nur 100 Autos.
Das Buch greift auch auf fachliche Aufarbeitung in Workshops und Studien zurück und gibt Lösungsansätze. Nicht alles kann abgetragen werden. Sicherheit muss aber nachgeholt werden.
Mit jedem Buch lernt man dazu. Hier etwa, dass die im Ausland wohnenden Kosovaren mehr Geld ins Land bringen als offizielle Entwicklungshilfe (Break Even 1995). Diese im Ausland Lebenden kehren aber fast alle heim. Sie sehen - so beweisen Studien - ihre Zukunft in der Heimat, wo sie mit dem Ersparten nicht nur in Immobilien investieren sondern auch neue Geschäftsideen umsetzen. Aber auch den Gastländern, die diese Migranten aufnehmen wird ein Vorteil nachgesagt: Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Rahmendaten in den 85 größten Städten der USA, im Zeitraum von 1980 bis 1994, fand man heraus, dass die Städte mit großer Konzentration von Immigranten die Städte mit nur wenigen Immigranten übertrafen." (Seite 203) Doppelte Beschäftigungsrate, höhere Einkommen, geringere Armutsraten, 20% weniger Kriminalität. Ob das auch für Europa gilt?
Das Problem Prishtinas ist ein internationales. Immer mehr Leute wollen in der Stadt leben. So auch im Kosovo. 70 Prozent der Geldtransfers gehen in Hauptstädte.
All diese städtebaulichen Probleme gibt es auch in anderen Erdteilen. Die Autoren des Buches sind optimistisch und sehen sogar eine Chance, dass der Lösungsansatz Prishtinas vielleicht exportiert werden kann. Prishtina wird vielleicht die erste Hauptstadt sein, die uns zeigt wie das geht." (Seite 206) Deswegen auch der Titel Prishtina is everywhere".
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Ein sehr interessantes Buch, das ich mir bestellen werde