Von den Bergen in die Städte
In Banja Luka, der Hauptstadt der bosnischen Serbenrepublik, fanden keine Massaker statt. Das heben die serbischen Machthaber der Stadt heute gern hervor, um zu zeigen, wie mitfühlend man umgegangen sei. Was sie verschweigen, hat die aus Banja Luka stammende Historikerin Armina Galijas in ihrem Buch „Eine bosnische Stadt im Zeichen des Krieges“ festgehalten. Ihr ging es nicht darum, die äußeren Daten des Krieges nachzuzeichnen, also noch einmal die Geschichte der Massaker, gebrochenen Waffenstillstände oder offiziellen Verlautbarungen zu erzählen. Sie hat stattdessen dem Grauen des Krieges im Alltag nachgespürt.
Anhand von nur scheinbar nebensächlichen Details schildert sie eindrucksvoll, wie der Krieg über eine bosnische Stadt kam, die hinter den Fronten lag. Wie änderte sich die Sprache in Zeitungen, im Fernsehen, im Radio? Welche neuen Worte und Gebräuche kamen auf? Was geschah mit jenen, die nicht mittun wollten? Am Beispiel der am Fluss Vrbas gelegenen Stadt Banja Luka wird deutlich, dass auch dort, wo keine Massaker stattfanden, ein grausamer Vertreibungskrieg herrschte. Die korrupte Clique kommunistischer Funktionäre wurde von neuen, nicht weniger korrupten Machthabern verdrängt.
„Sie kamen von den Bergen in die Städte herunter, es begann die Tyrannei der stiernackigen Trainingsanzugsträger.“ In der kommunistischen Diktatur hatten diese Männer am Rande der Gesellschaft gestanden, weil andere für Gewalt und Unrecht zuständig waren. In der nationalistischen Diktatur bot sich ihnen die Chance zum Aufstieg. Serbenführer Radovan Karadzic und sein General Mladic, der eine aus einem montenegrinischen, der andere aus einem bosnischen Bergdorf stammend, waren nicht die Einzigen, die sie nutzten. Auch die eiskalte Kriegerin Biljana Plavsic, die einzige Frau in der balkanischen Massenmörderriege, ließ sich vom Nationalismus nach oben spülen.
Bosniakische oder kroatische Ehefrauen von an der Front kämpfenden Serben durften ihren Arbeitsplatz behalten, aber ihre Kinder hatten es schwer. „Mischlinge“ galten den neuen Machthabern als verdächtig, wenn sie sich nicht eindeutig zum Serbentum bekannten. Radoslav Brdjanin, der gefürchtete Chef des im Mai 1992 gegründeten „Krisenstabs“ der bosnischen Serben, empfahl eine Methode, mit der sich feststellen lasse, ob bei einem Kind aus gemischter Ehe das serbische Erbteil genügend stark entwickelt war: „Sie werfen das Kind in den Vrbas. Wenn es rauskommt, ist es ein serbisches Kind. Wenn nicht, ist es kein serbisches Kind.“
Um das „Ungeziefer“ loszuwerden, das sich „massenhaft vermehrt“ habe (Brdjanin), beschloss der Krisenstab eine „Agentur zur Umsiedlung von Menschen“ einzurichten. Das Ziel sei es, sagte Brdjanin, die Serben von dem Schmutz zu reinigen, „mit dem die widerlichen ungetauften Menschen das Land verunreinigt haben“. Anders als weiter östlich an der Drina setzte man dazu nicht auf Massaker, sondern auf den Terror der Bürokratie. Armina Galijas spricht von einer „quasiadministrativen Politik der ethnischen Säuberung. (...) Die Menschen wurden nicht brutal und in Massen getötet wie in zahlreichen anderen Teilen Bosnien-Hercegovinas, aber man wurde sie trotzdem los.“
Der Direktor der städtischen Klinik, ein Gynäkologe, versprach auf einer Kundgebung, er werde dafür sorgen, dass kein bosniakische oder kroatisches Kind mehr geboren werde in Banja Luka.
Unter solchen Umständen wollten die Bosniaken und Kroaten der Stadt nur noch eines - fort. Auf den Marktplätzen sah man ehemalige Professoren und Fabrikdirektoren, die ihr verbliebenes Hab und Gut verkauften ….
Wer zum Zeitpunkt seiner Abreise noch etwas besaß, verlor es durch eine vor der Abfahrt zu unterzeichnende Erklärung, laut der das gesamte persönliche Eigentum „freiwillig“ der Republika Srpska vermacht werde …
Ein Flüchtling, Jahre später: „Letztlich wusste man: Entweder man geht mit dem Kopf auf dem Hals und lässt alles zurück, oder man bleibt, aber ohne Kopf.“ Radoslav Brdjanin wurde im April 2007 vom UN-Kriegsverbrechertribunal zu 30 Jahren Haft verurteilt. Biljana Plavsic wurde vorzeitig aus der Haft entlassen und lebt heute als Rentnerin in Belgrad. Der Prozess gegen Radovan Karadzic dauert an, der gegen Mladic hat gerade erst begonnen.
Michael Martens, Belgrad
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/balkankrieg-saeuberung-auf-serbisch-11761465.html
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In Banja Luka, der Hauptstadt der bosnischen Serbenrepublik, fanden keine Massaker statt. Das heben die serbischen Machthaber der Stadt heute gern hervor, um zu zeigen, wie mitfühlend man umgegangen sei. Was sie verschweigen, hat die aus Banja Luka stammende Historikerin Armina Galijas in ihrem Buch „Eine bosnische Stadt im Zeichen des Krieges“ festgehalten. Ihr ging es nicht darum, die äußeren Daten des Krieges nachzuzeichnen, also noch einmal die Geschichte der Massaker, gebrochenen Waffenstillstände oder offiziellen Verlautbarungen zu erzählen. Sie hat stattdessen dem Grauen des Krieges im Alltag nachgespürt.
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Anhand von nur scheinbar nebensächlichen Details schildert sie eindrucksvoll, wie der Krieg über eine bosnische Stadt kam, die hinter den Fronten lag. Wie änderte sich die Sprache in Zeitungen, im Fernsehen, im Radio? Welche neuen Worte und Gebräuche kamen auf? Was geschah mit jenen, die nicht mittun wollten? Am Beispiel der am Fluss Vrbas gelegenen Stadt Banja Luka wird deutlich, dass auch dort, wo keine Massaker stattfanden, ein grausamer Vertreibungskrieg herrschte. Die korrupte Clique kommunistischer Funktionäre wurde von neuen, nicht weniger korrupten Machthabern verdrängt.
„Sie kamen von den Bergen in die Städte herunter, es begann die Tyrannei der stiernackigen Trainingsanzugsträger.“ In der kommunistischen Diktatur hatten diese Männer am Rande der Gesellschaft gestanden, weil andere für Gewalt und Unrecht zuständig waren. In der nationalistischen Diktatur bot sich ihnen die Chance zum Aufstieg. Serbenführer Radovan Karadzic und sein General Mladic, der eine aus einem montenegrinischen, der andere aus einem bosnischen Bergdorf stammend, waren nicht die Einzigen, die sie nutzten. Auch die eiskalte Kriegerin Biljana Plavsic, die einzige Frau in der balkanischen Massenmörderriege, ließ sich vom Nationalismus nach oben spülen.
Bosniakische oder kroatische Ehefrauen von an der Front kämpfenden Serben durften ihren Arbeitsplatz behalten, aber ihre Kinder hatten es schwer. „Mischlinge“ galten den neuen Machthabern als verdächtig, wenn sie sich nicht eindeutig zum Serbentum bekannten. Radoslav Brdjanin, der gefürchtete Chef des im Mai 1992 gegründeten „Krisenstabs“ der bosnischen Serben, empfahl eine Methode, mit der sich feststellen lasse, ob bei einem Kind aus gemischter Ehe das serbische Erbteil genügend stark entwickelt war: „Sie werfen das Kind in den Vrbas. Wenn es rauskommt, ist es ein serbisches Kind. Wenn nicht, ist es kein serbisches Kind.“
Um das „Ungeziefer“ loszuwerden, das sich „massenhaft vermehrt“ habe (Brdjanin), beschloss der Krisenstab eine „Agentur zur Umsiedlung von Menschen“ einzurichten. Das Ziel sei es, sagte Brdjanin, die Serben von dem Schmutz zu reinigen, „mit dem die widerlichen ungetauften Menschen das Land verunreinigt haben“. Anders als weiter östlich an der Drina setzte man dazu nicht auf Massaker, sondern auf den Terror der Bürokratie. Armina Galijas spricht von einer „quasiadministrativen Politik der ethnischen Säuberung. (...) Die Menschen wurden nicht brutal und in Massen getötet wie in zahlreichen anderen Teilen Bosnien-Hercegovinas, aber man wurde sie trotzdem los.“
Der Direktor der städtischen Klinik, ein Gynäkologe, versprach auf einer Kundgebung, er werde dafür sorgen, dass kein bosniakische oder kroatisches Kind mehr geboren werde in Banja Luka.
Unter solchen Umständen wollten die Bosniaken und Kroaten der Stadt nur noch eines - fort. Auf den Marktplätzen sah man ehemalige Professoren und Fabrikdirektoren, die ihr verbliebenes Hab und Gut verkauften ….
Wer zum Zeitpunkt seiner Abreise noch etwas besaß, verlor es durch eine vor der Abfahrt zu unterzeichnende Erklärung, laut der das gesamte persönliche Eigentum „freiwillig“ der Republika Srpska vermacht werde …
Ein Flüchtling, Jahre später: „Letztlich wusste man: Entweder man geht mit dem Kopf auf dem Hals und lässt alles zurück, oder man bleibt, aber ohne Kopf.“ Radoslav Brdjanin wurde im April 2007 vom UN-Kriegsverbrechertribunal zu 30 Jahren Haft verurteilt. Biljana Plavsic wurde vorzeitig aus der Haft entlassen und lebt heute als Rentnerin in Belgrad. Der Prozess gegen Radovan Karadzic dauert an, der gegen Mladic hat gerade erst begonnen.
Michael Martens, Belgrad
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